«Wir möchten Menschen motivieren, in sich selbst zu investieren»

Bildung ist ein hochemotionales Thema, meint Christian Gisi, Verantwortlicher für Marketing und Kommunikation der Hochschule Luzern. Ein Gespräch über Markenführung, den Umgang mit Datenkraken und die neue Plattform «News & Stories», die das Magazin ablöst.

Wie viel Zeit verbringst Du täglich mit dem Smartphone?

Im Alltag ziemlich viel. Auch ich kann und will dem digitalen Dauerrauschen kaum entkommen. Unser aller Kommunikations- und Mediennutzungsverhalten hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, kann das gut beobachten: Den Begriff «offline» können wir getrost aus unserem Wortschatz streichen, das Smartphone vereint so viele Funktionen, dass es aus dem Leben der allermeisten Menschen schlicht nicht mehr wegzudenken ist.

Was bedeutet das für die professionelle Kommunikation einer Hochschule?

Etwas auf gut Glück «an alle» zu adressieren, funktioniert weit weniger als früher. Konsumentinnen und Konsumenten holen sich das, was sie brauchen und was sie interessiert – ob das Musik ist, ein Kochrezept oder Informationen zu einem Bildungsangebot. Genau dann, wenn jemand auf Informationssuche ist, müssen wir präsent sein mit den Inhalten, die für diese Person zu diesem Zeitpunkt relevant sind. «Content Marketing» nennt sich diese Taktik im Fachjargon.

Von der KV-Absolventin, die studieren möchte, bis zum Sozialarbeiter, der sich für eine Weiterbildung interessiert – wie gelingt es, so unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen? 

Mit unseren relativ bescheidenen Mitteln müssen wir uns sehr genau überlegen, wie wir den Werbefranken verwenden. Wir setzen einerseits auf Massnahmen, die stark auf diese einzelnen Zielgruppen zugeschnitten sind, spezifische Werbung auf Social-Media-Plattformen und Google oder Themen-Blogs. Andererseits versuchen wir, im Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit einen Platz zu erobern – dafür ist die Präsenz in den klassischen Medien wichtig. Wenn die «Luzerner Zeitung» oder die SRF-Tagesschau über eines unserer Forschungsprojekte berichtet, ist die Reichweite enorm, die Glaubwürdigkeit hoch und die Imagewirkung in der Regel sehr positiv.

«Die Aufmerksamkeitsspanne ist massiv gesunken. Ich sehe das auch als Ansporn.»

Ist die Kommunikation mit den unter 20-Jährigen eine besondere Herausforderung?

Sie sind die ersten «echten» Digital Natives und haben das Internet und Handys von Geburt an erlebt. Diese Generation verändert ihre Kommunikationsgewohnheiten schneller als andere. Das bedeutet auch für uns, dass wir sehr beweglich sein müssen. Wenn sich junge Menschen über ein Studienangebot informieren, verlaufen 90 Prozent ihres Such- und Vergleichsprozesses digital: Sie schauen sich Youtube-Videos an, surfen auf der Website, durchforsten die Social-Media-Kanäle und werden vor allem via Netzwerke von ihrem Umfeld beeinflusst. 

Und sie haben hohe Erwartungen an das, was ihnen präsentiert wird …

Sie sind den Umgang mit einer Flut von Bildern und Informationen gewöhnt und selektionieren gnadenlos aus. Wer Informationen nicht auf den Punkt bringt, verliert sie. Die durchschnittliche Betrachtungsdauer unserer Videos beträgt auf den Social-Media-Kanälen nur etwa sechs Sekunden … 

Frustriert Dich das nicht?

Die Aufmerksamkeitsspanne ist massiv gesunken – das kann man kritisieren oder bedauern. Ich sehe das auch als Ansporn, unsere Botschaft schneller und präziser zu platzieren. 

Du hast Kampagnen für einen international bekannten Outdoor-Ausrüster verantwortet. Was ist der grösste Unterschied zum öffentlichen Auftritt einer Hochschule?

Bei der Vermarktung von Produkten wie Rucksäcken oder Softshell-Jacken spielt es eine grosse Rolle, wie die Marke und die physische Ware am Verkaufspunkt präsentiert werden. Bildung ist ein sehr abstraktes «Produkt», da sind Vertrauen und Identifikation die entscheidenden Faktoren. Das Engagement und die Auseinandersetzung mit dem Angebot sind noch viel intensiver. Die Studierenden binden sich schliesslich für mehrere Jahre an uns. 

Gibt es auch Ähnlichkeiten?

Die grosse Emotionalität der Themen. Bildung, also mehr über die Welt und über sich selbst zu erfahren, das bewegt den Menschen sehr. Für Kommunikations- und Marketingexperten bieten sich unendlich viele Ansätze, grossartige Geschichten zu erzählen, die beim Gegenüber haften bleiben und etwas auslösen. 

«Den Begriff ‹offline› können wir getrost aus unserem Wortschatz streichen.»

Welche Rolle spielen Emotionen bei der Wahl der Hochschule?

Ich bin überzeugt, dass Emotionen und Assoziationen am Ende mindestens so relevant sind wie rationale Kriterien. Wir schieben diese allenfalls einem Bauchentscheid hinterher, der längst gefällt ist. Umgekehrt funktioniert das nicht: Ist die Einstellung gegenüber einer Marke negativ, vermögen meist auch die besten Argumente nicht, einen Entscheid umzustürzen.

Gibt es Grenzen in der «Vermarktung» von Bildung?

Als öffentliche Bildungsinstitution bewegen wir uns in einem komplexen politischen Kontext und der ist nicht immer frei von Widersprüchen.

Kannst Du das an einem Beispiel veranschaulichen?

Einerseits möchten wir als Hochschule Luzern bestmöglich sichtbar sein. Andererseits ruft eine starke Präsenz im öffentlichen Raum, etwa durch eine breit angelegte Kampagne, schnell einmal Kritiker auf den Plan, die sich Sorgen über die Verwendung öffentlicher Mittel machen. Sind nun aber ausschliesslich unsere Mitbewerber aus den anderen Schweizer Regionen präsent, macht sich ebenfalls Unruhe breit. Nicht zuletzt bei unseren Mitarbeitenden, die sich dann fragen: Schläft unsere Marketingabteilung?

Ein Paradoxon, das schwer aufzulösen ist. Gibt es weitere Herausforderungen?

Wir vereinen an der Hochschule Luzern sehr unterschiedliche Kulturen. Von der Dozentin für Akkordeon bis zum Blockchain-Spezialisten haben alle ein eigenes Bild von ihrer Hochschule und von gelungener Kommunikation. Eine stringente Markenführung aber erfordert manchmal eine fast diktatorisch anmutende Strenge. Das ist im diskussionsfreudigen Klima einer Hochschule nicht immer einfach zu vermitteln. Wenn wir uns aber anschauen, mit welcher Geschwindigkeit sich Kommunikation verändert und wie dynamisch die Bildungsbranche ist, ist offensichtlich, dass wir schnellere und mutigere Entscheide brauchen.

Man könnte argumentieren, der Inhalt, also ein bestimmtes Studienangebot, ist wichtig und nicht welche Hochschule diesen anbietet … 

Wer sich für eine Aus- oder Weiterbildung entscheidet, verlässt sich auf die Reputation einer Institution. Das ist im Bildungsbereich nicht anders als in anderen Branchen. Wir haben mit der Hochschule Luzern eine sehr starke Marke und wir sollten diese hüten. Sie steht letztlich für unser Qualitätsversprechen und unsere Werte. 

25 Bachelor-, 15 Masterstudiengänge und über 200 Weiterbildungen – wie kann es gelingen, jedes dieser Angebote bekannt zu machen?

Es ist bei unserem Budget illusorisch, jedes Produkt einzeln zu vermarkten – dafür muss man kein Mathematiker sein. Bislang verteilen wir unsere Ressourcen für Kommunikation und Marketing noch zu sehr mit der Giesskanne – da verdunstet einiges, bevor es den Boden erreicht. Wir sollten uns noch mehr auf unsere «Leuchttürme» fokussieren, von ihrer Bekanntheit und Ausstrahlung profitieren alle anderen Angebote. 

Wo hat die Hochschule Luzern in ihrer Aussendarstellung sonst noch Potenzial? 

In einigen Studienbereichen kommen mehr als drei Viertel der Studierenden aus Kantonen ausserhalb des Konkordats. Wir sind in der Zentralschweiz zu Hause, aber national bekannt und relevant. Viele unserer Produkte gehören zum Allerbesten, was der Schweizer Bildungsmarkt zu bieten hat. Gerade unsere Erfahrung in der interdisziplinären Zusammenarbeit – im Studium wie in der Forschung – könnten wir noch besser sichtbar machen. Ebenso unsere Herkunft, denn einzelne Fachbereiche blicken auf eine über 100-jährige Geschichte zurück.

«Die ‹Vermarktung› unserer Hochschule ist immer auch Standortförderung.»

Es gibt Stimmen, die meinen, eine Hochschule müsste überhaupt kein Marketing betreiben. Was entgegnest Du?

Wir möchten Menschen motivieren, in sich selbst zu investieren – ich finde das ein sehr erstrebenswertes Ziel. Kommt hinzu, dass die Marke «Hochschule Luzern» der Zentralschweiz eine Ausstrahlung als Innovationsraum verleiht. Die «Vermarktung» unserer Hochschule ist also immer auch Standortförderung und somit gut investiertes Geld, von dem die Region profitiert. 

Die Hochschulen konkurrieren um Studierende, ist das sinnvoll? 

Ein gewisses Mass an Wettbewerb ist politisch gewünscht, damit die Hochschulen ihre Angebote am Puls der Zeit halten. Bewegte sich jede Hochschule in einem genau vorgegebenen geografischen oder thematischen Bereich, würde dies auf eine Stagnation hinauslaufen. Das wäre weder für Studieninteressierte positiv noch für unsere gesamte Bildungslandschaft – auch im internationalen Vergleich. 

Information und Kommunikation sind immer stärker technologie- und kommerzgetrieben, Stichwort Roboterjournalismus und Chatbots. Jede Form von Aufmerksamkeit wird ökonomisiert, wie wirkt sich das aus?

Ich frage mich tatsächlich auch, wer den grossen Tech-Konzernen die Stirn bietet. Sie aggregieren Inhalte und Daten, die entweder Allgemeingut oder persönliches Gut sind, und stellen diese exklusiv dem Meistbietenden zur Verfügung. Ein Geschäftsmodell, dass eigentlich auf Enteignung basiert …

«Wir wollen die Hoheit über unsere eigenen Inhalte behalten und nicht komplett von fremden Plattformen abhängig sein.»

Spielt das Marketing mit dem Bedürfnis, möglichst viel über die Kunden zu erfahren, hier nicht eine Rolle als Erfüllungsgehilfe?

Absolut, man ist da schon zerrissen. Einerseits will man mit Google-Ads, mit Werbung auf Facebook und Co. dort sein, wo das Publikum ist, andererseits treibt man damit etwas mit voran, das man nicht bedingungslos gutheisst. Für uns ist es deshalb ein sehr wichtiger Schritt, jetzt in eine eigene Plattform zu investieren, unsere News-Plattform «News & Stories». Wir wollen damit auch die Hoheit über unsere eigenen Inhalte behalten und eben nicht komplett von fremden Plattformen abhängig sein, die über Nacht nach ihrem Gusto die Regeln ändern. 

Warum lohnt sich ein Besuch auf news.hslu.ch? 

Weil es hier überraschende Einblicke in den Mikrokosmos Hochschule gibt. Ob Forschende, die an neuartigen Textilien tüfteln, Expertinnen, die Versuchsreihen für die Weltraumstation ISS vorbereiten, oder Studierende, die sich noch während dem Studium selbstständig machen – die Hochschule ist ein Raum von Möglichkeiten, den wollen wir ausleuchten. 

Diese Ausgabe des Magazins ist die letzte. Heisst das: Die Hochschule Luzern kommuniziert künftig ausschliesslich digital?

Wir werden unseren digitalen Auftritt klar weiter stärken, für einzelne Angebote wie auch für die Gesamtkommunikation der Hochschule. Die News-Plattform und ein neues Newsletter-Konzept sind wichtige Schritte. Ganz bewusst setzen wir aber einen Kontrapunkt mit einer Print-Publikation, die jeweils zum Jahresbeginn erscheinen wird – für alle, die gerne etwas in der Hand haben. Ich selber habe eine ausgeprägte Affinität zum Gedruckten – mein Vater war Buchdrucker und ich bin mit dem Geruch von Büchern gross geworden.

Zur Person

Christian Gisi, geboren 1979, studierte Soziologie und Publizistik an den Universitäten Lausanne und Zürich sowie Betriebswirtschaft an der ETH Zürich. Seit 1. März 2018 leitet er die Abteilung Marketing & Kommunikation und ist Mitglied der Hochschulleitung der Hochschule Luzern. Zuvor prägte er während sieben Jahren als Head of Marketing Communications den globalen Markenauftritt der Mammut Sports Group AG.

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