Ein Quartier packt die Energiewende an

Statt Einzellösungen eine effiziente Energiestrategie für alle: Das Luzerner Wesemlin-Quartier möchte von fossilen Heizungen wegkommen. Mit Unterstützung der HSLU wollen die Einwohnerinnen und Einwohner den Weg der Energiewende gemeinsam gehen.

Mädchen zündet Glühbirne an.

Obwohl das Fachwissen, vielversprechende Technologien und Fördermassnahmen in der Schweiz vorhanden sind, harzt es beim Umstieg auf klimaneutrale Heizformen. Zwar steigt der Anteil an Wärmepumpen, insbesondere bei Neubauten, kontinuierlich. Dennoch wurden 2023 gemäss Bundesamt für Statistik noch immer 54 Prozent aller Wohngebäude mit fossilen Energiequellen (Heizöl und Gas) beheizt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Viele Haus- und Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer erkennen zwar die ökologische Notwendigkeit und den ökonomischen Nutzen eines Umstiegs, scheuen aber die Investitionen. Sie sind unsicher, für welche Technologie sie sich entscheiden sollen und warten lieber ab.

Statt Einzelmassnahmen Gemeinschaftsprojekte

Derweil bewirken gemeinschaftliche Heizlösungen auf Quartierebene mehr als viele einzelne, unkoordinierte Massnahmen. Diese Annahme stand am Anfang des Forschungsprojektes QUBE der Hochschule Luzern und Innosuisse. Dabei ging es nicht nur darum, Energiekooperationen auf Quartierebene anzustossen und zu fördern: Das transdisziplinäre Projektteam hat eine Methode entwickelt, um Veränderungsprozesse erfolgreich begleiten zu können. Dabei wurden die technischen und sozialen Aspekte der Transformation gleichermassen berücksichtigt. Um der Komplexität des Vorhabens gerecht zu werden, engagierten sich neben verschiedenen Praxispartnern gleich drei Departemente der HSLU mit mehreren Instituten (siehe Infobox).  

Wissen teilen und gewinnbringend nutzen

Das QUBE-Projektteam testete seine Methode im Luzerner Quartier Wesemlin. Es ging darum, gemeinsam mit allen Akteuren nachhaltige Heizlösungen für das Quartier zu finden. «Diesen Dialog ohne konkreten Vorschlag von Expertinnen und Experten zu starten, war ungewohnt», erklärt Prof. Alexa Bodammer. «Das galt es erst einmal auszuhalten.» Die Anwohnerinnen und Anwohner wurden ermutigt und ermächtigt, von Beginn an ihre Ideen und ihr vorhandenes Wissen in die Planung einzubringen – sei es in Form von Erfahrungen, Befürchtungen oder bereits getroffenen individuellen Abklärungen. Auf dieser Basis entstanden im Austausch mit Fachleuten und Behörden massgeschneiderte Lösungsansätze.

Gemeinsame Grundlage für Lösungen schaffen

Essenziell war die enge Begleitung des Prozesses durch Infoveranstaltungen, Workshops und Sitzungen. Das Forschungsteam der HSLU moderierte die Kommunikation, brachte Fachwissen und Machbarkeitsanalysen ein und unterstützte den Aufbau von Netzwerken. Die beteiligten Wirtschaftspartner liessen ihr Know-how einfliessen, während die Behörden vermittelnd oder mit Daten zur Seite standen und bei den Fördermitteln halfen. Bodammer fügt an: «Nur das Einbinden aller Akteure eines Quartiers schafft die Grundlage für tragfähige Lösungen, die den lokalen Begebenheiten und individuellen Möglichkeiten der Beteiligten am besten entsprechen.»

Kooperation als Quelle für Inspiration

Diesem Umstand pflichtet auch Stefan Mennel vom Institut für Gebäudetechnik und Energie IGE bei, der das Projekt von Anfang bis Ende begleitet hat. So sei beispielsweise sehr früh klar gewesen, dass Erdsonden für einen Teil des Quartiers nicht möglich sind, weil sie direkt über dem geplanten Tunnel des Tiefbahnhofs liegen und dort nicht gebohrt werden kann. Während für eine Einzelperson nach dieser Erkenntnis nicht viele Optionen offengeblieben wären, sei gerade dieses anfängliche Hindernis zur treibenden Kraft für innovative Ansätze geworden. «Kooperatives Vorgehen eröffnet viel grössere Lösungsräume, als man zu Beginn denkt. Denn aus dem Miteinander entstehen Mehrwerte, die sonst nicht möglich wären», ist er überzeugt.

Veränderungsbereitschaft auf allen Seiten fördern

Mit technischen Innovationen allein gelinge die Energiewende nicht, wie Projektleiterin Alexa Bodammer betont. Das Projekt QUBE habe gezeigt, wie wichtig es sei, mit den Menschen vor Ort Lösungen zu erarbeiten. «Technologische Errungenschaften lassen sich nur auf breiter Basis umsetzen, wenn sie gesellschaftlich akzeptiert sind. Die Menschen müssen für Veränderungen bereit sein und diese mitgestalten können.» Kooperative Ansätze wie im Projekt QUBE tragen zu diesem Wandel bei. Sie schaffen Gemeinschaft, fördern den Wissens- und Erfahrungsaustausch und wirken als Hebel, um gemeinsamen Interessen gegenüber Dritten mehr Gewicht zu verleihen.

Dies weiss auch Daniel Bolliger. Er nahm eine wichtige Scharnierfunktion in diesem Projekt ein: Er ist selbst seit Kindsbeinen an Bewohner des Wesemlin-Quartier, aber auch Kenner der Materie als Forscher am iHomeLab der HSLU. «Wir wollten unbedingt eine Lösung finden, welche die Ziele von Energiewende und Denkmalschutz gleichermassen vereint», sagt er. So gingen sie auf die lokalen Behörden zu und es entwickelte sich seitens Stadt eine interdisziplinäre Kommission. «Dieses Vorgehen war für die Verwaltung wie auch für uns Neuland. Das war zwar sehr zeitintensiv, hat jedoch zu tragfähigen Lösungen geführt.»

Energieversorgung ist Gemeinschaftsaufgabe

Gleichzeitig habe QUBE auf individueller Ebene einen enormen Wissenszuwachs bewirkt, sagt Bolliger. «Heute sind wir bestens informiert, um Gespräche mit Behörden oder mit Anbietern von technischen Lösungen zu führen.» QUBE wirkte dabei als Türöffner, beispielsweise bei gewichtigen Energieanbietern vor Ort. «Diesen Zugang hätte eine Einzelperson nie bekommen», ist sich Daniel Bolliger sicher.

Gemeinschaftliche Projekte zahlen sich strukturell wie auch finanziell aus. Im konkreten Fall profitieren die Liegenschafteneigentümerinnen und Liegenschaftseigentümer, weil sich anfallende Aufgaben und Kosten auf viele Schultern verteilen lassen. Nicht zuletzt trägt das kooperative Vorgehen dazu bei, potenzielle Konflikte bei der Nutzung frühzeitig zu minimieren – wie etwa Lärmemissionen von Wärmepumpen. Die Energieversorgung sei eine gemeinsame Angelegenheit, die nicht alle Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer für sich allein lösen könnten beziehungsweise lösen sollten, betont Projektleiterin Alexa Bodammer.

Lokal entwickelt, vielseitig anwendbar 

Die im Rahmen von QUBE entwickelten Modelle zur Moderation und Governance von kooperativen Prozessen für die Energiewende auf Quartierebene haben sich im Pilotprojekt im Luzerner Wesemlin-Quartier bewährt. Entscheidend, so Alexa Bodammer, sei der Fokus auf der Kommunikation und den unterschiedlichen Formen des Dialogs gewesen. «Das bei QUBE neu entwickelte Prozessmodell fördert den sozio-technischen Wandel und damit auch die Energiewende», sagt Alexa Bodammer. Als Blueprint lässt es sich in anderen Quartieren oder Städten, aber auch in anderen Themenfeldern anwenden.

Die zentrale Bedeutung der Kommunikation unterstreicht auch Stefan Mennel vom Institut für Gebäudetechnik und Energie IGE: «Disziplinenübergreifende, kooperative Zusammenarbeit bedeutet sehr viel Adaption und sehr viel Übersetzungsleistung. Nur so lässt sich sicherstellen, dass man sich richtig versteht.» Das gelte innerhalb der Projektorganisation und unter Fachleuten ebenso wie im Austausch mit den Bewohnerinnen und Bewohnern im Quartier. Sich aus dem eigenen Denkrahmen zu befreien und das Gegenüber wirklich verstehen zu wollen, sei für ihn spannend gewesen und habe das Projekt so besonders gemacht.

Umfassende Zusammenarbeit: von Studierenden bis Dozierenden

Am Projekt QUBE waren verschiedene Akteurinnen und Akteure beteiligt:

  • Departement Soziale Arbeit: Institut Soziokulturelle Entwicklung
  • Departement Wirtschaft: Competence Center CC Stadt- und Regionalentwicklung
  • Departement Technik und Architektur: Institut für Gebäudetechnik und Energie IGE
  • ZIG Zentrum für Integrale Gebäudetechnik sowie Competence Center Thermische Energiespeicher

Beim Projekt waren auch Studierende des Departements Technik und Architektur involviert. Sie haben alle Gebäudedächer im Wesemlin in Luzern erfasst und eruiert, wie viel Energie mit einer Solaranlage pro Dach und vor allem pro Quartier erzeugt werden könnte. Dies, um abzuschätzen, wie fest die Stromzuleitungen belastet würden.

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