Stadtbegrünung: Ein paar Büsche machen noch kein gutes Klima

Extreme Hitze macht das Leben vor allem in den Städten kaum erträglich. Begrünung soll helfen, die Temperatur zu regulieren. Wie wir in Sachen Stadtklima auf einen grünen Zweig kommen, erklären Expertinnen und Experten der Hochschule Luzern.

Der MFO Park in Zürich Oerlikon: eine grüne Parklandschaft, die in die Höhe geht

Der MFO-Park in Zürich Oerlikon: eine grüne Parklandschaft, die in die Höhe geht

Hier eine Allee pflanzen, dort ein Dach begrünen – davon hält Peter Schwehr, Leiter des Kompetenzzentrums für Typologie & Planung in Architektur der Hochschule Luzern, wenig. Der Experte für Stadt- und Quartierentwicklung ist zwar ein grosser Verfechter von grünen Städten, sorgen Bäume doch nicht nur für Schatten, sondern tragen durch die Verdunstung von Wasser zusätzlich zur Kühlung bei. Schwehr betont aber: «Wir müssen das grosse Ganze im Auge behalten.» Sein Ziel ist die Schwammstadt: Eine Stadt, die so konzipiert ist, dass bei starken Regenfällen das Wasser nicht einfach in der Kanalisation verschwindet, sondern die es – wie ein Schwamm eben – aufsaugen und zurückhalten kann. «Wenn die Kanalisation voll ist, überschwemmt das Wasser die Stadt. Sobald dieses Wasser abgeflossen ist, steht es nicht mehr zur Verfügung, wenn es gebraucht wird.» Eine Lösung können Pärke sein, die so gebaut sind, dass sie sich bei starken Regenfällen in einen Teich verwandeln können, ohne dass dadurch Schaden entsteht.

Die Klimaveränderungen treiben Schwehr – wie viele Expertinnen und Experten der Hochschule Luzern – um. Mehr Hitzetage, mehr Starkwetterereignisse stehen uns bevor, da sind sich die Meteorologinnen und Meteorologen einig. Und unsere Städte sind darauf nicht vorbereitet. Überhitzung einerseits und Überschwemmungen andererseits sind die Folge. «Dagegen braucht es nicht mehr Mauern, sondern mehr Grün und neue Konzepte für unsere Gebäude und Gemeinden, nach dem Motto ‹Grün und Blau statt Grau›», sagt Schwehr. Das werde heute zwar nicht zwingend umgesetzt, aber immerhin kaum mehr bezweifelt.

Wasser soll in einer Schwammstadt nicht einfach abfliessen, sondern gespeichert werden.

Begrünte Fassaden

Gebäude mit begrünten Fassaden sind ein Blickfang. Unbestritten ist auch, dass das vertikale Grün Innenräume vor sommerlicher Hitze schützt. Urs-Peter Menti, Co-Leiter des Instituts für Gebäudetechnik und Energie, verweist auf Singapur, wo viel mit begrünten Fassaden gearbeitet wird. «Bis zu acht Grad weniger misst man dort an der Oberfläche von Gebäuden mit begrünten Fassaden – damit wird Energie für die Kühlung von Räumen eingespart.» Aber auch er betont: «Es geht nicht um das einzelne Gebäude. Wichtig ist es, in Arealen und Quartieren zu denken und nach dem Gebäude in seinem Kontext zu fragen.» Der Gebäudetechnik-Experte Urs-Peter Menti sieht es pragmatisch: «Wir am Institut für Gebäudetechnik und Energie wollen wissen, wo man mit dem geringsten Aufwand an Geld oder Grauer Energie den grössten Effekt erzielen kann: Was bringt es genau, wenn die Oberfläche des Parkplatzes weiss statt schwarz ist? Und eben auch: Welche Wirkung hat eine begrünte Fassade?»

Wo gehören die Bäume hin?

Auch wenn die architektonischen Mittel gegen Hitzeinseln im Grundsatz bekannt sind – Pflanzen, bewegtes Wasser, Beschattung und eine Positionierung von Gebäuden, die einen Luftaustausch möglich macht – braucht es für die Planung einer Überbauung doch präzisere Information: Wo gehören die Pflanzen hin? Was hat es für Folgen, wenn eine Siedlung an einem bestimmten Ort nach Osten oder nach Westen ausgerichtet ist? Was bewirkt eine Baumallee oder eine begrünte Süd-Fassade? Diese Fragen müssen bereits im Planungsprozess beantwortet sein – nachträgliche Anpassungen sind im Normalfall kaum mehr zu finanzieren.

Wünschenswert wäre es deshalb, wenn Architektinnen, Landschaftsarchitekten und Planerinnen schon in der Phase des Projektentwurfs ein Modell zur Verfügung stünde, das in sekundenschnelle berechnen kann, was eine Veränderung der Gebäudeposition, eine begrünte Fassade oder eine Baumallee für Auswirkungen hat. Genau dies haben Markus Koschenz vom Institut für Gebäudetechnik und Energie und sein Team entwickelt. Um das Modell zu überprüfen haben die Forschenden Daten mit Hilfe von Drohnen-Messungen im Areal der Suurstoffi gesammelt. «Die Messungen haben bestätigt: Das Modell bildet die Realität gut ab», freut sich Koschenz. Die Einführung einer ersten Version steht daher kurz bevor.

Eine Drohne vor ihrem Mess-Flug in Rotkreuz. Sie wird die Daten liefern, um das Modell zu überprüfen.
Raum und Gesellschaft – ein interdisziplinäres Themenfeld an der HSLU

Die beiden Projekte «Quartierklima Modellierung» und «Quartierklima: Sozioökonomische Implikationen von Hitzeinseln» werden unterstützt vom Interdisziplinären Themenclusters (ITC) «Raum und Gesellschaft» der Hochschule Luzern, in dem auch weitere Projekte im Umfeld des Fokusthemas «Wohnen & Nachhaltigkeit» gefördert werden, das Modellierungs-Projekt auch vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI.

Pflanzen im Wind

Auf dem Campus Horw des Departements Technik & Architektur begegnet man seit 2018 allerlei Kletterpflanzen. Dafür verantwortlich ist der Bauingenieur Kilian Arnold. Er gärtnert zwar gerne und hat am Departement auch einiges über Pflanzen gelernt. Aber die Forschungsfragen, die Arnold und sein Team vom Kompetenzzentrum Gebäudehülle und Ingenieurbau stellen, haben wenig mit der Pflege der Pflanzen zu tun. Ihn beschäftigt seit seiner Diplomarbeit, welche Kräfte am Werk sind, wenn Kletterpflanzen an Seilen aufgespannt der Fassade entlang in den Himmel wachsen. In verschiedenen Forschungsprojekten betrachtet er verschiedene Aspekte des Problems, denn eines hat er gelernt: Wenn zu viele Faktoren in einem Projekt zusammenkommen, wird es schwierig, Ursache und Wirkung genau zu bestimmen.

Beim Fassadenprüfstand auf dem Campus Horw steht ein rund zwölf Meter hoher Teststand, bis zuoberst grün bewachsen. Er stammt eigentlich von einem bereits abgeschlossenen Projekt. Ein Effekt zeigt sich heute aber immer noch deutlich: Manche Pflanzen schlingen sich so um die Seile, dass diese verbogen und damit verkürzt werden – an manchen Stellen so sehr, dass der Draht schlicht aus der Befestigung gerissen wurde. An einer Seite ist jedes der Drahtseile an einem Betonklotz befestigt. Ursprünglich befanden sich alle auf der gleichen Höhe. Mittlerweile machen sich Unterschiede von bis zu 10 Zentimetern bemerkbar, weil beispielsweise die Glyzinie das Drahtseil fest im Griff hat.

Ursprünglich hingen die Betonklötze alle gleich hoch. Im Verlauf weniger Jahre haben sich einige Pflanzen so um die Drahtseile geschlungen, dass das Seil nicht mehr gerade zum Boden gespannt ist.

In der Halle hinter dem Fassadenprüfstand dröhnt es, denn hier ist Kilian Arnolds aktuelles Projekt im Gang. Er will überprüfen, was eine Windgeschwindigkeit von 45 Metern pro Sekunde mit Drahtseil und Pflanzen anrichtet. Diese Systeme müssen mit dynamischen Windkräften zurechtkommen, die das Klettersystem vor statische Herausforderungen stellen. Um solche Systeme so auszulegen, dass sie den stärksten zu erwartenden Windkräften standhalten, müssen sogenannte Luftwiderstandsbeiwerte der Kletterpflanzen bekannt sein. Dieses Wissen ist Voraussetzung für ein numerisches Berechnungsmodell.

Mit 45 m/sek fegt der Wind nur etwa alle 50 Jahre über das Schweizer Mittelland. Aber wenn er es tut, sollen Seil und Pflanzen keine zusätzliche Gefahrenquelle darstellen. Für seine Diplomarbeit konnte Kilian Arnold Windgeschwindigkeiten von bis zu 30 m/sek messen und so sein Berechnungsmodell überprüfen. Nun steht ihm für sein vom Schweizerischen Nationalfonds unterstütztes Projekt «Windkräfte in bewachsenen Seilfassaden» ein stärkerer Windkanal zur Verfügung. 14 verschiedene Kletterpflanzen untersucht Arnold mit seinem Team dafür. Für den Anfang arbeiten die Forscher mit Plastikpflanzen. Die echten bringt er erst dann in den Windkanal, wenn er weiss, dass alles wie geplant läuft. «Die lebendigen Pflanzen kann ich nur einmal brauchen, nachher haben sie alle Blätter verloren», erklärt er. Was auch gut ist, denn die Pflanzen opfern bei hohen Windgeschwindigkeiten die Blätter, um ihr Überleben zu sichern. Das Resultat der Berechnungen und Überprüfungen soll spätestens im Jahr 2025 zur Verfügung stehen: In Form einer Richtlinie, mit deren Hilfe sichere mit Kletterpflanzen begrünte Fassaden geplant werden können.

Im Windkanal sind vorerst Plastikpflanzen im Test.

Pflanzen oder Photovoltaik?

Hinter der Halle mit dem Windkanal hat Gianirico Settembrini vom Institut für Gebäudetechnik und Energie einen Prüfstand aufgebaut. Viele von Settembrinis Projekte drehen sich um die Frage, wie wir unseren Gebäudepark besser für die zunehmend wärmer werdenden Sommer in der Schweiz ausrüsten. Im Rahmen des Projektes «GreenPV» wird untersucht, ob es sinnvoller ist, die Fassaden für Begrünung oder für Photovoltaik-Panels zu nutzen – sprich, soll ein Gebäude mit Begrünung oder mit Strom an heissen Tagen abgekühlt werden. «Im Dachbereich werden die Vorteile sowohl von Begrünungen als auch von Photovoltaik-Systemen bereits vermehrt genützt. Die Gebäudefassade hingegen hat ein hohes Potenzial, das bisher weitestgehend ungenutzt ist», erklärt Settembrini sein vom Bundesamt für Energie BFE unterstütztes Projekt. Bis Ende 2023 sollen mit Hilfe von Literaturrecherche, Simulationen und Messungen Empfehlungen mit praxistauglichen Lösungsansätzen für eine optimale Nutzung von Fassaden formuliert werden, die nicht nur energetische Aspekte berücksichtigen, sondern auch finanzielle, gestalterische sowie soziale Auswirkungen einbeziehen.

Hier messen HSLU-Experten die Wirkung von Begrünuung sowie von bedruckten und unbedruckten Solarpanels auf die Fassade.

Die Stadtbegrünung beinhaltet noch zahlreiche weitere Aspekte: So beschäftigte sich das 2018 abgeschlossene Projekt Stadtklang unter anderem auch damit, wie sich Bepflanzung zum Beispiel von Innenhöfen auf die akustischen Verhältnisse in einer Überbauung auswirken. Und aktuell abgeschlossen ist das Projekt «Seeking Birdscapes», das sich mit der Wahrnehmung von Vogelstimmen beschäftigt. Denn Pflanzen bieten auch zahlreichen Tierarten Lebensraum und sorgen dafür, dass Vogelgezwitscher auch in der Stadt weiterhin hörbar ist.

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