Simone Gretler Heusser, mit den Babyboomern geht eine geburtenstarke Generation langsam in Rente. Die Rede ist von Umverteilungskämpfen, unsicherer Altersvorsorge und steigenden Kosten für die nächsten Generationen. Wieso sorgt das bei den Jungen nicht für mehr Proteste?
Das tut es bereits – und das durchaus zu Recht. In der Altersvorsorge manövrieren wir uns immer mehr auf ein Ungleichgewicht zu. Unser Vorsorgesystem basiert auf der Annahme, dass die aktiven Arbeitnehmenden die Rentnerinnen und Rentner finanzieren können. Es zeichnet sich ab, dass das langfristig nicht möglich sein wird. Da braucht es zwingend neue Lösungen.
Wie könnten diese Lösungen aussehen?
Ein Ansatz wären neue Besteuerungsmodelle – beispielsweise die Besteuerung von automatisierter Arbeitsleistung. Aber auch neue Entlöhnungssysteme wären eine Überlegung wert. Das klassische Prinzip «Lohn für Leistung» funktioniert schon heute nicht mehr gleich gut wie früher. Gerade für junge Menschen wird es immer schwieriger, mit ihrer Arbeit ein Einkommen zu erwirtschaften, das sie für die Zukunft absichert. Das ist ein Problem – und einer der Hauptgründe, wieso die Jungen ihre Stimme erheben.
«Die Probleme der Jugendlichen lösen sich nicht alleine durch die Beantwortung der Generationenfrage.»
Aber die Jungen protestieren doch lieber gegen den Klimawandel als für eine sichere Altersvorsorge?
Auch die Klimastreik-Bewegung ist in einer besonderen Form Ausdruck dieses Ungleichgewichts.
Inwiefern?
Die jungen Streikerinnen und Streiker haben mit der Klimakrise ein Thema gefunden, das ihren Unmut über die gesellschaftliche Entwicklung gut auf den Punkt bringt. Sie sagen: So kann es nicht weitergehen. Obwohl sie konkret den Klimawandel meinen, sprechen sie damit auch eine generelle Verunsicherung über ihre Zukunft an. Was wir aber nicht vergessen dürfen: Ihre Probleme lösen sich nicht alleine durch die Beantwortung der Generationenfrage, da sie nicht nur mit der demographischen Entwicklung zusammenhängen.
«Spannungen zwischen den Generationen werden oft instrumentalisiert und überstrapaziert.»
Wenn es nicht um einen Generationenkonflikt geht, worum denn dann?
Bei vielen wirtschaftlichen und sozialpolitischen Herausforderungen spielen andere gesellschaftliche Gräben eine viel wichtigere Rolle als das Aufeinandertreffen verschiedener Generationen. Die ungleiche Verteilung der Vermögen zwischen arm und reich zum Beispiel oder unfaire Verhältnisse im Bildungssystem.
Trotzdem steht die Generationenfrage bei den Debatten oft im Vordergrund. Wieso?
Der Generationenbegriff ist sehr plakativ. Die Konflikte können gut mit klassischen Klischees dargestellt werden: Die Alten schauen nur für sich und die Jungen interessieren sich nicht für Politik. Solche Vorurteile sind einfach fassbar und man hat eine klare Gruppe vor Augen, die man damit adressieren kann. Der Generationenbegriff und Spannungen zwischen den Generationen werden deshalb oft instrumentalisiert und überstrapaziert.
Also stecken wir trotz Spannungen gar nicht so tief in der Generationenkrise, wie es der Anschein erwecken mag?
Wir erleben derzeit andere Krisen, die wirklich bedrohlich sind, wie die Corona-Pandemie oder eben die Klimaerwärmung. Diese Zustände stellen die Beziehungen zwischen den Generationen zwar auf die Probe, von einer Krise würde ich da aber nicht sprechen. Im Gegenteil, gerade in Krisenzeiten zeigt sich, dass Konflikte und Solidarität immer gleichzeitig existieren.
So verlief die AHV-Abstimmung vom 24. September 2017
Der Beschluss zur Zusatzfinanzierung der AHV vom 24. September 2017 wurde mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 49.95% ganz knapp abgelehnt. Es fehlten 2’361 Ja-Stimmen für das Volksmehr.
Stimmbeteiligung
18-29-Jährige: 28%
70 Jahre und älter: 58%
Insgesamt: 47.4%
Ja-Stimmen-Anteil
18-29-Jährige: 55%
70+-Jährige: 46%
Insgesamt: 49.95%
Quelle: VOTO-Studie
Wie meinen Sie das?
In der Klimadiskussion liegt der Kern des Konflikts nicht beim Inhalt. Dass gehandelt werden muss, ist generationenübergreifender Konsens. Der Unterschied liegt bei der Tonalität: Junge Menschen sind bei ihren Forderungen oft etwas radikaler als ältere. Trotzdem erfährt die Klimajugend eine breite Unterstützung aus allen Altersgruppen. Und auch während des Corona-Lockdowns haben wir eine grosse Solidarität zwischen den Generationen erlebt.
Wie hat sich diese Solidarität gezeigt?
In den ersten Monaten nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie sind unzählige neue Angebote im Bereich der Quartierhilfe aus dem Boden geschossen. Es hat sich eine riesige Hilfsbereitschaft von jungen Menschen gegenüber der älteren Bevölkerung bemerkbar gemacht. Das hat einmal mehr deutlich gezeigt, dass es zum Wesen des Menschen gehört, solidarisch zu sein – und die Coronakrise bringt Formen des Zusammenlebens zwischen den Generationen zum Vorschein, deren wir uns sonst gar nicht unbedingt bewusst sind.
«Junge Menschen sind bei ihren Forderungen oft etwas radikaler als ältere.»
Welche sind das?
In vielen Familien gehört es fest zum Alltag, dass die Kinder von den Grosseltern gehütet werden. Das war in den letzten Monaten plötzlich nicht mehr möglich. Auch ausserhalb der Familie, zum Beispiel am Arbeitsplatz oder in der Freizeit, leben wir oft in gut funktionierenden Generationenbeziehungen – beispielsweise, wenn die pensionierte Nachbarin auf ein Kind aufpasst und die Mutter des Kindes im Gegenzug für sie einkauft. Im beruflichen Umfeld gibt es mehrere Studien, die beweisen, dass altersdiverse Teams bessere Leistungen erbringen also solche, die nicht so durchmischt sind. Solche losen Abhängigkeiten gibt es viele. Das Zusammenleben der verschiedenen Generationen funktioniert in fast allen Lebensbereichen sehr gut.