Die eigenen vier Wände mit Ablaufdatum

Für viele Menschen ist Wohneigentum zu teuer geworden. Ein neues Modell könnte für sie den Traum von den eigenen vier Wänden doch noch möglich machen: Wohneigentum auf Zeit. Die Finanzexpertin Yvonne Seiler Zimmermann erklärt, wie die neue Eigentumsform den Wohnungsmarkt verändern könnte.

Wohneigentum auf Zeit

Jüngere Menschen gehören zur Hauptzielgruppe von Wohneigentum auf Zeit. Sie haben oft noch kein grosses Vermögen angespart, obwohl sie ein genügend hohes Einkommen für eine eigene Wohnung hätten.

Yvonne Seiler Zimmermann, wie viel spart eine Käuferin oder ein Käufer tatsächlich durch Wohneigentum auf Zeit?

Bei Wohneigentum auf Zeit kaufen die Eigentümerinnen und Eigentümer eine Wohnung auf 30 Jahre befristet. Wenn wir von einer durchschnittlichen Lebensdauer einer Immobilie von 100 Jahren ausgehen, liegt der Kaufpreis somit bei ungefähr 30 Prozent des tatsächlichen Marktwerts. Kaufe ich also eine Wohnung, die einen Marktwert von einer Million hat, zahle ich dafür noch 300’000 Franken. An Eigenmittel muss ich dann rund 60’000 Franken mitbringen. Auch die Hypothekarzinslast ist entsprechend tiefer als beim traditionellen Wohneigentum.

Kann sich damit plötzlich jede und jeder eine eigene Wohnung leisten?

Soweit würde ich nicht gehen. Wohneigentum auf Zeit macht das Wohnen in den eigenen vier Wänden zwar für breitere Bevölkerungskreise erschwinglich. Wie beim traditionellen Wohneigentum müssen die Käuferinnen und Käufer aber auch hier mindestens 20 Prozent Eigenmittel einbringen. Eine finanzielle Hürde bleibt also.

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In einer Minute erklärt: So funktioniert Wohneigentum auf Zeit.

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Wo liegt der Unterschied zum Mieten?

Unsere Berechnungen zeigen, dass die Eigentümerinnen und Eigentümer auf Zeit auch gegenüber der Miete rund zehn bis 15 Prozent einsparen können. Im Gegensatz zur Miete sind sie nach Abschluss des Kaufvertrags zudem als Stockwerkeigentümer im Grundbuch eingetragen. Sie können dann mit ihrer Wohnung machen, was sie wollen, genau wie traditionelle Eigentümer.

Und wo ist der Haken?

Ein klarer Nachteil des Modells ist, dass die Wohneigentümer auf Zeit nicht von potenziellen Wertsteigerungen des Wohnobjekts profitieren können.

Wie meinen Sie das?

In der Schweiz steigen die Immobilienpreise seit Jahren stetig. Von dieser Wertsteigerung haben Wohneigentümerinnen und Wohneigentümer auf Zeit nichts, da das Objekt nach Ablauf der befristeten Zeit wieder an den ursprünglichen Investor zurückgeht. Eine Wohnung, die mit diesem Modell gekauft wird, kann also nicht als Wertanlage dienen. Andersrum tragen Wohneigentümer auf Zeit auch das Risiko eines potenziellen Wertverlusts der Immobilie nicht.

«Wohneigentümerinnen und Wohneigentümer auf Zeit können ihre Wohnung nicht weitervererben.»

Das wertvollste an Wohneigentum ist häufig das Grundstück, auf dem das Gebäude steht. Auch davon haben Wohneigentümerinnen und Wohneigentümer auf Zeit nichts.

Bei Einfamilienhäusern trifft das sicherlich zu. Wohneigentum auf Zeit eignet sich allerdings vor allem für Mehrfamilienhäuser, bei denen die Eigentümerinnen und Eigentümer nur eine Wohneinheit kaufen. Da ist der Wertanteil des Grundstücks auch bei beim traditionellen Stockwerkeigentum relativ klein.

Gibt es überhaupt eine Nachfrage nach befristetem Wohneigentum? Viele Menschen haben schliesslich eine starke, emotionale Bindung zu ihrem Eigenheim. Sie möchten das Haus oder die Wohnung später an ihre Kinder vererben.

Das stimmt. Oftmals bleibt ein Einfamilienhaus oder auch eine Eigentumswohnung über mehrere Generationen im Besitz der gleichen Familie. Beim Wohneigentum auf Zeit ist das nicht möglich. Das Eigentumsrecht kann nicht weitervererbt oder über die 30 Jahre hinaus an eine Drittpartei abgegeben werden. Das Prinzip von Eigentum auf Zeit ist aber auch Ausdruck eines Paradigmenwechsels, der spürbar ist.

In welche Richtung geht dieser Wechsel?

Weg von «alles für immer besitzen müssen» hin zu einem Denken in Lebensphasen. In den verschiedenen Lebensphasen ändern sich die Bedürfnisse. Das gilt auch für die Wohnsituation. Wohneigentum auf Zeit entspricht diesem Zeitgeist. Das hat eine Akzeptanzstudie gezeigt, die wir vor einigen Jahren durchgeführt haben. Gerade bei der jüngeren Generation spielt der Gedanke ans Vererben zudem eine viel kleinere Rolle als das früher der Fall war.

«Die Immobilienbranche ist nicht gerade für ihre Innovationsfreudigkeit bekannt.»

Dann ist das Modell vor allem für jüngere Menschen attraktiv?

Sie gehören auf jeden Fall zur Hauptzielgruppe. Gerade für junge Familien ist das Stockwerkeigentum auf Zeit spannend. Sie kaufen die Wohnung, wenn die Kinder noch klein sind. Nach den 30 Jahren sind die Kinder ausgeflogen und die Eltern können beispielsweise in eine kleinere Wohnung ziehen. Generell ist das Modell für Leute attraktiv, die gerne in den eigenen vier Wänden wohnen möchten, sich das aber auf dem herkömmlichen Weg nicht leisten könnten. Spannend kann Wohneigentum auf Zeit auch für junge Rentnerinnen und Rentner sein, die für ihren Ruhestand nochmals die Wohnsituation ändern möchten.

In der Schweiz gibt es erst ein einziges Mehrfamilienhaus, bei dem Wohneigentum auf Zeit angeboten wird. Wieso tut sich die Immobilienbranche so schwer damit?

Die Immobilienbranche ist nicht gerade für ihre Innovationsfreudigkeit bekannt. Neue Konzepte brauchen naturgemäss Zeit, bis sie zum Fliegen kommen. Es fehlt wohl auch noch das Verständnis dafür, dass diese neue Eigentumsform das traditionelle Wohneigentum nicht konkurrenziert, sondern ergänzt. Gerade für Banken besteht mit dieser Eigentumsform die Möglichkeit, neue Kundensegmente zu erschliessen.

Inwiefern?

Wohneigentum auf Zeit ist verhältnismässig sehr günstig. Entsprechend verdient die Bank bei der Vergabe einer Hypothek an einen Wohneigentümer auf Zeit weniger, als wenn sie die Hypothek an eine «herkömmliche» Eigentümerin vergibt. Für sie lohnt sich das Modell erst, wenn sie viele solche Hypotheken vergeben können.

«Es könnte zu einem Verdrängungseffekt im Mietwohnungsmarkt kommen.»

Welche Liegenschaftsbesitzer sind besonders geeignet, um Wohneigentum auf Zeit anzubieten?

Am interessantesten ist dieses Modell für institutionelle Investoren mit langfristigen Verpflichtungen, wie etwa Pensionskassen und Lebensversicherungen. Unsere Berechnungen zeigen, dass gerade im heutigen Tiefzinsniveau Wohneigentum auf Zeit finanziell für sie attraktiver ist als Renditeliegenschaften, bei denen die Wohnungen vermietet werden.

Welche Folgen hat das für den Mietwohnungsmarkt?

Es könnte zu einem Verdrängungseffekt führen. Wenn die Investoren einmal gemerkt haben, dass Wohneigentum auf Zeit ein attraktives Rendite- und Risikoprofil hat, werden sie vermehrt darin investieren. Das hätte einen Einfluss auf die Preise und auf das Angebot im Mietwohnungsmarkt. Zu spüren bekämen das diejenigen Bevölkerungsgruppen, für die Wohneigentum auf Zeit keine Option ist – sei es, weil sie sich nicht über eine längere Zeit verpflichten möchten, oder weil sie sich auch diese Eigentumsform nicht leisten können.

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Innosuisse-Forschungsprojekt zu Wohneigentum auf Zeit

Die Hochschule Luzern hat im Rahmen eines Forschungsprojekts, das von Innosuisse mitfinanziert wurde, ein Handbuch zu Wohneigentum auf Zeit erarbeitet. Es soll die Vor- und Nachteile sowie die Risiken dieser neuen Eigentumsform aufzeigen. Die Autorinnen und Autoren des Handbuchs sind Prof. Dr. Yvonne Seiler Zimmermann, Prof. Dr. Gabrielle Wanzenried und Mischa Folger.

HIER gibt es das Handbuch als PDF.

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