Hier stehen wir … und reden mit den Dingen

Unsere Kommunikation verändert sich laufend, auch durch rasante technische Entwicklungen. Wohin die Reise geht, darauf versuchen Expertinnen und Experten der Hochschule Luzern, Antworten zu finden.

Thesen zur Kommunikation: Marcel Zbinden, Marc Pilloud, Seraina Mohr

Drei Experten, vier Meinungen, heisst es in einer Redewendung. Als die Redaktion vier Dozierende der Hochschule Luzern bat, zu skizzieren, wie die Kommunikation der Zukunft aussehen könnte, gab es eine Überraschung. 

Sprachwissenschaftlerin und Psychologin Paula Krüger, Marketing- und Kommunikationsexpertin Seraina Mohr, Wirtschaftspsychologe Marcel Zbinden und Marc Pilloud, Dozent für digitale Medientheorie, beleuchten zwar unterschiedliche Aspekte – technische, ökonomische, psychologische, soziale und linguistische – und doch ähneln sich ihre Beobachtungen und Szenarien in vielen Punkten auf bemerkenswerte Art und Weise: Der Trend von der Massen- hin zu einer personalisierten Kommunikation erfasst noch mehr Lebensbereiche, die Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen nähert sich jener zwischen Menschen an, und das geschriebene Wort wird weniger wichtig, aber – anders als Kulturpessimisten prophezeien – nicht aussterben. Im Gespräch mit den Expertinnen und Experten entstanden acht Thesen für die Kommunikation von morgen.

1. Massenkommunikation war gestern, die Kommunikation der Zukunft ist persönlich und spricht alle Sinne an. 

Unzählige Unternehmen, Medien und Personen kämpfen um unsere Aufmerksamkeit – was wir überhaupt noch an uns heranlassen, selektionieren wir strikt. «Damit wir auf eine Information reagieren, muss sie für uns relevant sein und uns emotional ansprechen», beobachtet Wirtschaftspsychologe Marcel Zbinden. Er sieht das Ende der klassischen Massenkommunikation gekommen: Umfassende Datensammlungen über die Kundschaft, kombiniert mit neuen Technologien wie Virtual Reality ermöglichen es Unternehmen, Filmemachern oder Gamedesignerinnen, Botschaften viel persönlicher und intensiver zu vermitteln. Informatikdozent Marc Pilloud prognostiziert, dass es in einigen Jahren sogar möglich sein wird, neben Bildern oder Tönen auch Emotionen digital an alle Sinne zu vermitteln. Wir werden künftig die Botschaften nicht nur sehen und hören, sondern auch riechen und fühlen können.

Kommunikationsexpertin Seraina Mohr benennt die Herausforderungen einer personalisierten Kommunikation: «Wenn jeder zu Produkten und Dienstleistungen andere Informationen und Preise erhält, zu politischen Abstimmungen andere Fakten und Botschaften präsentiert bekommt, hat das Folgen für den Austausch: Der Dialog wird schwieriger, weil jeder in seiner eigenen Welt lebt und nicht einmal ahnt, wie viele weitere Welten es da draussen gibt. Das erschwert die Verständigung und das Aushandeln von Kompromissen.»

2. Wir sprechen mit Maschinen wie mit Menschen. 

Erst kürzlich machte das «Debater Project» des Computerunternehmens IBM Schlagzeilen: eine künstliche Intelligenz mit rhetorischen Fähigkeiten. Auch abseits solcher Leuchtturmprojekte wird die maschinelle Spracherkennung immer raffinierter. So halten Assistenten wie Alexa und Siri vermehrt Einzug in die Wohnzimmer und Büros.

Marcel Zbinden beobachtet, dass «Sprechen, beziehungsweise Sprachbefehle, mehr und mehr das Schreiben ablösen». Marc Pilloud sieht Sprache als neue Kommunikationsschnittstelle zwischen Mensch und Maschine: «Wir werden mit unserem Kühlschrank sprechen, unserem Sofa oder unserer Kaffeemaschine. Gute Markendesigner werden ihren Produkten eine eigene Persönlichkeit verleihen.» Man stelle sich eine Kaffeemaschine vor, die einen morgens vor dem ersten Heissgetränk mit der Stimme George Clooneys anspricht. Autoren bietet die Kreation solcher Maschinen-Persönlichkeiten mit eigenen «Lebensgeschichten» ein ganz neues Betätigungsfeld.

3. Bilder, Grafiken, Piktogramme überall – doch das geschriebene Wort stirbt nicht aus.

Aufs Bild fokussierte soziale Medien wie Instagram und die Videoplattform Youtube sind im Aufwind. Und in fast allen Kulturen werden Textnachrichten in der Alltagskommunikation mit Zeichen und Emojis angereichert. «Viele komplexe Prozesse lassen sich durch Bilder oder Info-Grafiken anschaulicher darstellen und erklären», sagt Seraina Mohr. Aussagekräftige Visualisierungen zu kreieren, sei höchst anspruchsvoll. Auf der anderen Seite würden Nutzer immer geübter im Interpretieren und Produzieren von Bildern, vor allem bewegten Bildern.

Trotz solcher Entwicklungen mag keiner der vier Experten das Ende des geschriebenen Wortes an die Wand malen, auch wenn das Wort durch Bild und Ton ergänzt und bedrängt werde: Der Mensch habe sich in der geschriebenen Sprache gewaltige Kompetenzen aufgebaut in den letzten 2’000 Jahren Kulturgeschichte. Sprache erlaubt uns, gewisse Informationen und Emotionen präziser zu vermitteln als andere Kommunikationsformen. Bilder bieten einen grösseren Interpretationsspielraum, was es schwieriger macht, dass die gewünschte Botschaft ankommt. Deshalb, so das Fazit der Experten, wird uns die Schrift auf absehbare Zeit erhalten bleiben.

4. Sag mir, wie Du kommunizierst, und ich sage Dir, wer Du bist.

Der Datenschutz ist bei der sprachlichen Kommunikation mit Maschinen ein riesiges und bislang ungelöstes Problem. Mit künstlicher Intelligenz versehene Geräte sind mit dem Internet verbunden. Das heisst: «Die dahinterstehenden Unternehmen können alle unsere Konversationen mit den Maschinen auswerten», sagt Marc Pilloud. «Und die Stimme ist Träger sehr vieler wertvoller Informationen. Sie könnte etwa der Krankenkasse verraten, dass man die Grippe ausbrütet, bevor man es selbst bemerkt.» Den besten Schutz vor Missbrauch böten daher lokal im Gerät gespeicherte KI-Algorithmen ohne Internetverbindung. Aber lässt sich das auch als Standard durchsetzen?

Marcel Zbinden diagnostiziert bei Konsumentinnen und Konsumenten eine kognitive Dissonanz. «Wir reden uns das Datenschutz-Problem schön – aus Überforderung, aus Bequemlichkeit und Angst. Wenn wir unsere persönlichen Daten nirgends freigeben, riskieren wir, früher oder später von bestimmten Dienstleistungen ausgeschlossen zu sein. Deshalb akzeptieren wir es und reden uns ein: ‹Ich habe nichts zu verbergen und eigentlich geht es nicht um mich persönlich, sondern um die Masse der Daten.›» Dabei sei bekannt, dass zum Beispiel Facebook aus nur zehn Likes ein klareres Bild von unserer Persönlichkeit erhält als ein uns nahestehender Mensch und die Daten für Dinge nutzt, von denen wir nichts wissen.

5. Das digitale Hamsterrad dreht sich immer schneller.

Immer neue digitale Kommunikationsmittel geben den Takt vor: Wie kann man sich auf eine Zukunft vorbereiten, in der die Halbwertszeit einzelner digitaler Plattformen auf wenige Jahre zusammenschrumpft? «Digitale Fitness, und zwar bis ins hohe Alter, wird immens wichtig», sagt Marcel Zbinden.

Das gilt sowohl beruflich wie auch für das Privatleben, denn immer mehr Dienste werden digitalisiert. Eine Zweiteilung der Gesellschaft in Digitalisierte und Nichtdigitalisierte, die von bestimmten Dienstleistungen und Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens ausgeschlossen sind, ist denkbar. «Die Kluften verlaufen dann nicht unbedingt zwischen den Generationen», glaubt Seraina Mohr, «sondern einerseits zwischen denen, die Zeit und Energie dafür aufwenden, sich ständig anzupassen, und anderen, die dies nicht können oder wollen. Und andererseits zwischen jenen, die Tools und Mechanismen verstehen, und jenen, die zahllose Apps und Dienste nur oberflächlich nutzen und eigentlich nicht wissen, was sie tun.»

Marcel Zbinden ist überzeugt, dass die ständige Veränderungsbereitschaft in Zukunft noch wichtiger werden wird. Entsprechend wäre es essenziell, dass diese Kompetenz bereits in der Schule vermittelt wird. «Denn die Entwicklung verläuft exponentiell. Mit unserer eher linearen Denkweise sind wir da stark gefordert, Schritt zu halten», ergänzt Seraina Mohr.

6. Mit der Gedankenübertragung tritt nonverbale Kommunikation in eine neue Dimension.

Es klingt im Moment noch nach Zukunftsmusik, aber schon heute – etwa in der Medizin – steuern Menschen mithilfe von Gedanken ihre Prothesen. «In der Zukunft werden wir mittels Gedanken mit Maschinen kommunizieren», glaubt Marcel Zbinden. Die damit verbundenen Risiken, dass die «Gedanken eben nicht mehr frei sind», seien unabsehbar, doch könnten sie in den Hintergrund treten, wenn sich wesentliche Vorteile abzeichnen. So ist beispielsweise Denken schneller als Sprechen.

Zu Beginn dürfte die gedankengesteuerte Kommunikation vor allem Menschen mit gewissen Einschränkungen, wie einer Hör-, Sprech- oder Sehbehinderung, den Alltag stark erleichtern. Doch Schritt für Schritt könnten alle Menschen davon Gebrauch machen. Der Widerstand gegen solche Technologien würde ähnlich wie die Vorbehalte gegenüber selbstfahrenden Autos kleiner werden. Marcel Zbinden: «Dank der schrittweisen Einführung von Tempomat, Einparkassistent und Distanzregler wird es uns deutlich vereinfacht, am Ende auch noch das Lenkrad loszulassen.»

Tech-Firmen glauben offenbar an das Potenzial der Gedankensteuerung: Der Unternehmer Elon Musk hat die Firma Neuralink gekauft, die ein sogenanntes Brain-Computer-Interface entwickeln soll, das eine Kommunikation zwischen Gehirn und Computer ermöglicht. Auch Facebook forscht an der Gedankensteuerung.

7. Technologische Entwicklungen beeinflussen die Sprache, doch Muttersprache bleibt zentral für die Identität.

Die Regeln und Sprachstandards unserer digitalen Assistenten wie Siri und Alexa verändern unsere Kommunikation: «Wir greifen auf simplere Sprachmuster zurück», beobachtet Seraina Mohr. Weltumspannende technologische Entwicklungen verankern immer mehr Anglizismen im Sprachgebrauch. Wird sich künftig Englisch als «Technik-Sprache» schlechthin in Beruf und Privatleben als einzige Weltsprache durchsetzen?

Paula Krüger glaubt das nicht: «Sprache ist stark mit unserer Identität verknüpft. Zum Beispiel fühlt man sich aufgrund des Dialekts einer Gruppe zugehörig beziehungsweise grenzt sich voneinander ab.» Etwa der Walliser von den «Üsserschwiizern». Global verbreitete Kommunikationskanäle wie Whatsapp oder Facebook führen zwar zu einer gewissen Angleichung von Kommunikationscodes – man denke da an die Emojis – gleichzeitig spielen auch hier kulturelle Unterschiede eine Rolle, wie Marc Pilloud erläutert. «In Brasilien ist es beispielsweise Usus, via Whatsapp Sprachnachrichten zu verschicken. In der Schweiz dominieren bisher Textnachrichten, da es sich um eine diskretere Form der Kommunikation handelt.» Die Nivellierung der technischen Kommunikationsstandards könne also paradoxerweise dazu führen, dass Sprache und Ausdrucksformen als Abgrenzungsmittel an Bedeutung gewinnen würden.

8. Digital Detox wird Gegentrend und Statussymbol.

Laut einer Digital-Nations-Studie von Ernst & Young von 2017 hat fast jeder Schweizer ein Smartphone und verbringt zwei Stunden täglich am Gerät, in den USA sollen es sogar vier sein. Ein Mental-Balance-Projekt der Universität Bonn mit 60’000 Nutzern fand heraus, dass diese im Schnitt 88-mal am Tag auf ihr Handy schauten – das war vor knapp drei Jahren. Inzwischen steht nicht mehr infrage, dass elektronische Kommunikationsmittel Suchtpotenzial haben, und es gibt Apps und System-einstellungen, die die Handynutzungsdauer erfassen und so eine massvolle Nutzung unterstützen. 

Je schneller sich die digitale Aufrüstungsspirale dreht, desto grösser wird auch das Bedürfnis, sich dieser zu entziehen. Marcel Zbinden hält zumindest zeitweise Kommunikationsdiäten oder Schutzzonen für denkbar. «Die Abstinenz wird aber eher punktuell, zum Beispiel über digitalfreie Abende, erfolgen. Zu einer gänzlichen Abkehr von der digitalen Welt werden sich nur Einzelne durchringen können.» 

«Im Zeitalter von automatisiert erstellten und verteilten Inhalten werden reale Begegnungen und persönliche Gespräche künftig einen noch höheren Stellenwert geniessen», glaubt Seraina Mohr. «Sie sind exklusiv, authentisch. Der persönliche Kontakt, sei dies im Laden, in Weiterbildungen oder beim Kundendienst, wird dann zum entscheidenden Mehrwert, wenn der Einsatz von Chatbots und Sprachassistenten die Regel ist.»

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