Warum ist Blockchain eine so wichtige Technologie und wo kommen Menschen im Alltag mit Blockchain in Berührung?
Christine Böckelmann: Vielen ist die Blockchain vor allem im Zusammenhang mit Krypto-Währungen wie Bitcoin oder Ether ein Begriff. Doch Blockchain ist eine Technologie, die bereits weit über die Finanzbranche hinaus angewendet wird. Sie kann überall dort eingesetzt werden, wo Informationen abgesichert und nicht verändert werden sollen. Ein Beispiel ist der Einsatz in Lieferketten: Mit Blockchain wird jedes Ereignis entlang der Wertschöpfungskette erfasst, etwa Daten zu Rohstoffen, zu Verarbeitung oder der Logistik. So lassen sich zum Beispiel Produkte, die Mängel haben, leichter zurückrufen und Endkunden können sichergehen, dass sie ein Original in den Händen halten und keine Billigkopie. Die Blockchain-Technologie macht Lieferketten sicherer und transparenter.
Die Technologie wird also eher im Hintergrund eingesetzt …
René Hüsler: Genau. Wir können davon ausgehen, dass die Blockchain-Technologie in Zukunft genauso als Basistechnologie verwendet wird, wie heute das Internetprotokoll, welches wir beim Surfen im Internet – mehrheitlich unbewusst – nutzen. Bereits heute wird Blockchain-Technologie in vielen Branchen eingesetzt – das Potenzial beschränkt sich aber nicht nur auf die Wirtschaft. Auch im Gesundheitswesen, in der Kunst, in der Rechtssprechung, im Sozialwesen oder der Politik kann sie zum Einsatz kommen. So hat die HSLU gemeinsam mit der Stadt Zug das weltweit erste Blockchain-basierte E-Voting getestet.
Was ist eine Blockchain?
Bei der Blockchain handelt es sich um eine Art digitales Logbuch. Alle an einer Blockchain beteiligten Parteien erhalten automatisch eine komplette Kopie dieses Buchs, sobald jemand einen neuen Eintrag macht – zum Beispiel eine Geldüberweisung. So entsteht eine Kette von theoretisch nicht fälschbaren Einträgen. Versucht jemand nachträglich einen Eintrag zu ändern oder zu löschen, werden die anderen Teilnehmer über diesen Eingriff benachrichtigt. Der Gedanke hinter der Blockchain-Technologie ist, fälschungssichere Datenbanken zu erschaffen. Dritte, die bis anhin das System überwachten, sollen so obsolet werden. Beim Beispiel der Geldüberweisung wäre dies die Bank, die aufpasst, dass eine Überweisung ihr Zielkonto erreicht.
Die HSLU forscht nun seit sieben Jahren an der Blockchain-Technologie. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Christine Böckelmann: Die Blockchain-Technologie hat sich aus der reinen Informatik-Ecke herausbewegt. Ihr Potenzial für alle Arten von Transaktionen, bei denen Vertrauen eine zentrale Rolle spielt, wird in immer mehr Bereichen erkannt. Gleichzeitig steigt damit das Interesse von Unternehmen und Anlegern, in Projekte und Start-ups zu investieren. Damit verbunden ist auch ein zunehmender Bedarf nach regulatorischen Rahmenbedingungen.
Eine Stärke der HSLU-Forschung ist ihre Anwendungsorientierung. Welche Rolle spielen Kooperationen mit Unternehmen?
René Hüsler: Sie sind sehr wichtig. Nach einem fulminanten Start, einem für neue digitale Technologien typischen Hype, kühlte die Euphorie zwischenzeitlich deutlich ab. Jetzt beobachten wir wieder ein steigendes Interesse bei den Schweizer Unternehmen. Entsprechend erhalten wir regelmässig Anfragen für Projekte mit Praxispartnern. Für unsere Hochschule ist diese Form der Zusammenarbeit zentral, um so besonders «nah dran» zu sein an den Bedürfnissen der Unternehmen. Und, um Innovation anwendungs- und bedürfnisorientiert voranzutreiben. Damit stärken wir die hiesige Wirtschaft und deren Wettbewerbsfähigkeit.
Bislang sind an der HSLU vor allem die Bereiche Informatik und Finance in der Blockchain-Forschung aktiv. Wie wirken die beiden Disziplinen zusammen?
Christine Böckelmann: Die beiden Disziplinen ergänzen sich sehr gut, insbesondere im FinTech-Bereich. Die einen Expertinnen und Experten haben vertieftes Wissen in der Informatik-Basistechnologie, die anderen kennen sich bestens mit wirtschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten aus. Diese Kombination ist fruchtbar und führte unter anderem zur gemeinsamen Entwicklung eines Weiterbildungsangebotes, dem CAS Crypto Finance & Cryptocurrencies.
Die Zusammenarbeit wird aber weitergehen, zum Beispiel bei der Anwendung im Rohstofftracking, was in Bezug auf die Erfüllung von Nachhaltigkeitsstandards zentral ist. Oder bei der Entwicklung von Lösungen, wie teure Buchungsplattformen im Tourismus umgangen werden können.
Gibt es ein Forschungsprojekt, dem Sie einen besonders «revolutionären» Charakter zuschreiben?
René Hüsler: Wir arbeiten zusammen mit der Universität Zürich und der ZHAW an einer digitalen Infrastruktur, die eine automatisierte Echtzeitüberprüfung von Finanzinstituten und -märkten ermöglichen soll. Denn bis jetzt ist das Meldewesen, über das Banken an staatliche Aufsichtsbehörden regelmässig berichten müssen, uneinheitlich, hochkomplex und langsam. Mithilfe von Big Data- und Blockchain-Technologie sowie Smart Contracts lassen sich automatisierte Banken-Reports in Echtzeit erstellen. Die Einführung eines solchen Systems käme einem Paradigmenwechsel gleich, es könnten einerseits beachtliche Kosten gespart werden, andererseits könnte damit aber auch zur Stabilisierung des Finanzsystems beigetragen werden. Das Projekt DaDfiR3 (Data Driven Financial Risk and Regulatory Reporting) wird vom gemeinsamen Förderprogramm BRIDGE des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und der Innosuisse mit 1.5 Millionen Franken gefördert.
Ein weiteres, wichtiges Thema ist der Energieverbrauch, der mit Blockchain-Lösungen einhergeht. Auch an diesem forscht derzeit ein Projektteam, um später Handlungsempfehlungen für rechtliche Vorgaben abgeben zu können.
Auf was sind Sie besonders stolz?
René Hüsler: Sicher auf unser internationales, wissenschaftliches Netzwerk und Engagement. Wir waren während zwei Jahren als einzige Schweizer Institution Teil eines Forschungsverbunds, welcher die EU in Blockchain-Fragen beraten hat. Seit Anfang 2023 ist das Departement Informatik auch Mitglied des Blockchain Research Institutes, einem der wichtigsten Blockchain-Forschungsnetzwerken weltweit. Dieses richtet den Schwerpunkt auf die Förderung von «Blockchain for Good»-Projekten, welche dem Gemeinwohl zugutekommen.
Christine Böckelmann: Das Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) ist im Bereich der Innovationen und modernen Technologien im Finanzbereich schweizweit führend. Dazu gehört auch der Crypto Finance Bereich, in dem in den letzten Jahren eine Vielzahl von Projekten durchgeführt wurden. Die jährliche FinTech-Studie geniesst eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit, und wir können hier unter anderem viel zur Transparenz der Entwicklungen beitragen.
Die Förderung durch den Kanton Zug ermöglicht der HSLU einen Ausbau der Forschungsaktivitäten. Wie viel der rund 40 Millionen Franken fliesst während der nächsten fünf Jahre direkt an die HSLU und wie wollen Sie das Geld konkret einsetzen?
René Hüsler: Rund ein Drittel davon ist für die Hochschule Luzern vorgesehen. Damit werden wir unsere Forschungsaktivitäten gezielt ausbauen. Zudem fördert der Kanton den Aufbau einer Kooperations- und Kommunikationsplattform, eines sogenannten Hubs, mit 2.5 Millionen Franken. Diesen werden wir gemeinsam mit der Universität Luzern betreiben.
Was für uns ebenfalls relevant ist: Auch als Mitglied der Swiss Blockchain Federation werden wir uns dafür einsetzen, die Blockchain-Technologie einem breiteren Publikum, etwa auch KMU und dem Gewerbe zugänglich zu machen, und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen, Standards und Wegweisungen zu schaffen.
Die Universität Luzern baut neu ein Institut für Blockchain auf. Die Universität Luzern und die HSLU sollen sich in ihren Schwerpunkten der Blockchain-Forschung ergänzen. Was bedeutet das konkret?
Christine Böckelmann: Die komplementäre und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Universität Luzern ermöglicht noch viel breitere Perspektiven auf Blockchain-Fragen als heute. Wir profitieren gegenseitig von unseren Stärken: Während die HSLU ihre Expertise aus den Bereichen Informatik, Finance, Technik und im Einsatz von Blockchain in wirtschaftlichen Schlüsselprozessen in die Kooperation einbringt, steuert die Universität Luzern die humanwissenschaftliche Perspektive, beispielsweise Recht, Politik oder Soziologie bei. Das heisst, in Forschungsprojekten werden wir – wenn immer möglich – die Themen der jeweils anderen Hochschule miteinbeziehen und bearbeiten.
Was sind die grössten Chancen einer gemeinsamen Plattform?
René Hüsler: Inhaltlich können wir Themen und Expertisen kombinieren. Aber auch organisatorisch profitieren wir von gemeinsamen Projektentwicklungen. Und ein gemeinsamer Auftritt verhilft uns zu einer grösseren nationalen und internationalen Strahlkraft.