So präsentiert sich also der Campus Horw in rund acht Jahren: Zwei Neubauten im Norden und im Süden; dort, wo heute die Mensa ist, befindet sich künftig ein Park. Und die Trakte I bis IV gibt es zwar nach wie vor, sie sind jedoch ein Stockwerk höher und verfügen über Balkone. Rund 4’000 Studierende und 1’000 Mitarbeitende forschen, lehren und lernen dann hier, strömen über Mittag in die Mensa, ziehen sich in die Bibliothek zurück, planen Start-ups oder büffeln gemeinsam für die nächste Prüfung. Das Projekt «gravity» des Planungsbüros Penzel Valier AG aus Zürich hat den Architekturwettbewerb für den Campus Horw für sich entschieden.
Christian Hönger, der Kanton Luzern als Bauherr spricht davon, wie wichtig Interaktion in diesem Projekt sei. Wie sieht das aus, wenn Architektur Interaktion ins Zentrum stellt?
Es handelt sich um das Projekt, das am wenigsten Boden für die Gebäude benötigt, weil es in die Höhe baut. Dadurch bleibt Raum für eine grosszügige Parklandschaft, also einen Begegnungsraum. Mensa und Bibliothek, die beide Hochschulen gemeinsam nutzen, sind im Norden und im Süden – die Mensa ist bei der Pädagogischen Hochschule Luzern, die Bibliothek bei der Hochschule Luzern – Technik & Architektur angesiedelt. Das führt dazu, dass man sich auf dem Gelände bewegt, was zufällige Zusammentreffen und informelle Gespräche ermöglicht. Die Treppen zwischen den bestehenden Gebäuden sind auch Sitzgelegenheiten, also wiederum Orte des Austauschs. Das macht auch Lust, vom Quartier her auf den Campus zu kommen, was Interaktionsmöglichkeiten über die Hochschulen hinaus bietet.
Nachhaltigkeit ist für das Departement Technik & Architektur ein Thema, das Lehre und Forschung prägt. Spiegelt das Projekt dies wider?
Oh ja – diese Gebäude kann das Departement Technik & Architektur in den Lehrplan einbauen! Das ist neben der Konzeption der Gesamtanlage und dem Interesse an Interaktion der dritte Punkt, der dieses Projekt besonders auszeichnet. Oft wird Nachhaltigkeit quasi als Feigenblatt eingefordert. In diesem Fall war es aber für die Jury ein wichtiges Kriterium und ich war beeindruckt davon, wie vehement das Planungsbüro Penzel Valier dafür eintritt, dass die Anlage fit ist für die Zukunft – sie geben sich nicht mit «state of the art» zufrieden.
Wie äussert sich diese «Fitness» für die Zukunft?
Die beiden Neubauten sind kompakt. Das bedeutet, dass sie viel Volumen haben, aber wenig Hüllfläche, über die im Winter Heizwärme verloren geht oder über die im Sommer Hitze eindringt. Damit ist Kompaktheit einer der grössten Hebel der Nachhaltigkeit. Das Gebäudetechnik-System in den Neubauten ist intelligent: Die frische Luft wird von aussen eingespeist, die Abluft dann durch das Atrium abgeführt. Dadurch spart man Abluftkanäle im Raum und es macht im Sommer die Abkühlung in der Nacht leichter. Überhaupt ist alle Gebäudetechnik zugänglich und kann dadurch leicht angepasst werden. Das ist wichtig, weil dieser Teil am schnellsten veraltet. Weiter werden die bestehenden Trakte mit Holz aufgestockt, also einem nachhaltigen Material. Da es zudem leicht ist, muss die bestehende Struktur nicht verstärkt werden. Auf den Dächern und an den Fassaden gibt es Photovoltaik-Elemente; die Gebäude sind damit auch Kraftwerke; für Wärme- und Kälteversorgung wird der See genutzt. Für den Kanton Luzern wird der Campus in Sachen Nachhaltigkeit ein Vorzeigeprojekt.
Die Gebäude werden für mindestens ein halbes Jahrhundert gebaut. In dieser Zeit verändert sich das Lernen, Lehren und Forschen. Wie stellt man sicher, dass die Räumlichkeiten dann immer noch passen?
Wie wichtig Flexibilität ist, sieht man bei den bestehenden Bauten von 1977: Die vier Trakte, die erhalten bleiben, sind auch heute noch fit für die Zukunft, weil sie flexibel gebaut wurden. Das müssen auch die Neubauten gewährleisten. Das Projekt «gravity» geht das Thema geschickt an: Mensa, Lichthof oder Aula sind fix gebaut. Die äusseren Räume jedoch, ich nenne das mal die «Rinde» der Neubauten, haben nur bei der Fassade und zum Korridor hin Stützen, die auf jeden Fall stehenbleiben müssen. Die Zwischenwände hingegen können bei der Planung, aber auch später nach der Erstellung leicht verschoben werden.
Es wird während der Bauzeit keine Provisorien brauchen – wie funktioniert das?
Es wird zuerst eines der neuen Gebäude gebaut, das dann während des Umbaus genutzt werden kann. So muss auch kein Geld für ein Provisorien ausgegeben werden.
Das Planerbüro Penzel Valier ist strikt interdisziplinär ausgerichtet und passt dadurch sehr gut zur geforderten Interdisziplinarität auf dem Campus. Macht sich das im Siegerobjekt bemerkbar?
Ja, das ist bei diesem Team tatsächlich bemerkenswert: Christian Penzel ist Architekt, Martin Valier ist Bauingenieur. Dass eine Firma beide gleichberechtigt im Namen trägt, ist ungewöhnlich. Sie arbeiten vom ersten Strich des Entwurfs an zusammen. Bemerkbar macht sich das besonders darin, wie Architektur und Tragwerk zusammenspielen: So sind die zwei Kerne und die zwei Lichthöfe pro Neubau aus Beton. Darum herum gibt es eine «Rinde» aus Seminarräumen in Holzbauweise. Für einen solchen Entwurf braucht es von Anfang an kompetentes Architektur- und Ingenieur-Know-how.
Wird man den Campus noch wiedererkennen, wenn die Bauarbeiten abgeschlossen sind?
«Gravity» war der einzige Vorschlag, der die bisherige «rote Welt» von Technik & Architektur als Relaunch zurückbringt. Aber es wird natürlich nicht mehr die gleiche Gebäudehülle sein; die muss ersetzt werden, weil sie heutigen Vorgaben nicht mehr entspricht. Im Innern geht das Projekt mit der bestehenden Struktur hingegen sehr vorsichtig um.
Wie fügt sich der neue Campus in die Umgebung ein?
Die terrassierte Anlage führt dazu, dass die Menschen ohne Hindernisse durch den Campus strömen können. In den Erdgeschossen trifft man auf offene Türen, im Park soll es kleine Verpflegungsstände geben, und die Treppen dienen gleichzeitig als Sitzgelegenheiten. All das ist für die Bewohnerinnen und Bewohner der Umgebung zugänglich und sicher ein Gewinn an Lebensqualität. Penzel Valier haben sich auch einige Gedanken darüber gemacht, wie der Campus einen in Empfang nimmt, wenn man vom Bahnhof kommt. Hier startet «Gravity» eine richtige Charmeoffensive. Gerade im Vergleich zur heutigen Zugangssituation macht der neue Campus mit der Positionierung der Gebäude und den breiten Zugangstreppen eine einladende Willkommensgeste.