Kroatien, Januar 1992. Mitten in den Jugoslawienkriegen wird Christian Würtenberg, ein junger Schweizer Journalist, unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden. Zum Zeitpunkt des Todes trug er die Uniform einer internationalen Söldnergruppe. Würtenberg war 17 Jahre älter als Anja Kofmel und ihr Cousin. Als erwachsene Frau beschloss sie, seine Geschichte in «Chrigi», ihrem Abschlussfilm an der Hochschule Luzern, zum Thema zu machen.
Der Abschlussfilm als Visitenkarte
Kurz nachdem sie diesen siebenminütigen Animationsfilm 2009 fertiggestellt hatte, wurde der Anführer von Würtenbergs Kampftruppe von einem Sonderkommando der bolivianischen Geheimpolizei erschossen. Für Kofmel war dies ein Echo aus der Zeit, als ihr Cousin ermordet wurde. «Ich realisierte: hier steckt noch viel mehr dahinter als das, was ich bereits wusste.» Dem wollte sie nachgehen. Mit «Chrigi» als Visitenkarte klopfte Kofmel bei verschiedenen Produktionsfirmen an, mit dem Ziel, einen abendfüllenden Dokumentarfilm drehen zu können.
Ein eigenes Studio
Samir, selber Filmemacher und Geschäftsführer von «Dschoint Ventschr», biss an. «Ein irrer Typ!», schwärmt Kofmel, «Er ist politisch interessiert und hat keine Angst vor schwierigen Projekten.» Unterstützung fand sie aber auch bei ihren ehemaligen Dozenten: «Ted Sieger und Jochen Ehmann haben mich beispielweise sehr ermutigt», erinnert sie sich, denn der Sprung von der Produktion eines Kurzfilms zu einem langen Film sei gigantisch. «Musch halt eifach es Schtudio gründe…», sagten die beiden Dozenten. Und sie tat es. Das bedeutet unter anderem, dass 35 Animatorinnen und Animatoren in Zagreb ein Jahr lang für «Chris the Swiss» nach Vorgaben der damals 34-Jährigen zeichneten. Auch ein halbes Dutzend Absolventen der Hochschule Luzern reiste dafür nach Zagreb.
Im Schussfeld der Politik
Ihre Recherchearbeiten erwiesen sich als schwierig. «2016 kam es in Kroatien zu einem Regierungswechsel; damit kamen Leute wieder an die Macht, die im Bürgerkrieg eine zwielichtige Rolle innegehabt hatten», sagt Kofmel. Sie fand auch heraus, dass Opus Dei an den blutigen Machtkämpfen beteiligt war. So geriet sie ins Schussfeld der Politik. Am Ende musste gar die Schweizer Regierung intervenieren, um der Crew zu helfen.
Meine ehemaligen Dozenten Ted Sieger und Jochen Ehmann haben mich sehr ermutigt.
Anja Kofmel
Der Film geht um die Welt
Doch nicht nur deshalb bezeichnete sie den Film in Ihrer Dankesrede an der Verleihung des Schweizer Filmpreises als «Monster». Die Montage von animierten und dokumentarisch gefilmten Sequenzen sei extrem herausfordernd, sagt sie.
Im Frühling 2018 präsentierte Kofmel den Film in Cannes erstmals dem Publikum, seither tourt sie von Festival zu Festival und von Kinopremiere zu Kinopremiere. Sie wird an Podien eingeladen und konnte «Chris the Swiss» in einem Flüchtlingslager im Libanon zeigen. «Angesichts der politischen Lage in Europa und im nahen Osten ist mein Film heute aktueller als zu Beginn meiner Arbeit», sagt sie.
Es gibt Geschichten, die erzählt werden müssen
Reich wird sie mit diesen Aktivitäten nicht. «Dazu hätte ich einen anderen Beruf wählen müssen», grinst sie. Aber es gebe Geschichten, die einfach raus müssten. «Chris the Swiss» sei ein Antikriegsfilm. Und wenn er einen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit leiste, sei sie glücklich. Sie selber könne durch ihre Auftritte ihr Netzwerk ausbauen: «Beziehungen sind das A und O im Kulturbusiness». Auch dies sei etwas, das sie aus ihrer Zeit an der Hochschule Luzern mitgenommen habe: Zahlreiche losere und engere Bekanntschaften, auf die sie beruflich und privat immer wieder zurückgreifen könne.
Wenn sie nicht unterwegs ist, verdient sie sich ein Zubrot, indem sie Geburtsanzeigen kreiert oder live an Lesungen oder Theatervorstellungen illustriert. Und: sie arbeitet an der Finanzierung ihres nächsten Projekts – ein Spielfilm. «Mit viel Glück wird er in fünf Jahren fertig sein».