«Vielleicht behandeln wir Sprachassistenten bald wie Haustiere»

Sie heissen Google Home, Siri oder Alexa und sie werden immer populärer: In einem interdisziplinären Projekt untersucht Design-Forscherin Sabine Junginger, wie sich Sprachassistenten auf unser Zusammenleben auswirken.

Sind Sprachassistenten die neuen Haustiere? Bild: Getty Images

Sind Sprachassistenten die neuen Haustiere? Bild: Getty Images

Sabine Junginger leitet die Forschungsgruppe Design & Management am Departement Design & Kunst der Hochschule Luzern. Gemeinsam mit Jens Meissner, Experte für Organisationsentwicklung und Risikomanagement am Departement Wirtschaft, leitet sie das interdisziplinäre Forschungsprojekt «Voice Assistants – People, Experiences, Practices, Routines» (VA-PEPR).

Sabine Junginger, haben Sie einen Sprachassistenten zuhause?

Ich habe mir extra für unser Forschungsprojekt eine «Alexa» ins Haus geholt. Mein 16-jähriger Sohn war von diesem Sprachassistenten so angetan, dass er auch einen haben wollte. Er findet es toll, dass er damit Musik hören und beim Hausaufgabenmachen sogar Fragen stellen kann.

Wieso braucht es ein Forschungsprojekt zu Sprachassistenten?

Aktuellen Schätzungen zufolge nutzen mehr als 20 Prozent der Schweizer Haushalte ein solches Gerät, Tendenz steigend. Trotzdem gibt es bislang zur deren Nutzung nur einige wenige Erhebungen von den jeweiligen Herstellerfirmen. Hier setzen wir an.

Wo machen Sie die grössten Erkenntnislücken aus?

Obwohl sich Sprachassistenten immer stärker in unserem Alltag einnisten, wissen wir überhaupt noch nicht, wie sich diese Technologie auf unser Zusammenleben auswirkt. Wir erforschen deshalb, wie die Menschen mit dem «Eindringen» der Sprachassistenten in den eigenen vier Wänden umgehen: Wozu benutzen sie solche Geräte? Und wie verändern diese die täglichen Routinen des Zusammenlebens?

Können Sie ein Beispiel für solche Routinen nennen?

Zum Beispiel haben mein Mann und ich angefangen, unseren Sohn via Alexa zum Essen zu holen. Und wenn wir Gäste haben, frage ich, ob ich sie ausschalten soll. Fast wie einen bellenden Hund, den man rausschickt.

Ein Projekt – drei Teile

«Voice Assistants – People, Experiences, Practices, Routines» (VA-PEPR) startete Anfang 2020. Das vier Jahre dauernde Projekt besteht aus drei Teilen:

1. 2021 begann eine ethnografische Studie. Die Forschenden statten mindestens 20 Haushalte – ob Familien oder WGs – mit Sprachassistenten aus und dokumentieren, wie sich die Geräte auf deren Zusammenleben auswirken.

2. Die Probandinnen und Probanden der Studie nehmen ab 2022 an Design-Workshops teil, wo sie über ihre Erfahrungen mit und Erwartungen an gut designte Sprachassistenten berichten.

3. Die Ergebnisse werden 2023 in Leitlinien und Empfehlungen für die Entwicklung, Gestaltung und den Einsatz von Sprachassistenten umgesetzt. Sie sollen auch Hinweise zu Fragen der gesetzlichen Regulierung liefern.

Sabine-Junginger (r.) und ihr Team untersuchen Sprachassistenten auf Herz und Nieren. Bild:Raisa-Durandi
Sabine Junginger (r.) und ihr Team untersuchen Sprachassistenten auf Herz und Nieren. Bild: Raisa Durandi

Wieso wünschen sich manche Gäste, dass Sie Ihren Sprachassistenten ausschalten?

Ihnen ist unwohl, weil sie nicht wissen, ob er sie belauscht, ohne dass sie es merken. Vielleicht versucht «unsere» Alexa auch, sich ungefragt mit irgendwelchen Programmen auf deren Smartphone zu verbinden. Gemäss einer Erhebung der Universitäten Luzern und St. Gallen stehen solche verbindungsfreudigen Geräte in fast drei Viertel der Schweizer Haushalte. Das können Laptops, Smartwatches, Babyphones oder eben Sprachassistenten sein. Weil Letzere Gespräche – auch vertrauliche – aufzeichnen können, macht sie das zu einem besonders heiklen Bestandteil des Internets der Dinge.

Wie sich Sprachassistenten auf unsere Privatsphäre auswirken, dürfte für Ihr Projekt somit ein wichtiges Thema sein?

Es ist ein Aspekt, den wir in unserer Studie ebenfalls erforschen. Wir möchten den Leuten die Technologie nicht madig machen, aber sie müssen wissen, mit welchen Geräten sich ein Sprachassistent zu verbinden versucht, und wann er eine Aufzeichnung beginnt.

«Wir möchten den Leuten die Technologie nicht madig machen.»

Sabine Junginger, Forschungsleiterin VA-PEPR

Sollte ein Sprachassistent sich nicht erst auf Kommando einschalten, zum Beispiel wenn man «Ok, Google» sagt?

Theoretisch schon. Einer Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum zufolge zeichnen Sprachassistenten aber viel mehr Gespräche auf, als wir denken. Etwa, weil Amazons Alexa ein Gespräch über den Amazonas-Regenwald als Kommando missinterpretiert. Diese Logs – also die Sprachaufzeichnungen – landen dann auf den Servern der jeweiligen Herstellerfirma.

Kann ich als Nutzer von der Firma Einsicht in die Logs verlangen?

Sie schon. Ihre Frau zum Beispiel jedoch nicht, obwohl sie mit Ihnen zusammenlebt. Die Umstände, unter welchen Nutzerinnen und Nutzer Einsicht in ihre Logs erhalten dürfen, sind bis dato schlecht geregelt. Ein langfristiges Ziel unseres Projekts ist es daher, für diesen Bereich rechtliche Empfehlungen abgeben zu können. Aber dazu müssen wir erstmal wissen, wie gross das Problem überhaupt ist.  

SNF-Förderung: Interdisziplinarität ist Trumpf

VA-PEPR entstand aus einem Vorprojekt im Rahmen des Interdisziplinären Themenclusters (ITC) Digitale Transformation der Arbeitswelt. Mit den ITCs bündelt die HSLU Expertisen von Forschenden über die Departementsgrenzen hinweg. Am Projekt beteiligt sind die Departemente Design & Kunst, Wirtschaft, Soziale Arbeit und Informatik der Hochschule Luzern. Externe Partner sind die OST – Ostschweizer Fachhochschule und die University of Northumbria (GB) sowie die US-Stiftung Mozilla Foundation mit Sitz in Berlin.

Der Schweizerische Nationalfonds SNF fördert VA-PEPR bis 2023 mit einem Sinergia-Grant in der Höhe von 2.23 Millionen Franken. Die Grants wurden speziell für interdisziplinäre Forschungsprojekte entwickelt.

Interdisziplinarität ist Trumpf: Das VA-PEPR-Team umfasst Expertinnen und Experten aus vier HSLU-Departementen. Bild: Raisa Durandi
Interdisziplinarität ist Trumpf: Das VA-PEPR-Team, hier bei einer Forschungsretraite im Neubad Luzern, umfasst Forschende aus vier HSLU-Departementen. Bild: Raisa Durandi

Sie sind von Haus aus Designforscherin. Wo kommt bei diesem Forschungsprojekt der Design-Aspekt ins Spiel?

Wir möchten von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der ethnografischen Studie wissen, wie sie einen Sprachassistenten am liebsten hätten: Was soll er können, um für sie im Alltag nützlich zu sein? Was darf er auf keinen Fall machen? Wie kann man ihn nutzerfreundlicher gestalten? Bei einer Pilotstudie in unserem Forschungsteam stellten wir fest, dass bereits die Inbetriebnahme eines Sprachassistenten ein erstaunlich kompliziertes Verfahren ist.

Eine persönliche Einschätzung, bitte: Wo stehen wir in 20 Jahren in Sachen Sprachassistenten?

Wir kleben im Moment an unseren Bildschirmen. Die Coronakrise hat das exemplarisch aufgezeigt und vielerorts sogar noch verstärkt. Unser Zugang zur digitalen Welt ist meistens immer noch ein Computer mit Tastatur. Mit der Sprachtechnologie ist es vielleicht möglich, uns ein Stück weit davon zu befreien.

Inwiefern ist das eine Befreiung?

Sprache ermöglicht uns einen viel intuitiveren Umgang mit Maschinen. Ich habe vorhin Alexa mit einem Hund verglichen. Vielleicht behandeln wir Sprachassistenten bald wie Haustiere, vor allem, wenn sie mit immer besserer künstlicher Intelligenz ausgestattet werden. Es gibt auch einen gesundheitlichen Aspekt: Für ältere, alleine lebende Menschen ist es besonders wichtig, regelmässig zu sprechen, um geistig fit zu bleiben. In unserer überalternden Gesellschaft wird Sprache als Mensch-Maschinen-Schnittstelle also immer wichtiger. Ich halte es daher für zentral, die individuellen und sozialen Folgen dieser Entwicklung in all ihren Facetten zu erforschen.

VA-PEPR-Studie: Machen Sie mit!

Das VA-PEPR-Team sucht nach Interessenten für seine ethnografische Studie. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden mit einem Sprachassistenten ausgestattet. Die Forschenden messen unter anderem den Datenverkehr, den der Sprachassistent verursacht. Die vertrauliche Behandlung der erhobenen Daten ist dabei ein wichtiger Bestandteil des Studiendesigns. Die Probanden tragen ihre Erlebnisse mit dem Gerät in ein elektronisches Tagebuch ein, das Forschende der Departemente Soziale Arbeit und Informatik der Hochschule Luzern entwickeln, und können schliesslich an einem Design-Workshop teilnehmen.

Interessiert? Das VA-PEPR-Team freut sich auf Ihre Kontaktaufnahme unter va-pepr@hslu.ch, Stichwort: Studienteilnahme

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