KI: zwei Buchstaben, fünf Perspektiven

Egal, von welcher Seite man es betrachtet: Künstliche Intelligenz verändert die Art, wie wir arbeiten, lernen, lehren und forschen. Unterschiedliche Disziplinen befassen sich daher an der Hochschule Luzern mit KI. Fünf Expertinnen und Experten teilen ihre Sicht auf die Technologie und auf deren Chancen und Herausforderungen.

Person auf bemaltem Asphalt

Warum wir eine interdisziplinäre
KI-Ausbildung brauchen


Shaelom Fischer

Zur Perspektive von Shaelom Fischer

Im Laufe der Geschichte haben Menschen stets versucht, vielversprechende Entwicklungen möglichst rasch zu ihrem Vorteil zu nutzen. Das zeigt sich nun auch bei künstlicher Intelligenz. Sie ist zwar noch relativ jung, aber bereits allgegenwärtig. Die Sache ist nur: Wenn wir diese Technologie einsetzen, ohne sie vollständig zu verstehen – also nicht begreifen, wie KI alle Aspekte unseres Lebens verändern könnte – sind die Folgen tiefgreifender denn je zuvor.

Stellen Sie sich ein neues KI-System vor, das Krankheiten mit nie da gewesener Präzisionerkennen kann. Die Entwickler dieses Systems müssen professionell codieren können, aber auch mit medizinischer Ethik und Patientenschutz vertraut sein; sie müssen sich mit allfälligen Verzerrungen der Daten und gesellschaftlichen Implikationen auseinandergesetzt haben. KI-Expertinnen und Experten benötigen eine Denkweise, die auf dem Anspruch beruht, nicht nur die zugrunde liegenden Prinzipien, sondern auch die Auswirkungen ihrer Disziplin zu verstehen.

Wie können wir eine solche Mentalität im Bereich der Lehre fördern? Der Schlüssel liegt in einer interdisziplinären Ausbildung. Studierende brauchen eine solide Grundlage in Mathematik und Data Science, um leistungsstarke Systeme zu entwickeln. Sie brauchen aber genauso philosophische Kenntnisse, um die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Arbeit zu ergründen und zu hinterfragen. Unterrichtseinheiten in Ethik wiederum schaffen einen Rahmen, um moralische Entscheidungen treffen zu können. Und wirtschaftliches und soziales Wissen sind nötig, um sicherzustellen, dass die entwickelten KI-Lösungen marktreif und gesellschaftlich sinnvoll sind.

Interdisziplinarität in der Ausbildung ist nicht einfach «nice to have», sondern Teil unserer Verantwortung. Als Hochschule formen wir die Menschen mit, die unsere Zukunft gestalten. Liegt es da nicht auf der Hand, dass wir Studierende mit einem tiefgreifenden Verständnis für die Natur der KI und deren umfassen- de Konsequenzen auf unsere Welt ausstatten? Sodass künftig KI Expertinnen und -Experten die Technologie nicht nur beherrschen, sondern uns Menschen zu einem sinnvollen Umgang mit ihr verhelfen.

Die Expertin in Mathematikdidaktik ist stellvertretende Leiterin des Bachelorstudiengangs Artifical Intelligence & Machine Learning.

Marc Pouly

Wie KI zu einem neuen Umgang mit Wissen verhelfen wird


Prof. Dr. Marc Pouly

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Die «Knowledge Doubling Curve» besagt, dass sich das menschliche Wissen alle paar Monate verdoppelt. Obwohl der Ursprung dieser Behauptung äusserst umstritten ist und zahlreiche Interpretationen davon existieren, lassen sich doch belastbare Zahlen finden. Seit Januar 2023 erschienen beispielsweise fast 70’000 Forschungsartikel allein in meinem engeren Interessensgebiet, dem maschinellen Lernen, und über fünf Millionen Aufsätze wurden zu COVID19 verfasst. Kann man da noch ruhigen Gewissens behaupten, dass man sein eigenes Fachgebiet überblickt? Sind wir als Menschheit nicht viel mehr angehalten, einen anderen Umgang mit Wissen zu finden, als es in (digitale) Häuser einzusperren und diese als «Bibliothek» anzuschreiben? Die grossen Sprachmodelle der künstlichen Intelligenz, allen voran ChatGPT, könnten eine Alternative darstellen. ChatGPT «liest» heute ein 175-seitiges Buch in etwa zehn Sekunden und beantwortet immer komplexere inhaltliche Fragen dazu.

Wir betrachten es als selbstverständlich, dass Google ständig das Internet für uns indexiert. Ist es da nicht naheliegend, zukünftig auch das Lesen und Interpretieren einer künstlichen Intelligenz zu überlassen, welche uns fortan mit Rat beiseitestehen wird, ihre Aussagen begründet und ihre Schlussfolgerungen logisch erklärt? Aber keine Sorge, ich will uns keinesfalls des Lesevergnügens berauben. Wir erfreuen uns ja auch immer noch an der «Ineffizienz» eines Waldspaziergangs, obwohl wir tagtäglich unser Mobilitätsverhalten optimieren.

Apropos Ineffizienz: Wir kommunizieren mit künstlicher Intelligenz, wie wir es mit Menschen tun. Wir schreiben Nachrichten, zeigen Bilder oder sprechen mit ihr. Vereinfacht gesagt, wir übersetzen die elektrischen Signale in unserem Gehirn in Text, Bild oder Ton, um sie danach mit einem Computer wiederum als elektrisches Signal zu verarbeiten. Viele Aspekte der weiteren KI-Technologieentwicklung sind absehbar. Dazu gehören Miniaturisierung, Multimodalität oder vielleicht sogar eine weniger ressourcenhungrige Alternative zum Transformer. Aber die nächste wirklich grosse Schlagzeile gehört der Gehirn- Computer-Schnittstelle.

Der Informatiker und Mathematiker doziert und forscht zu maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz.

Weshalb KI in der Lehre eine Frage der Haltung ist

Dr. Stefan Jörissen

Zur Perspektive von Stefan Jörissen

Ein Text ist nicht seine Autorin: Studentische Texte können nicht mit den kognitiven Leistungen der Schreiberin gleichgesetzt werden. Was logisch klingt, wurde im Hochschulbetrieb seit jeher nur halbwegs beachtet, besonders eloquente Texte oft auf einen besonders intensiven Denkprozess zurückgeführt. Dass Texte nun fast ohne kognitive Leistungen entstehen können, versetzt die Hochschulwelt in helle Aufregung.

Tatsächlich brechen den Hochschulen mit der raschen Verbreitung generativer KI-Anwendungen probate Mittel weg, um studentisches Arbeiten einzufordern. Künstliche Intelligenz macht allerdings nur die extrinsische Motivation zur Auseinandersetzung mit fachlichen Inhalten und die Überprüfung des Lernens schwieriger, nicht aber das Lernen selbst. Klug genutzt, kann generative KI Lernprozesse sogar deutlich vereinfachen.

Für Lehrende ist dieser Wandel eine gute Gelegenheit, sich ihrer eigentlichen Berufung zu besinnen. «Nicht fürs Prüfen, fürs Lernen lehren wir» – dieses Motto scheint aktueller denn je. Die Notwendigkeit, insbesondere jungen Menschen beim Lernen zur Seite zu stehen, ist offensichtlich: Das disziplinäre Fachwissen wächst exponentiell, berufliche, private und gesellschaftlich Anforderungen an künftige Generationen sind gleichermassen hoch wie diffus, und die Welt, in welche unsere Studierenden hineinwachsen, scheint gänzlich aus den Fugen. Aufgabe von Dozierenden ist es hier, Studierenden Orientierung zu bieten, sie ernst zu nehmen, ihnen Lerngelegenheiten zu bieten und sie partnerschaftlich bei der Entwicklung ihrer Kompetenzen zu begleiten.

Dies verlangt von Lehrenden einen breiten Blick auf ihr Handeln. Von Studierenden verlangt es die Einsicht, dass sie letztlich für sich lernen – eine Einsicht, die wiederum die Hochschulen durch ihre Kommunikation, durch Studienstrukturen und Prüfungsmodalitäten fördern müssen. Gelingt es bei allen Beteiligten, solche Haltungsänderungen zu bewirken, wird Hochschullehre auch künftig gewinnbringend, spannend und vergnüglich sein – und KI an Hochschulen keine Bedrohung, sondern ein willkommenes Hilfsmittel.

Der Germanist und Mathematiker leitet das Zentrum für Lernen, Lehren und Forschen der Hochschule Luzern.

Wieso Unternehmen mit KI experimentieren sollten

Dr. Patricia Feubli

Zur Perspektive von Patricia Feubli

Sie schreiben und übersetzen, produzieren Bilder, Videos und Programmiercodes: Neue Tools, die auf generativer KI basieren, haben der künstlichen Intelligenz einen «Demokratisierungsschub» verpasst. Plötzlich stehen hoch entwickelte, vortrainierte Modelle der breiten Bevölkerung zur Verfügung und liefern schnell gute Resultate. Repetitive Aufgaben oder ganze Prozesse können damit radikal automatisiert werden – in grossen internationalen Konzernen wie in kleineren Unternehmen hier in der Zentralschweiz.

Nur: Je grösser das wirtschaftliche Potenzial, desto mehr macht sich Unsicherheit breit. Bezahlen Kundinnen und Kunden weniger für eine Dienstleistung, wenn sie von KI ausgeführt wurde? Gibt es Geschäftsmodelle, die obsolet werden? Was ist mit rechtlichen Aspekten oder dem beachtlichen CO2-Fussabdruck von KI-Systemen? Der Strom an ungeklärten Fragen lässt nicht nach – während sich die Technologie rasant weiterentwickelt.

Das Beste, was man in solch einer Situation tun kann, ist die Flucht nach vorn: sich mit künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen, experimentieren. Damit man weiss, womit man es zu tun hat und nicht aus Angst oder Unwissen den Anschluss verliert.

Glücklicherweise müssen Unternehmen und Organisationen dies nicht im Alleingang tun, sondern können zusammenspannen. Etwa über Anlaufstellen wie den Verein «LAC2», zu dessen Gründungsmitgliedern auch die Hochschule Luzern gehört. Dort kann man sich im geschützten Rahmen eine Erstberatung von Expertinnen und Experten holen, hat Zugang zu Infrastruktur und einem regionalen Netzwerk mit Zentralschweizer Unternehmen, die bereits erfolgreich mit generativer KI unterwegs sind. «LAC2» zeigt auf, wie man sich mit kleinen Umsetzungen und Prototypen langsam an den Einsatz von künstlicher Intelligenz herantastet. Hauptsache, wir sammeln Erfahrungen und diskutieren mit – als Unternehmen, als Forschende, als Einzelpersonen. Nur so können wir den Wandel, den KI in unsere Welt bringt, auch aktiv mitgestalten.

Die Ökonomin doziert und forscht im Bereich Data Science und ist in dieser Funktion auch Präsidentin von LAC2 (Lucerne AI & Cognitive Community).

Wie KI uns mit ethischen und philosophischen Fragen konfrontiert

Prof. Dr. Orlando Budelacci

Zur Perspektive von Orlando Budelacci

Im Gegensatz zu anderen technologischen Revolutionen verläuft die Entwicklung von KI Technologie enorm schnell: Wir erleben Innovation und Beschleunigung gleichzeitig. Es braucht jedoch Zeit, neue Kompetenzen zu erwerben, die Veränderungen zu reflektieren und sorgsam in unseren Alltag zu integrieren. Das stellt die Gesellschaft und damit die Hochschule vor ganz neue Herausforderungen. Wir sind gefordert, den Umgang mit neuen Möglichkeiten innert Kürze zu erlernen und dürfen es zugleich nicht versäumen, über deren ethische Grenzen nachzudenken.
In diesem Prozess spielen Hochschulen eine zentrale Rolle, denn sie sind auch Reflexionsorte von Gesellschaft. Mir scheint es wichtig, dass wir als Hochschule experimentieren, kritisch ausloten, Ängste abbauen, Chancen sehen. Wir müssen prüfen, inwiefern wir KI für soziales, ökologisches und menschliches Wohl einsetzen können – und Studierende dazu ermächtigen, die neue Technologie sinnvoll anzuwenden.

Ermächtigung setzt voraus, dass wir KI verstehen und technologisches Grund- lagenwissen bereitstellen. Das soll überall stattfinden, in Forschung, Lehre, Weiterbildung und immer dort, wo sich technologische und ethische Fragen stellen. Auch müssen wir auf problematische Entwicklungen hinweisen, wie beispielsweise den enormen Energieverbrauch von KI und die diskriminierenden Verzerrungen, welche KI-Systeme beinhalten. KI fordert philosophisches Nachdenken ein, denn die neue Technologie zwingt uns Menschen dazu, uns grundlegende Fragen zu stellen. Wie wollen wir in Zukunft leben? Gibt es Grenzen technologischer Möglichkeiten, die wir nicht überschreiten sollten? Was bedeutet es für unser Selbstverständnis als Menschen, wenn Maschinen uns in vielen Fähigkeiten übertreffen? Und nicht zuletzt: Was ist der Mensch?

Der Philosoph und Vizedirektor des Departements Design Film Kunst ist Vorsitzender der HSLU-Ethikkommission.

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