Am 15. November 2018 um 11:40 Uhr MEZ hielt das Missionsteam im Bodenkontrollzentrum BIOTESC der Hochschule Luzern den Atem an. Nach zweieinhalb Jahren intensivster Vorbereitungen und unzähliger Test- und Trainingsstunden mit CIMON auf der Erde konnte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören – höchste Konzentration und freudige Anspannung lagen in der Luft: Nach dem Software-Upload zur ISS und einem Software-Update von CIMON selbst, einem Audio-Check und einem Test der Navigations-Kamera nahm Alexander Gerst seinen neuen künstlichen Mitbewohner auf der Raumstation nicht nur in Augenschein, sondern auch in Betrieb. 90 Minuten lang dauerte die Weltpremiere, das erste «Rendezvous» zwischen dem deutschen ESA-Astronauten und dem sich autonom fortbewegenden robotischen Assistenten.
Nachdem Alexander Gerst seinen künstlichen Helfer aus seiner Box im Columbus-Modul der ISS geholt hatte, weckte er ihn mit den Worten «Wach auf, CIMON!» und die Antwort kam prompt: «Was kann ich für Dich tun?» Nach diesem ersten «Small Talk» liess Alexander Gerst CIMON frei schweben – zunächst noch ferngesteuert vom Boden. Damit wurde das so genannte «Guidance, Navigation and Control»-System in Betrieb genommen.
Ein geselliger Assistent
Es folgte die autonome Navigation mit mehreren Drehungen und Bewegungen in alle Richtungen und CIMON war in der Lage, das Gesicht von Alexander Gerst zu suchen und Augenkontakt aufzunehmen. Als Demonstration seiner Assistenzfähigkeiten zeigte CIMON auf seinem «Gesicht», einem Display in der Mitte der Kugel, die Anleitung für ein Schüler-Experiment zur Kristallbildung, ein Video mit dem Rubik-Zauberwürfel und spielte einen Musiktitel ab. Er testete seine Ultraschallsensoren, die bei ihm eine ähnliche Funktion wie die Einparkhilfe beim Auto haben und nahm mit seinen integrierten Kameras ein Video und ein Foto von Alexander Gerst auf.
Zum Abschluss brachte Alexander Gerst seinen Crew-Assistenten wieder an seinen Platz im Columbus-Modul zurück. Während der Kommissionierung hat die CIMON-Projektverantwortliche von BIOTESC, Dr. Gwendolyne Pascua, direkt mit Alexander Gerst gesprochen, um ihn durch das Experiment zu begleiten: «Die Sprachverbindung hat einwandfrei funktioniert und ich bin sehr erleichtert, dass die Zusammenarbeit mit CIMON und Alex so gut geklappt hat.»
Freude auf der Erde über Erfolg im All
«Es ist ein unglaubliches Gefühl und eine wahnsinnige Freude, zu erleben, dass CIMON wirklich sieht, hört, versteht und spricht. Dieser erste echte Einsatz im All bedeutet für uns ein Stück Raumfahrtgeschichte und stellt den Beginn für einen hoffentlich langen Einsatz auf der ISS dar», fasst Dr. Christian Karrasch, CIMON-Projektleiter in der deutschen Raumfahrtagentur im DLR zusammen. «Die Interaktion mit einer Künstlichen Intelligenz fasziniert mich. Das System CIMON ist in dieser Form weltweit einzigartig und speziell für den Einsatz auf der Internationalen Raumstation konzipiert. Wir betreten hier Neuland und erweitern den technologischen Horizont in Deutschland.» «Mit CIMON haben wir eine Vision von uns in die Realität umgesetzt. Es ist ein sehr grosser Schritt für die bemannte Raumfahrt, den wir hier gemeinsam gehen konnten. Durch CIMON haben wir den Grundstein für soziale Assistenzsysteme gelegt, die unter extremen Bedingungen zum Einsatz kommen sollen», ergänzt Till Eisenberg, CIMON-Projektleiter bei Airbus.
Zur Datenübertragung nutzte CIMON das WLAN auf der Internationalen Raumstation und stellte über Satellitenverbindung per Bodenstationen eine Internetverbindung zur IBM Cloud her. Was dann in CIMONs Gehirn abläuft, erklärt Matthias Biniok, IBM-Projektleiter, so: «Wird CIMON eine Frage gestellt oder mit ihm gesprochen, wandelt die Watson KI dieses Audiosignal zunächst in Text um, der von der KI verstanden beziehungsweise interpretiert wird. Dabei kann IBM Watson die Inhalte nicht nur in ihrem Kontext verstehen, sondern ebenso die damit verbundene Intention. Das Resultat ist eine passgenaue Antwort, die wiederum in Sprache umgewandelt und wieder an die ISS zurückgeschickt wird. So ist ein natürlicher, dynamischer Sprach-Dialog möglich.»
Dr. Bernd Rattenbacher, Teamleiter beim Bodenkontrollzentrum an der Hochschule Luzern: «Die Datenverbindung zur Erde läuft via Satellit zur NASA und zum Columbus Kontrollzentrum beim DLR in Oberpfaffenhofen. Von dort aus geht das Signal zu uns, der CIMON Bodenstation in BIOTESC, dem Schweizer User Support und Operations Center, das per Internet mit der IBM Cloud in Frankfurt verbunden ist. Die reine Signallaufzeit über die Satelliten beträgt 0,4 Sekunden in eine Richtung. Zur Datensicherheit sind viele Firewalls und VPN Tunnel aktiv.»
CIMON hat auch einen wissenschaftlichen Hintergrund. Berater sind Dr. Judith-Irina Buchheim und Prof. Alexander Choukèr von der Klinik für Anästhesiologie am Klinikum der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Judith Buchheim: «CIMON könnte als KI-Partner und Begleiter Astronauten bei ihrem hohen Pensum an Experimenten, Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten unterstützen und dadurch deren Stressexposition reduzieren.»