Werkschau Design & Kunst: von Öko-Matratzen und Ordnung im Güsel

Für Design-, Film- und Kunst-Studierende der HSLU ist die Abschlussausstellung das Highlight am Ende ihres Studiums. Besucherinnen und Besucher erwartet eine Fülle an Werken: von Gemälden über Videos bis zu digitalen Installationen und Performances.

Designer Joel Hügli mit seiner Öko-Matratze

Was haben eine recycelbare Matratze, ein Film über eine schmerzhafte Krankheit und ein Tessiner Kehrrichtsack miteinander zu tun? Sie sind alle an der Werkschau Design & Kunst der Hochschule Luzern zu sehen: Rund 250 Design-, Film- und Kunst-Studierende zeigen ihre Abschlussarbeiten an der öffentlichen Ausstellung. Die Werkschau findet vom 24. Juni bis zum 3. Juli 2022 am Hochschulstandort 745 Viscosistadt in Luzern-Emmenbrücke statt. Die 23 angehenden Absolventinnen und Absolventen des Master Kunst stellen zudem ihre Werke noch bis zum 26. Juni in Brunnen SZ aus.

Erstmals ist die Werkschau in Luzern-Emmenbrücke vollständig analog. Die letzten zwei Jahre lief sie coronabedingt online oder als eingeschränkt zugängliche Ausstellung. «Das ist der krönende Abschluss für unsere Studierenden», sagt Jacqueline Holzer, Direktorin des Departements Design & Kunst. «Ihre Abschlussarbeiten sind die Visitenkarten für eine Karriere als Filmemacherin, Textildesigner oder Künstlerin. Es freut mich daher sehr, dass sie ihr Können einer grossen Öffentlichkeit vor Ort zeigen dürfen.»

Die ausgestellten Bachelor- und Master-Arbeiten weisen eine enorme Breite auf, wie Werkschau-Leiterin Ursula Bachman erläutert: «Viele Arbeiten kreisen um Nachhaltigkeit, Flucht und Migration oder Gesundheit – alles Themen, die die Gesellschaft insgesamt beschäftigen und die unsere Absolventinnen und Absolventen aus einer ungewohnten Perspektive behandeln.»

Folgende Beispiele illustrieren die thematische und stilistische Breite der diesjährigen Abschlussarbeiten:



Master Design: Ein neues Leben für Matratzen

Derzeit sind Matratzen kaum recyclebar. Design-Forscher Joel Hügli hat einen Prototyp und nachhaltige Designrichtlinien entwickelt, die neue Massstäbe setzen könnten. Die Arbeit wurde an der Werkschau ausgezeichnet.

Designforscher Joel Hügli stellt sein Projekt vor.
Designforscher Joel Hügli stellt sein Projekt vor.
Hügli zerlegte Matratzen...
Hügli zerlegte Matratzen…
... um herauszufinden, welche Teile sich recyceln lassen.
… um herauszufinden, welche Teile sich recyceln lassen.
Sein Prototyp besteht aus wenigen Materialien und Komponenten, die leichter recycelt werden können.
Sein Prototyp besteht aus wenigen Materialien und Komponenten, die leichter recycelt werden können.
Voilà: Wie man sich bettet, so liegt man...
Voilà: Wie man sich bettet, so liegt man…
Weiterlesen und Video schauen

In der Schweiz werden jährlich bis zu eine Millionen Matratzen entsorgt. Nicht eine einzige davon wird recycelt. Mit diesem Zustand will sich der Berner Joel Hügli nicht abfinden. In Zusammenarbeit mit dem Hersteller Roviva und mit Unterstützung der Ikea Stiftung Schweiz arbeitet er daran, einen Prototyp herzustellen, dessen Materialien recycelbar sind. «Ein Produkt wird ökologischer, wenn es entweder in einer anderen Funktion neu genutzt oder wenn es repariert werden kann, um seine Lebensdauer zu verlängern», erklärt der 29-Jährige, «oder wenn seine Materialien recycelt werden können». Für «Ecomade», so der Name seiner Abschlussarbeit im Master Design, hat er Interviews mit Rohstoffverarbeitern, Matratzenherstellern, Wäschereien, Endkunden und Betreibern von Kehrichtverbrennungsanlagen geführt und mit diesen Akteuren entlang der ganzen Wertschöpfungskette Lösungsansätze entwickelt.

Die Erkenntnis: Das Herstellen einer recyclingfähigen Matratze ist möglich. Es braucht aber besseres Produktdesign und passende Unterhalts- und Recyclingdienstleistungen. Die Matratzenhülle besteht meist aus mehreren Stoffen und könnte zum Beispiel wieder zu Fasern verarbeitet werden. Der Matratzenkern wiederum besteht entweder aus Schaumstoff, aus Federkernen, aus einem Hybrid aus beiden Varianten oder – zu einem ganz kleinen Teil – aus Latex, Wolle, Baumwolle, Rosshaar oder anderen Naturmaterialien. «Das Problem ist der grosse Materialmix und der Schaumstoff. Weil die Produkte miteinander verleimt und verklebt werden, ist es schwierig, sie nach Gebrauch auseinanderzunehmen.» Lediglich die Federkerne bestehen meist aus einer einfach trennbaren Kombination von Textil und Metall und könnten daher viel leichter wiederverwertet werden. «Die Matratzen, die in der Schweiz hergestellt werden, sind zwar von hoher Qualität, aber deshalb nur noch komplizierter miteinander verschachtelt und verklebt», sagt Hügli.

Sein Prototyp soll aus wenigen Materialien und Komponenten hergestellt werden, die weniger komplex zusammengefügt und leicht wieder voneinander getrennt und ersetzt werden können. Auf Schaumstoff-Module wird ganz verzichtet. So muss man etwa nach den empfohlenen acht bis zehn Jahren Nutzung nicht die komplette Matratze entsorgen, sondern kann nur die obere Schicht ersetzen. «Wenn sie der Hersteller anpassen und reparieren könnte, würde das auch die Kundenbindung erhöhen», sagt Hügli. Nach Abschluss seines Masterstudiums möchte er als selbstständiger Produktdesigner weiter daran arbeiten, Matratzen nachhaltiger zu machen. Schon jetzt beschäftigt er sich mit einem 60-Prozent-Pensum in der Forschungsgruppe Produkt und Textil des Departments Design & Kunst vor allem mit Nachhaltigkeits-Themen.

Joel Hüglis Abschlussarbeit erhielt an der Werkschau den Förderpreis Master of Arts in Design.



Bachelor Animation: Leben mit dem Schmerz

Aufklärung per Zeichentrick: Melanie Gerber will mit dem 2D-Animationsfilm «Diagnosis» die Krankheit Endometriose bekannter machen.

Charakterstudie der Protagonistin Melanie Gerbers Film.
Charakterstudie der Protagonistin in Melanie Gerbers Film.
Melanie Gerbers Alter Ego im Film heisst Alma.
Melanie Gerbers Alter Ego im Film heisst Alma.
Zu Beginn des Projekts skizzierte Melanie Gerber ihre Idee in solchen Zeichnungen.
Zu Beginn des Projekts skizzierte Melanie Gerber ihre Idee in solchen Zeichnungen.
Tonabmischung: Da der Film ohne Dialoge auskommt, spielt das Sounddesign eine besonders grosse Rolle.
Tonabmischung: Da der Film ohne Dialoge auskommt, spielt das Sounddesign eine besonders grosse Rolle.
Weiterlesen und Video schauen

Endometriose ist die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung, vier bis zwölf Prozent aller Frauen erkranken daran; genauer weiss man es nicht. Überhaupt weiss man noch sehr wenig über die Krankheit, bei der sich an den Organen in der Bauchhöhle Zysten bilden, die sich entsprechend dem Zyklus verändern und dann grosse Schmerzen verursachen können. Dieser Schmerz wird trotz seiner Intensität von vielen Erkrankten und Ärzten als normaler Menstruationsschmerz eingestuft, weshalb Frauen in der Schweiz durchschnittlich fünf Ärzte in acht Jahren aufsuchen müssen, bevor sie die richtige Diagnose erhalten.

Bei Melanie Gerber dauerte es sogar zehn Jahre. Damals, sie ist gerade im 1. Semester ihres Bachelor-Studiums in Animation, versteht sie die Bedeutung des Befundes zunächst nicht recht. Sie ist froh, endlich zu wissen, woher diese Schmerzen kommen, die so stark sein können, dass sie erbrechen muss, nicht mehr laufen kann oder ohnmächtig wird. Um sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen, fängt sie an, ihre Gefühle und ihre Gedanken zu zeichnen.

Auf die Phase der Erleichterung folgte eine, in der Gerber die Krankheit einfach ignoriert. Sie erinnert sich daran, dass sie sich eine Tasse Tee kochte, also etwas ganz Banales tat, als sie mit voller Wucht die Erkenntnis überfiel: Du musst von jetzt an in einem chronisch kranken Körper leben. «Es war wie eine Depression», sagt die 25-Jährige aus Ruggisberg BE, «ich fühlte mich, als würden Wut und Angst den ganzen Raum einnehmen». Nach der Rebellion kam Phase Vier: «Heute kann ich die Krankheit als einen Teil von mir akzeptieren, wende mich nicht mehr wütend gegen mich selbst, sondern nehme das an.»

Für ihren Abschlussfilm in Animation hat Melanie Gerber ihre Zeichnungen genutzt, um ihr Alter Ego Alma diesen Prozess, der ein klassischer Trauerprozess ist, durchleben zu lassen. Sie will mit dem Zeichentrickfilm «Diagnosis» vor allem Verständnis schaffen. «Es ist total wichtig, dass sich die Betroffenen verstanden fühlen und dass die Diagnosen schneller gestellt werden. Bis jetzt werden die Menschen oft nicht ernst genommen.»

Nach ihrem Studium will Melanie Gerber als Motion Designerin arbeiten, also Gestaltungselemente animieren, die dann in der Werbung oder in der Kommunikation allgemein genutzt werden. Ein Praktikum in England, Frankreich oder Deutschland ist das Nah-, eine Festanstellung und damit ein wenig finanzielle Sicherheit, das Fernziel.



Bachelor Graphic Design: Ordnung im Abfall

Marcel Schirmer beschäftigt sich in seiner Bachelorarbeit in Graphic Design mit Abfallsäcken. Er sieht in ihnen ein Abbild des helvetischen Föderalismus.

Marcel Schirmer sammelte hunderte Abfallsäcke...
Marcel Schirmer sammelte hunderte Abfallsäcke…
... ordnete sie fein säuberlich ...
… ordnete sie fein säuberlich …
... und verarbeite sie zu einer Publikation, die sich augenzwinkernd mit dem Föderalismus auseinandersetzt.
… und verarbeite sie zu einer Publikation, die sich augenzwinkernd mit dem Föderalismus auseinandersetzt.
Weiterlesen und Video schauen

Als Graphic-Design-Student Marcel Schirmer nach einem Thema für eine Publikation als Teil seiner Bachelorarbeit suchte, brachte ihn die Mutter seiner Freundin darauf, dass es in der Schweiz sehr viele verschiedene Güselsäcke gibt. Aber wie viele sind es genau? Es dauerte nicht lange, da war Marcel Schirmer klar: Das weiss keiner. «Das war eine recht coole Erkenntnis», sagt der 23-Jährige. Auf der Suche nach einer Antwort wandte er sich zuerst an die Ämter auf Bundesebene: Statistikamt oder Verband der Abfallverwertungsanlagen. Aber er merkte bald, dass er tiefer ins Behördendickicht einsteigen musste. Denn zwar ist es auf Bundesebene geregelt, dass der Abfall nach dem Verursacherprinzip erfasst und vergütet wird, aber die Umsetzung dessen obliegt den Kantonen. Und die überlassen es den Städten und Gemeinden. Das Ergebnis: Etwa 70 verschiedene Abfallsäcke allein im Kanton Tessin. Demgegenüber Zusammenschlüsse von bis zu 40 Gemeinden mit ein- und demselben Sack in den beiden Appenzell und St. Gallen. Ein kantonsweiter Sack in Obwalden, Nidwalden und Zug. Dazu Gemeinden, die mit Marken abrechnen, oder Genf, das ganz ohne Sackgebühr auskommt.

1000 Mails hat Schirmer an Kantone, Städte und Gemeinden verschickt und um Auskunft und ein Exemplar des lokalen Sacks gebeten. An der Wand seines Arbeitsplatzes hat er eine grosse Schweiz-Karte aufgehangen, um keinen Sack zu übersehen. «An manchen Tagen lagen fünf bis zehn Säcke im Briefkasten», erinnert sich Schirmer, «wenn ich mal ein paar Tage nicht zuhause war, quoll er über.» Er brauchte zehn Ordner, um das Material zu sammeln.

Der Trogener hat immer noch Spass an seinem Thema. Aber er hat auch längst erkannt, dass das Durcheinander auch Spiegelbild des helvetischen Föderalismus ist. «Es ist fraglich, ob die vielen Systeme wirklich sinnvoll sind. So absurd es erscheint: funktionieren tut es auf jeden Fall.»

In seiner Abschluss-Publikation zur Abfall-Sack-Frage mit dem Titel «Föderalismus am Strassenrand» zeigt Schirmer auch anonymisierte Ausschnitte der vielen Mails, die er erhalten hat, und Ausschnitte aus Artikeln zum Thema. Und natürlich die breite Palette an Güselsack-Gestaltungen. «Die meisten Säcke sind grau, viele zeigen das Kantons- oder Gemeindewappen.» Aber es gibt Ausnahmen wie das Murner Güselsack-Monster oder Solothurner Aufschriften wie «Futter für die Kebag». Schirmers Liebling ist der «Sacco ufficiale per rifiuti» aus Rovio im Tessin: «Er war der erste lila Sack, den ich bekam, und die Raubkatze darauf gefällt mir.» Endlich kann er jetzt auch eine Antwort auf die Frage geben, wie viele Säcke es gibt: «Ich habe bereits 250. Ich schätze, am Ende werden es 370 sein.»

Nach seinem Studium und dem Zivildienst würde Schirmer gern als Buchgestalter arbeiten. Seine Eignung für ausgefallene Themen, in denen mehr steckt, als man nach dem ersten Blick denken könnte, hat er schon bewiesen. 



Weitere Porträts finden sich in der Blog-Serie zur Werkschau 2022.


Beschreibungen und Bilder aller rund 250 Abschlussarbeiten werden in den nächsten Tagen auf der Website der Werkschau hochgeladen.

Werkschau Design & Kunst 2022

Ausstellung Werkschau Design & Kunst 2022 der Abschlussarbeiten der Bachelor- und Master-Absolventinnen und -Absolventen (ohne Master Kunst): Sa, 25. Juni bis So, 3. Juli 2022; 12 bis 20 Uhr; So, 3. Juli, bis 18 Uhr. Vernissage: Fr, 24. Juni, 18:30 Uhr

Die Abschlussausstellung «Supernova» des Master Kunst ist am 18. und 19. Juni sowie 23. bis 26. Juni 2022 in Brunnen SZ zu sehen. Vernissage: Sa, 18. Juni 2022. Programm unter hslu.ch/supernova

Vollständiges Programm, aktuelle Informationen für Besucherinnen und Besucher: hslu.ch/werkschau

Die Ausstellung und das Rahmenprogramm sind kostenlos.

Interessiert?

Erfahren Sie mehr über die Studienangebote in Design, Film & Kunst

Zum Studium

Was Sie sonst noch interessieren könnte

Kleinwohnformen

«Die Wohnqualität hängt nicht von den Quadratmetern ab»

Klimawandel, Bodenverschleiss und steigende Mieten: Die Art und Weise, wie wir heute wohnen, stösst an ihre Grenzen. Das Reduzieren der individuellen Wohnfläche könnte eine Lösung sein, weiss Selina Lutz von der Hochschule Luzern. Die Expertin für neue Wohnkonzepte untersucht, wie Tiny Houses, Mikro-Apartments und Gemeinschaftswohnungen attraktiv und sinnvoll genutzt werden können.
Sprungbrett in die Zukunft

Sprungbrett in die Zukunft

Jedes Jahr schliessen über 1’700 Studierende an der Hochschule Luzern ihren Bachelor oder Master ab. In der Tasche: Ihr Diplom – und Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen. Wir stellen drei Absolventinnen und Absolventen vor, die zu den ersten Diplomierten in noch jungen Studienfächern gehören.
Die beiden Textildesignerinnen Laura Schwyter (Suhr AG) und Célina von Moos (Luzern) haben für ihre Bachelorarbeit Stoffprodukte entwickelt, die dafür sorgen, dass uns auch zuhause genug Berührung zuteilwird. Bild: zvg

Werkschau: ganz schön flauschig, ganz schön hart

Wenn Studierende Stühle aus Pilzen herstellen, Filme über die Klima-Apokalypse drehen oder Boxsäcke zum Knuddeln und Verdreschen kreieren, dann ist wieder Werkschau. 200 Absolventinnen und Absolventen ziehen für die öffentliche Abschlussausstellung des Departements Design & Kunst alle Register ihres Könnens.