Sommerwärme für den Winter

Damit die Energiewende gelingt, braucht es leistungsfähige Speicher für erneuerbare Energien. Ein Forschungsschwerpunkt der Hochschule Luzern sind neuartige Speicherlösungen für Quartiere, die sich über thermische Netze mit Wärme versorgen. Diese thermischen Speicher sind heute in der Lage, Wärme aus den Sommermonaten in die kalte Jahreszeit zu übertragen. Gespräch mit dem Experten Willy Villasmil.

Ungenutzte Industrieräume eignen sch für saisonale thermische Speicher. ©swisspor AG und Hochschule Luzern

Ungenutzte Industrieräume eignen sich für saisonale thermische Speicher. ©swisspor AG und Hochschule Luzern

Willy Villasmil, Ihre Forschungsgruppe an der Hochschule Luzern befasst sich mit «thermischen Energiespeichern». Könnte man dazu auch einfach «Wärmespeicher» sagen?

Thermische Energiespeicher sind das, was man umgangssprachlich als Wärmespeicher bezeichnet. Als Wissenschaftler bevorzugen wir den Begriff ‹thermische Energiespeicher›, nicht nur weil er physikalisch korrekter ist, sondern auch, weil er Wärme- wie Kältespeicher abdeckt. Thermische Speicher sind uns aus dem Alltag vertraut: Praktisch jede Wohnung hat einen Warmwassertank, der den Spitzenbedarf an Heizwärme und Warmwasser bereitstellt. Noch weit weniger verbreitet sind saisonale Wärmespeicher, die Sommerwärme in den Winter bringen. Dies, obwohl die erforderliche Technologie schon vorhanden ist.

Am guten alten Boiler gibt es für Sie vermutlich nicht mehr viel Spannendes zu erforschen?

Da kann man sich täuschen! Obwohl die klassischen Pufferspeicher, also die Wasser-Wärmespeicher zur Spitzenlastdeckung, schon längst etabliert sind, gibt es grosses Optimierungspotenzial. Zum einen haben wir gezeigt, dass durch eine intelligente Regelung das notwendige Speichervolumen um bis zu 40% reduziert werden kann – das macht sehr viel aus, vor allem wenn der Speicher im Gebäude integriert ist. Zum anderen forschen wir am Einsatz alternativer Speichermaterialien, welche mit geringem Aufwand in bestehende Pufferspeicher eingebracht werden können, um die Speicherkapazität zu erhöhen. Das ist besonders attraktiv in Kombination mit Photovoltaik-Wärmepumpen-Systemen, um den Anteil des Eigenverbrauchs von Solarstrom zu erhöhen.

Was wird weiter unternommen, um den Beitrag von thermischen Energiespeichern zur Dekarbonisierung des Wärmesektors zu beschleunigen?

Einen besonders grossen Hebel sehen wir bei der Kombination von thermischen Energiespeichern mit thermischen Netzen. Thermische Netze, wie wir sie von der ‹Fernwärme› kennen, werden immer wichtiger, wenn es darum geht, Haushalte auf effiziente und nachhaltige Art mit Wärme zu versorgen. Die Energie stammt aus Kehrichtverwertungsanlagen, aber auch aus grossen und kleinen Heizwerken. Speicherlösungen für thermische Netze werden heute intensiv diskutiert, weil der Ersatz von fossilen Energieträgern – insbesondere in den Wintermonaten – die Speicherung von Wärme aus erneuerbaren Energiequellen bedingt. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte ‹Geospeicher›, welcher bei der Energiezentrale Forsthaus des Stadtberner Energieversorgers ewb gebaut wird, um überschüssige Wärme aus dem Sommer zu speichern und im Winterhalbjahr wieder zur Verfügung zu stellen. Der Einsatz von erneuerbaren Energiequellen erfordert ein grundsätzliches Umdenken: Fossile Energieträger bieten gleichzeitig die Funktionalität als Wärmequelle und als Energiespeicher. Bei erneuerbaren Energien hingegen sind diese Funktionalitäten getrennt. Daher haben moderne, nachhaltige Energiesysteme einen erheblichen Bedarf an Wärmespeichern.

Hoch- und Niedertemperatur-Netze

Thermische Netze können ganze Agglomerationen mit Wärme und Kälte versorgen. In den klassischen Hochtemperatur-Netzen hat das Wasser Temperaturen von über 100 °C. Eine Alternative dazu sind kleinere Wärmenetze, die die Gebäude einer Überbauung oder eines Quartiers verbinden. In modernen Überbauungen kommen diese Netze mit tieferen Temperaturen aus: Da Neubauten in aller Regel sehr gut wärmegedämmt sind, können sie mit 35- bis 55-gradigem Wasser beheizt werden. Noch niedriger sind die Temperaturen in sogenannten ‹Anergienetzen›. Darunter versteht man Netze, die die angeschlossenen Häuser und weitere Bezüger je nach Bedarf mit Wärme und Kälte versorgen können. Diese Netze liefern im Winter typischerweise Heizwärme und Warmwasser, während sie an Hitzetagen im Sommer Kälte für die Raumkühlung bereitstellen. Praktisch gesehen ist ein Anergienetz ein Leitungssystem, das den angeschlossenen Häusern Wasser im Temperaturbereich von ca. 10 bis 25 °C liefert. Jedes Haus verfügt über eine Wärmepumpe, die daraus Wärme mit der gewünschten Temperatur bereitstellt. Hier stellen Wärmespeicher sicher, dass die Spitzenlast nicht durch eine grosse Wärmepumpe gedeckt werden muss.

Was gewinnt man, wenn man thermische Netze mit Speichern ausrüstet?

Was ein Boiler im Haushalt leistet, leisten thermische Energiespeicher in thermischen Netzen: Sie gewährleisten, dass jederzeit genügend Wärme vorrätig ist, auch zu Zeiten, wenn gerade keine Wärme produziert wird. In der Nähe von Küssnacht am Rigi wurde in den letzten Jahren ein Fernwärmenetz für mehrere tausend Haushalte aufgebaut, das durch ein Holzheizkraftwerk gespeist wird. Dort stellt ein 45 Meter hoher Warmwasserspeicher sicher, dass immer genügend Wärme zur Verfügung steht.

Die Bedeutung von thermischen Energiespeichern reicht noch viel weiter: Diese Speicher sind heute in der Lage, Wärme vom Sommer in den Winter zu verschieben. Man kann beispielsweise Wasser im Sommer mit Solarwärme erhitzen und dann in einem Tank aufbewahren, um im Winter damit Warmwasser für Heizung und Bad bereitzustellen. Man spricht dabei von «saisonalen Wärmespeichern». Solche Wärmespeicher helfen, thermische Netze zu dekarbonisieren, also die Wärmeversorgung das ganze Jahr mit erneuerbaren Energien sicherzustellen. Gegenwärtig werden Spitzenlasten im Winter noch immer sehr oft mit Öl- und Gaskesseln abgedeckt, also mit klimaschädlichen Energieträgern, die aus dem Ausland importiert werden müssen.

Man würde denken, dass das im Sommer erhitzte Wasser auskühlt, bevor man es im Winter brauchen kann. Funktioniert saisonale Speicherung tatsächlich?

Es mag erstaunen, aber es funktioniert! Die Firma Jenni Energietechnik AG aus dem Kanton Bern hat schon mehrere Mehrfamilienhäuser mit grossen Warmwasserspeichern ausgerüstet. Die Speicher werden an Tagen mit Sonnenschein über Solarkollektoren mit heissem Wasser von bis zu 90°C gefüllt. Das reicht, um den Wärmebedarf des Mehrfamilienhauses über das Jahr allein mit Solarenergie zu decken. Voraussetzung ist, dass solche Häuser über eine sehr gute Wärmedämmung verfügen.

Dass grosse Wärmespeicher tatsächlich funktionieren, sieht man auch im Ausland. Dänemark beispielsweise ist sehr fortschrittlich beim Einsatz leistungsfähiger thermischer Energiespeicher in thermischen Netzen. Grosse Wärmespeicher sind nicht nur technisch realisierbar, sie arbeiten auch wirtschaftlich.

Thermische Energiespeicher sind heute in der Lage, Wärme vom Sommer in den Winter zu verschieben.

Saisonale thermische Energiespeicher müssen gross genug sein, um genügend Wärme speichern zu können.

Das ist korrekt, konventionelle Lösungen zur saisonalen thermischen Energiespeicherung sind typischerweise mit einem hohen Platzbedarf verbunden. In unserer Forschung suchen wir deswegen nach Wegen, um die Speicher zu verkleinern und deren Einbau im Untergrund zu ermöglichen. Ein Ansatz besteht darin, bestehende Hohlräume – z.B. unbenutzte Luftschutzräume oder Bunker – in Speicher umzufunktionieren. In einem Projekt haben wir zusammen mit dem Dämmstoffhersteller swisspor eine neue Lösung entwickelt, um solche Räume von innen abdichten und wärmedämmen zu können, damit die Einspeicherung von warmem Wasser möglich wird. Ein wesentlicher Vorteil dieser Lösung besteht darin, dass durch die Umnutzung bestehender Infrastruktur die Investitionskosten erheblich reduziert werden können. Nach der erfolgreichen Umsetzung eines ersten Pilotspeichers arbeiten wir nun unter anderem mit dem ‘Swiss Center of Applied Underground Technologies’ (SCAUT), um diese Lösung in einer noch grösseren Skala in Kombination mit thermischen Netzen zu realisieren. Ein zweiter Weg zur Lösung des Platzproblems besteht darin, die gesamte Speicherkapazität von Wasser konsequent zu nutzen, wie das in einem Eisspeicher geschieht.

Ausgerechnet ein Eisspeicher ist in der Lage, besonders viel Wärme zu speichern?

In der Tat! Eisspeicher werden heute in der Schweiz schon mancherorts zur saisonalen Wärmespeicherung eingesetzt. Ein Eisspeicher ist nichts anderes als ein Tank oder eine Betonwanne voll Wasser. Dem Wasser kann man Wärme entziehen, bis es 0 °C kalt ist. Das ist die sogenannte «sensible» Wärme. Damit aber nicht genug. Man kann dem Wasser nämlich weiter Wärme entziehen, bis es vereist ist. Dabei spricht man von ‹latenter› Wärme. Auch wenn man das nicht unbedingt vermuten würde: In Wasser steckt sehr viel latente Wärme, und genau das nutzt man mit Eisspeichern aus. Im Phasenübergang des Wassers von flüssig zu fest steckt so viel Energie, wie erforderlich ist, um Wasser von 0 auf 80 °C aufzuheizen. Und so geht es: Im Sommer wird das Wasser im Tank so stark wie möglich erhitzt – typischerweise bis ca. 20 °C. In der Heizperiode entzieht man dem Speicher dann erst die sensible Wärme (man kühlt ihn also bis 0 °C ab), und später die latente Wärme (man vereist ihn).

Wir forschen an der Hochschule Luzern daran, latente Wärme auch aus anderen Materialien – sogenannten Phasenwechsel-Materialien – zu gewinnen. Speicher, die latente Wärme nutzen, sind besonders geeignet für den Einsatz in thermischen Netzen, die bei tiefen Temperaturen arbeiten. In solchen Netzen beträgt die Temperaturspreizung (also die Temperaturdifferenz zwischen Vor- und Rücklauf vom Netz) nur ein paar Kelvin. Bei solch geringen Temperaturdifferenzen kann nur wenig thermische Energie pro Volumen gespeichert werden. In diesem Fall können Latentspeicher fünf bis sieben Mal so viel Energie speichern wie klassische Warmwasserspreicher, die nur die sensible Wärme nutzen.

Phasenwechsel-Materialien

Phasenwechsel-Materialien sind Materialien, die beim Wechsel des Aggregatzustandes (in der Regel fest/flüssig) Wärme abgeben bzw. aufnehmen. Mit diesen Materialien (zum Beispiel Salz-Wasser-Mischungen) kann man Speicher für sensible und latente Wärme bauen. Diese Speicher funktionieren ähnlich wie Eisspeicher, vereisen aber nicht bei 0 °C, sondern bei einer beliebigen höheren Temperatur. Solche Lösungen werden von ‹Cowa Thermal Solutions› – einem Start-up der Hochschule Luzern – angeboten . Die Firma hat Kunststoffkapseln entwickelt, die mit neuartigen Phasenwechsel-Materialien gefüllt sind, die zum Beispiel bei 30 oder 60 °C schmelzen bzw. gefrieren. Wenn man die Kapseln in einen Wassertank gibt, lässt sich das Potenzial latenter Wärmespeicherung bei höheren Temperaturen nutzen als in Eisspeichern. Das ist energetisch und wirtschaftlich von Vorteil, weil die Wärmepume dank der höheren Temperatur des Speichers eine höhere Arbeitszahl erreicht. Bisher finden die Kunststoffkapseln in Kurzzeitspeichern Verwendung. Die Forscher um Willy Villasmil arbeiten daran, solche Kapseln auch für saisonale thermische Energiespeicher, sowohl für Gebäude als auch für thermische Netze, zu nutzen.

Trotz der Vorzüge sind saisonale thermische Energiespeicher noch nicht weit verbreitet.

Ja, das ist so, und dies, obwohl die Speicher auch wirtschaftlich gesehen sehr interessant sind. In Zusammenarbeit mit der aae suisse und anderen Forschungspartnern haben wir vor kurzem ein Positionspapier ausgearbeitet, um die Politik und die breitere Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren. Ausserdem haben wir jüngst ein neues Forschungsprojekt zu diesem Thema gestartet, das vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wird. Gemeinsam mit Partnern aus der Politikwissenschaft werden wir bei Ingenieuren, Bauherren, Behörden, Investoren und weiteren relevanten Zielgruppen systematisch erforschen, wie man die bisherige Zurückhaltung bei der Nutzung von saisonalen thermischen Energiespeichern überwinden kann.

Grosse Wärmespeicher sind nicht nur technisch realisierbar, sie arbeiten auch wirtschaftlich.

Viele Menschen schwören auf ein Kirschkernkissen, weil es wohlige Wärme spendet. Das zeigt: Man kann Wärme nicht nur mit Wasser speichern.

Das Kirschkernkissen ist ein gutes Beispiel. Die Kirschkerne haben die Eigenschaft, Wärme sehr langsam abzugeben, deshalb sind sie so beliebt. Wir suchen für unsere thermischen Energiespeicher auch Speichermedien mit unterschiedlichen Eigenschaften. Wasser ist ein patentes Speichermedium, aber der Stoff hat seine Grenzen. Deshalb untersuchen wir auch andere Speichermedien. Diese sind beispielsweise erforderlich für industrielle Prozesse, die Wärme von mehr als 100 °C benötigen. Da kann man Wasser schlecht einsetzen, weil es ohne Druck bei 100 °C verdampft. Besser geeignet als Speichermedium sind hier Salze, Sand oder Thermoöle.

Wärme lässt sich zu einem gewissen Grad auch in den Mauern eines Gebäudes speichern. Fällt das ins Gewicht?

Auf jeden Fall! Leider wird die Gebäudehülle heute noch nicht konsequent als Wärmespeicher genutzt. An der Hochschule Luzern ist das in mehrerer Hinsicht ein Thema: Zum einen entwickeln wir Methoden, um mithilfe von öffentlich zugänglichen Daten des Schweizer Gebäudeparks die Speicherkapazität von Gebäuden überhaupt verlässlich bestimmen zu können, denn das ist alles andere als einfach. Zum anderen interessiert uns die Speicherkapazität insbesondere für den Fall, wo mehrere Gebäude durch ein thermisches Netz verbunden sind. Wir sind heute so weit, dass wir Gebäudehüllen aktiv aufheizen mit Wärme, die später an die Räume abgegeben wird. Wenn wir das tun, gewinnen wir eine zeitliche Flexibilität für den Betrieb des Heizsystems. Dabei entwickeln wir intelligente Regelstrategien mit dem Ziel, die Spitzenlasten des Netzes zu reduzieren. Wenn uns das gelingt, können wir künftig die Wärmeerzeuger und die Rohrleitung vom Netz kleiner dimensionieren und dadurch die Wirtschaftlichkeit des Netzes deutlich verbessern.

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