Hängt sie höher!

Zwei Absolventen des Bachelor Digital Ideation haben für eine Fotoausstellung im Basler Kunstmuseum eine digital-analoge Installation kreiert – und dabei vielleicht sogar ein kleines Stück Kunstgeschichte geschrieben.

Projektbild der Petersburger Hängung im Basler Kunstmuseum. Illustration: zvg/Fotografien: 2020, as a collection by Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett, Basel. All rights reserved.

Projektbild der digitalen Petersburger Hängung - die Projektionen von 11'000 Fotos bewegen sich langsam über die Wand. Illustration: zvg/Fotografien: 2020, as a collection by Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett, Basel. All rights reserved.

Nicht nachschauen: Was ist eine Petersburger Hängung?

a.) Eine kreative Hinrichtungsmethode aus dem zaristischen Russland

b.) Eine besonders enge Reihung von Gemälden in einer Ausstellung

Falls Sie b.) getippt haben, ist an Ihnen ein Kunsthistoriker oder eine Kunsthistorikerin verloren gegangen. Die Petersburger Hängung, auch Salonhängung genannt, geht tatsächlich auf die dicht behängten Wände der Petersburger Eremitage in Russland, einem der grössten Kunstmuseen der Welt, zurück.

Nun prägt eine solche Hängung einen Teil der Ausstellung «The Incredible World of Photography» des Kunstmuseums Basel – auch dank der Bachelorarbeit zweier Studenten der Hochschule Luzern: Tin Nguyen und Raphael Andres, die just den Bachelor Digital Ideation abgeschlossen haben, entwickelten gemeinsam mit dem Basler Studio für mediale Architekturen iART AG eine interaktive Installation. In deren Zentrum steht eine 3 Meter hohe und 10 Meter breite Projektion: Dicht an dicht wandern insgesamt 11’000 Fotografien in Form eines endlosen Bildteppichs langsam über die Wand. «Soweit wir wissen, handelt es sich um die erste digitale Petersburger Hängung überhaupt», sagt Raphael Andres stolz.

Die Anordnung der derart projizierten Fotos ist dabei nicht dem Zufall überlassen, sondern wird von einem Algorithmus bestimmt. Dieser stellte für die beiden Studenten eine besondere Herausforderung dar, denn sie konnten nicht auf existierende Galerie-Programme zurückgreifen, sondern mussten eine neue Software schreiben. Diese platziert die Fotos von der Grösse und vom Format her passend zueinander, ohne sie dabei in ein starres Raster mit vorbestimmten Bildformaten zu pressen.

Der KI-generierte Bildteppich besteht aus 11'000 einzelnen Fotografien. Grafik: zvg/Fotografien: 2020, as a collection by Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett, Basel. All rights reserved.
Der KI-generierte Bildteppich besteht aus 11’000 einzelnen Fotografien. Grafik: zvg/Fotografien: 2020, as a collection by Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett, Basel. All rights reserved.

Kurator: der Computer

Anders als das barocke Vorbild ist die moderne Variante der Petersburger Hängung interaktiv: Sie rückt auf Kommando eins der 11’000 Exponate in den Vordergrund. Dazu werden weiterführende Informationen sowie ähnliche Fotos eingeblendet. Die Bildauswahl trifft der Computer jeweils anhand der Grösse, der Farben und der abgebildeten Objekte und Personen, so dass ein logischer Bildcluster entsteht.

«Wir hatten diesen interaktiven Teil der Installation anfänglich sehr haptisch gestaltet, aber da hat uns Corona leider einen Strich durch die Rechnung gemacht», erläutert Tin Nguyen: Um ein Foto hervorzuheben, suchte man sich im ursprünglichen Konzept einen Abzug im Postkartenformat aus und scannte einen draufgedruckten QR-Code. Die dazu benötigten Scanstationen – deren Prototypen wurden ebenfalls von Raphael und Tin gestaltet – bleiben in der definitiven Variante bestehen. Die QR-Codes werden nun aber direkt auf die Ausstellungs-Tickets gedruckt um das Ansteckungsrisiko über verseuchte Abzüge zu minimieren. So bestimmt nun der Zufall, welches der 11’000 Bilder ein Gast zu sehen bekommt.

Prototyp einer Scanstation. Die Abzüge mussten inzwischen Corona-bedingt QR-Codes auf den Tickets weichen. Bild: zvg
Prototyp einer Scanstation. Die Abzüge mussten inzwischen Corona-bedingt QR-Codes auf den Tickets weichen. Bild: zvg/Fotografien: 2020, as a collection by Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett, Basel. All rights reserved.

Ein Wermutstropfen, finden die beiden Studenten, aber ein verkraftbarer. «Wir sind trotzdem sehr glücklich darüber, dass wir in einer Bachelorarbeit ein öffentliches Projekt mit realen Partnern realisieren durften – und dabei vielleicht ein kleines Stück Kunstgeschichte geschrieben zu haben», sagt Nguyen.

Wer einen Hauch von digitaler Ermitage spüren will, kann die Ausstellung «The Incredible World of Photography» bis 4. Oktober 2020 im Kunstmuseum Basel besuchen.

Weitere Abschlussarbeiten im virtuellen Digital Ideation-Museum

Der Bachelor Digital Ideation der Departemente Design & Kunst und Informatik umfasst einen breiten Strauss an Vertiefungsmöglichkeiten: von Gamedesign über die nutzerfreundliche Gestaltung von Apps bis zu digitaler Kunst. Sämtliche Diplomarbeiten des Abschlussjahres 2020 können im neuen «DI Museum» betrachtet werden, entweder am PC, am Smartphone oder via Virtual Reality-Brille. Das Museum ist Teil der wwwerkschau, der Online-Ausstellung der Design-, Film- und Kunst-Studierenden der Hochschule Luzern.

Das Digital Ideation-Museum in all seiner virtuellen Pracht.
Das Digital Ideation-Museum in all seiner virtuellen Pracht.

Über 100 Jahre Fotografie-Geschichte

«The Incredible World of Photography» im Kunstmuseum Basel zeigt nicht nur digitale Exponate: 400 Fotografien sind auch analog zu sehen. Die Werke sind Teil der Sammlung Ruth und Peter Herzog, die mehr als 500’000 Fotografien umfasst.

Interessiert?

Erfahren Sie mehr über den Bachelor Digital Ideation an der Hochschule Luzern

Zum Studium

Was Sie sonst noch interessieren könnte

Edna-Buchmeier mit den Entwürfen für diverse Fassadenelemente. Bild: Fabian Biasio

«wwwerkschau»: Digital und trotzdem sinnlich

Wenn Studierende ganze Kirchen zum Vibrieren bringen, die Schönheit von Hörgeräten entdecken oder Häusern ein Gesicht «weben», dann ist wieder Werkschau. Die Abschlussausstellung der Design-, Film und Kunst-Studierenden findet heuer als virtuelle «wwwerkschau» statt.
Der Plotter, der per Post kam. Bild: HSLU/Tom Pawlofsky

Der Plotter, der per Post kam

Werkstätten und Labors der Hochschule sind geschlossen – also kein Basteln und Tüfteln mehr? Nicht beim Bachelor Digital Ideation. Dozent Tom Pawlofsky hat seinen Studierenden kurzerhand einen selbst entwickelten Bausatz per Post geschickt.
Visual des gemeinsamen Projekts der Hochschule Luzern und von Schweizer Radio und Fernsehen SRF.

360°-Film: Erzählen nach anderen Regeln

Er ist ein eigenes Medienformat: der 360°-Film. Forschende der Hochschule Luzern untersuchten zusammen mit dem Schweizer Fernsehen, wie man damit Geschichten erzählen kann. Entstanden ist ein Online-Handbuch für Filmschaffende.