Auf einen Foxtrott mit Tasse und Teekanne

Musik-Studierende der Hochschule Luzern erarbeiten Maurice Ravels Zauberoper «L´enfant et les sortilèges». In einer Intensivwoche im Wallis lernen sie, Gesang, Spiel und Bewegung zu kombinieren. Das Ergebnis: Eine verrückte, bunte Zauberwelt im Setzkasten.

Mit Ravels Zauberoper auf der Bühne: die beiden Musik-Studierenden Anna Lena Lorenz und Simon Haldemann. (Bild: Christian Mattis)

Mit Ravels Zauberoper auf der Bühne: die beiden Musik-Studierenden Anna Lena Lorenz und Simon Haldemann. (Bild: Christian Mattis)

Die Teetasse beginnt zu tanzen. Die Kanne lässt sich anstecken, gemeinsam wagen sie ein Tänzchen. Vor, vor, kick! Rück, rück, kick! Die chinesische Teetasse tanzt geschmeidig, die englische Teekanne langsam, ein wenig tapsig. Da kommt das Kind dazu, will sich dazwischendrängen, wird aber von der dicken Kanne rüde weggestossen. In der heutigen Probe klärt Regisseurin Regina Heer die Frage: Wer ist auf wen fixiert, wer schaut wann zu wem?

La tasse chinoise, la théière und l’enfant sind Figuren aus Maurice Ravels Zauberoper «L’enfant et les sortilèges» (Das Kind und die Zauberdinge), die das StageLab des Departements Musik der Hochschule Luzern Ende September aufführen wird. Eine Geschichte um ein Kind, das seiner Wut freien Lauf lässt, seine Spielsachen zerstört, Tiere quält – und erlebt, dass die Gegenstände zum Leben erwachen und sich gemeinsam mit den Tieren für das Leid rächen wollen. Das Werk dauert rund eine Stunde, hat aber neben einer Hauptrolle auch 20 Solistenpartien zu bieten – davon 14 für Frauen –, und eignet sich darum perfekt für die Studierenden der Gesangsklassen der HSLU.

Einstieg ins Musiktheater

Der Probenplan ist umfangreich und beinhaltet auch eine Intensivwoche, für die sich die 33 Studierenden und das Produktionsteam für eine Woche in die Berge zurückgezogen haben, genauer gesagt: in zwei Gruppenhäuser in Blatten bei Naters VS, auf 1320 m.ü.M. Zu dem Gebäudekomplex gehört eine Kapelle, die jetzt als Probebühne genutzt wird.

Gesangsdozent Hans-Jürg Rickenbacher ist Leiter des StageLab, das den Studierenden einen Einstieg ins Musiktheater im Bachelor- und Master-Bereich ermöglicht und sie auf Bühnenpraxis und weiterführende Opernstudios vorbereitet. Er hat auch die Woche in Blatten organisiert. «Die Arbeit an der Oper, die Woche hier oben, die Aufregung vor der Premiere – das sind Highlights für alle», sagt Rickenbacher. «Das vergisst du nicht mehr.» Es gibt zwar im Bachelor-Studium die Module Bühnenpräsenz und szenischer Unterricht, aber in der intensiven Probenarbeit an der Ravel-Oper kommen Singen, Agieren, Verkörpern einer Rolle im Kostüm und die Zusammenarbeit mit dem Orchester das erste Mal fast unter echten Musiktheaterbedingungen zusammen. «Das fordert körperlich, musikalisch und mental», sagt Rickenbacher. Weil die Aufführungen alle zwei Jahre organisiert werden (mit einer coronabedingten Ausnahme vor zwei Jahren), können alle Bachelor-Studierende des Bereichs Gesang einmal teilnehmen.

Die musikalischen und szenischen Proben der Musik-Studierenden fanden im August im Wallis statt.

Gute Sicht auf alle Figuren

Im Halbstundentakt arbeitet Regisseurin Regina Heer in Blatten die einzelnen Szenen durch, für die Bewegungen unterstützt von Choreografin Franziska Meyer. Korrepetitorin Nadia Carboni spielt in den Proben den Orchesterpart, den an den Aufführungen die Junge Philharmonie Zentralschweiz übernehmen wird. Die Oper hat die Besonderheit, dass Studentin Tereza Kotlánová, die das Kind gibt, die ganze Zeit auf der Bühne ist und die anderen Figuren nur für kurze Szenen auf- und wieder abtreten. Weil sie aber zwischendurch gemeinsam als Chor singen, hat Regina Heer ein Raumkonzept entworfen, das die Gegenstände und Tiere hinter der Bühne wie in einem Setzkasten erscheinen lässt; Gazevorhänge sorgen dafür, dass sie zeitweise sichtbar, zeitweise nicht sichtbar sind. Auch für die Regisseurin ist die Probewoche in Blatten sehr bereichernd: «Du lernst die Studierenden noch einmal ganz anders kennen», sagt sie. «Ich entdecke viele verborgene Talente.»

Textil wird zu Keramik

Anna Lena Lorenz hat die linke Hand in die Seite gestemmt, denn so will es ihr Kostüm: Der linke Arm ist der Henkel. Tasse und Kanne haben heute bei der Probe ausnahmsweise kein Kostüm an, nur die Gummistiefel sind Originalbestandteile, aber die weiss-lila Tasse mit ihrem weiten Untertassen-Kragen und die bauchige Kanne würden bei der Feinarbeit heute ein bisschen ablenken.

Die Kostüme haben zwölf Studierende der Bachelor-Studienrichtung Textildesign des HSLU-Departements Design & Kunst entworfen und hergestellt, auch zwei ukrainische Austauschstudierende waren beteiligt. «Die Anfrage dazu kam gerade im richtigen Moment», sagt Lilia Glanzmann, Leiterin Bachelor Textildesign. Denn im Modul «Farbe bekennen» lernen die Studierenden, wie sie Techniken wie Stickerei und InkJet-Druck auf verschiedene Materialien anwenden. «Es geht dabei auch darum, mit den Textilien andere Materialien zu imitieren», sagt Glanzmann. Wie etwa kann im Fall von Teetasse und -krug ein Textil so aussehen, als wäre es Keramik? Zusätzlich sammelten die Studierenden Erfahrungen im Schneidern von Kleidern und Kostümen, obwohl das sonst nicht zum Modul gehört. «Das passt, denn manche unserer Studierenden werden hinterher Ausstatterinnen im Theater», sagt Glanzmann.

Die Kostüme wurden von Textildesign-Studierenden der HSLU entworfen und hergestellt.
Die Kostüme wurden von Textildesign-Studierenden der HSLU entworfen und hergestellt.
Die Kostüme wurden von Textildesign-Studierenden der HSLU entworfen und hergestellt.
Die Kostüme wurden von Textildesign-Studierenden der HSLU entworfen und hergestellt.
Die Kostüme wurden von Textildesign-Studierenden der HSLU entworfen und hergestellt.
Die Kostüme wurden von Textildesign-Studierenden der HSLU entworfen und hergestellt.
Die Kostüme wurden von Textildesign-Studierenden der HSLU entworfen und hergestellt.
Die Kostüme wurden von Textildesign-Studierenden der HSLU entworfen und hergestellt.

Singen, spielen und tanzen auf den Punkt

Auf der Wiese vor dem Haus in Blatten proben die «Frösche» mit Choreografin Franziska Meyer hüpfend ihren Auftritt. Im vorderen Saal feilt Hans-Jürg Rickenbacher mit dem Männerchor an Details und richtigen Einsätzen. In der Probe in der Kapelle kommt derweil die Frage auf, ob die chinesische Teetasse und die englische Teekanne verliebt sind. «Nein», sagt Anna Lena Lorenz energisch, «die stehen doch schon so lange zusammen auf dem Tablett im Schrank». Die 24-jährige Liechtensteinerin hat gerade ihren Bachelor abgeschlossen und beginnt im Herbst ihren Master in Musikpädagogik. Sie müsse sich sehr konzentrieren, um in den Proben «alles zusammenzubringen: das Singen, das Spielen und das Tanzen. Erst wenn das sicher ist, kommt der Punkt, an dem ich loslassen und mich frei fühlen kann». Anna Lena Lorenz spielt zwei Figuren, neben der Teetasse auch die Libelle. «Die beiden sind so unterschiedlich», sagt sie lächelnd. «Wie bewegt sich ein Gegenstand, eine Tasse?» Im Gegensatz dazu die Libelle – ein Tier, nervös, beweglich, flink. Anna Lena Lorenz mag es sehr, «mal Pause von sich als Privatperson zu nehmen und in eine andere Haut zu schlüpfen».

Die innere Rampensau entdecken

Simon Haldemann nennt die Theaterarbeit den «missing link», endlich könne er Singen und Spielen zusammenbringen. «Das ist eine Herausforderung, aber ich geniesse es extrem.» Haldemann studiert inzwischen bereits im Master Schulmusik, jetzt hat er beim Spielen «seine innere Rampensau entdeckt». Er gibt zu, dass er auch auf der Bühne sich selbst darstellt. Seine Figur, die Teekanne, macht ihm das aber nicht leicht. «Sie ist schwer und plump», sagt er, «mein Kostüm zusätzlich gross und breit. Ausserdem kann ich die Arme nicht bewegen.» Die Herausforderung reizt ihn enorm: «Jetzt muss ich lernen, darin trotzdem tiptop zu singen und zu spielen.»

Maurice Ravel, «L’enfant et les sortilèges»: Eine Opernproduktion des StageLab der Hochschule Luzern

Wann: Samstag, 24. September 2022, 18:00 und 20:00 Uhr, Sonntag, 25. September 2022, 17:00 und 19:00 Uhr
Wo: Blackbox Kosmos, Arsenalstrasse 28a, 6010 Luzern-Kriens
Eintritt: Frei (Kollekte)

Mitwirkende:
Studierende der Gesangsklassen, Junge Philharmonie Zentralschweiz
Raumkonzept und Regie: Regina Heer
Kostüme und Maske: Hochschule Luzern – Design & Kunst, Leitung Franziska Born
Musikalische Einstudierung: Nadia Carboni und Clemens Heil
Musikalische Leitung: Philipp Hutter
Figurentraining und Choreografie: Franziska Meyer und Dominique Regli-Lohri
Licht und technische Leitung: Martin Brun
Projektleitung: Hans-Jürg Rickenbacher

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