Die jährliche Ausstellung Werkschau Design & Kunst dient den Absolventinnen und Absolventen des Departements Design & Kunst als Visitenkarte für ihren Eintritt in die Berufswelt oder für ein weiterführendes Studium – normalerweise, denn während der Coronakrise ist an Grossveranstaltungen nicht zu denken. Deshalb findet die Werkschau 2020 als «wwwerkschau» im virtuellen Raum statt, wie Ursula Bachman, Vizedirektorin am Departement Design & Kunst, sagt: «Angesichts der aktuellen Herausforderungen und Unsicherheiten war es uns besonders wichtig, dass die Studierenden die Chance erhalten, ihre Abschlussarbeiten auch dieses Jahr in verschiedenen Formaten einer breiten Öffentlichkeit und der Fachcommunity zu präsentieren.»
Der Vielfalt und Originalität der Produkte, Bilder, Filme und Installationen tut das neue Format keinen Abbruch, wie die drei folgenden Beispiele zeigen:
Sophie Wilener, Bachelor XS Schmuck
Sophie Willener hat in ihrer Bachelorarbeit ein Hörgerät für die Firma Sonova entworfen, das ihre Träger nicht verschämt hinterm Ohr verstecken, sondern stolz tragen sollen. Die Beschäftigung mit Schmuck für körperlich beeinträchtigte Menschen zieht sich durch das ganze Studium der 24-jährigen Luzernerin.
Gut hören kann man sehen
Für eine an Parkinson erkrankte Frau hat Sophie Willener eine Brosche entworfen: Sie hat die Frau ihre Unterschrift mit einem 3D-Stift schreiben lassen und den Schriftzug in Metall gegossen. Eine Nadel daran – fertig war die Brosche. Ein Schmuckstück. Ein «Statement-Piece», wie die 24-jährige Luzernerin sagt. Aus der Beeinträchtigung wurde etwas Schönes, das die Trägerin stolz auf der Brust präsentieren kann.
Schon während ihres ganzen Studiums in XS Schmuck beschäftigt sich Sophie Willener mit Schmuck für physisch beeinträchtigte Menschen. Sie hat auch für sich selbst Ringe geschaffen. Das Gewicht hilft ihr, das Zittern der Hände zu reduzieren, präziser zu arbeiten. «Schön, aber gleichzeitig auch nützlich; Objekte, die mit dem Körper interagieren und ihm Hilfestellung geben», sagt Willener.
Auch ihre Bachelorarbeit, die den Titel trägt «Do you see me hearing you?», folgt diesem Thema. «Zuerst dachte ich an Design für Prothesen. Dann stolperte ich über die Firma Sonova und begann, mich für Hörgeräte zu interessieren.» Sie nahm Kontakt zu Sonova auf und konnte ihre Bachelorarbeit im Austausch mit der Firma erstellen. Konkrete Vorgaben gab es keine, vielmehr gab es technische Hilfestellungen und den Auftrag: Inspirier uns!
Die ursprüngliche Idee, für jeden Träger etwas Individuelles zu entwerfen, musste Sophie Willener aufgeben, weil das eigentliche Hörgerät immer gleich aufgebaut ist. So schuf sie ein trichterförmiges Herzstück als Basis; es enthält das eigentliche Hörgerät und wird – ähnlich wie Bluetooth-Kopfhörer – in die Ohrmuschel gesteckt. Zusätzlich hat Willener sogenannte Add-ons entwickelt, die am Gerät befestigt werden können. Ein Add-on besteht etwa aus einem Ring, der an Drähten befestigt vor dem Ohr schwebt. Ein weiteres Add-on kommt als Gespinst aus durchsichtigem Plexiglas daher. Es nimmt die Formen von Ohrmuschel und Ohrläppchen auf und schmiegt sich an sie. Verästelte blaue Plastikfäden umfassen dabei das Ohr.
Der Schmuck ist gewagt, keine Frage. Die Träger: Männer und Frauen mit Selbstbewusstsein, die ihr schwindendes Hörvermögen nicht verstecken wollen. «Ich dachte mir drei Personas aus, für die ich den Hörschmuck kreierte», sagt Sophie Willener. Zum Beispiel eine 81-jährige Grossmutter, mit Sinn für farbige Kleider und grossen Schmuck und einer Abneigung gegen die konventionellen Geräte. Ihr entwarf sie eine lange Kette mit einem Magneten am Ende, die am Ring befestigt wird. «Wenn die Grossmutter mal nichts hören mag, kann sie die Hörgeräte aus dem Ohr nehmen und die Magnete der beiden Ketten an der Brust zu einem Anhänger zusammenführen», erläutert die Absolventin. «Das sieht schön aus und hilft ihr, die Geräte nicht zu verlieren.»
Nach ihrem Studium möchte Sophie Willener ein Praktikum bei Sonova absolvieren. Ein konsequenter Schritt.
Edna Buchmeier, Bachelor Textildesign
Edna Buchmeier hat schon in ihrem Studium gerne den Kopf über fachliche Grenzen hinausgestreckt, mit einem Gastsemester in den Niederlanden oder einem Praktikum beim Textilienhersteller Jakob Schlaepfer in St. Gallen. In ihrer Bachelorarbeit verbindet sie daher gekonnt Textildesign mit Architektur und gestaltet eine Fassade für ein Hochhaus.
Dem Haus ein Gesicht weben
Die Interdisziplinarität von Textildesign und Architektur reizt Edna Buchmeier. «Es gibt so viele Flächen in einem Haus, die mit Textil oder nach textilen Vorlagen gestaltet werden können», sagt die 25-jährige Luzernerin. Sie nennt Möbel und Vorhänge, Decken, Wände und Böden. Neben ihrem Textildesign-Studium arbeitet sie für den Architekten Luca Deon, der auch als Professor am Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern lehrt.
In ihrer Bachelorarbeit widmet sich Edna Buchmeier der grössten aller Flächen eines Hauses: der Fassade. Als Objekt dient ihr ein 50 Meter hohes Wohnhaus der Deon AG in Sursee. Die Vorgabe: Die Gestaltung soll die Fassade so verdecken, dass man nicht mehr sehen kann, wie viele Stockwerke das Haus hat.
Edna Buchmeier ging von einer «Patrone» aus. So nennt man in der Weberei den Plan für ein Gewebe, der festhält, wo der Schuss- über den Kettfaden gehoben und wo er darunter versenkt werden soll. Patronen sehen aus wie Raster, zweifarbig, sehr geometrisch. Je nach Hebung oder Senkung der Fäden werden Quadrate ausgefüllt oder leergelassen. «Die Patronen erinnern an Computerdenken», sagt Edna Buchmeier, «es gibt nur Null oder Eins, nur gehoben oder gesenkt».
In ihren Vorarbeiten hat die Studentin jedes Quadrat einer Patrone zu einem Loch in einer Schablone uminterpretiert. Die Löcher hat sie mit Farben besprüht. So ergaben sich ganz verschiedene Muster, die man etwa für Blechteile an Balkonen oder für die Verteilung der Öffnungen an einer Hausfassade verwenden könnte.
In einem zweiten Schritt übertrug Buchmeier ihr Konzept auf die Fassade des Surseer Wohnhauses, spielte mit der Breite und der Höhe der Gestaltungselemente. «Das Ergebnis wird einer Regel folgen, die das Gehirn des Betrachters vielleicht nicht entschlüsseln kann, die sein Auge aber als Rhythmus erlebt», sagt Buchmeier. Noch ist nicht klar, aus welchem Material die Fassadenelemente gestaltet werden; Metall oder Beton sind derzeit im Gespräch; und ob Storen Farbtupfer setzen sollen.
Die Zusammenarbeit mit den Architekten empfindet Edna Buchmeier als sehr bereichernd. Sie lernt viel über deren Vorgehensweise, wenn Einwände kommen wie: «Wo könnte an der Fassade das Wasser ablaufen?» oder «Wie kann man es so machen, dass man vor Badezimmerfenstern weniger Durchblick hat, vor den Zimmern aber mehr?» Die Studentin hat Feuer gefangen an der interdisziplinären Arbeit. Ab Herbst studiert sie weiter an der Hochschule Luzern. Ihr neuer Studiengang: Bachelor Architektur.
Mathias Hauser, Master Kunst
In seiner Abschlussarbeit für den Master Kunst setzt Mathias Hauser Schallwellen in der Peterskirche Luzern so ein, dass sie körperlich spürbar werden. Angenehm ist das nicht, aber sehr spannend – und die Erklärung dafür hoch theoretisch.
«Der Ton zieht dir den Boden unter den Füssen weg»
Mathias Hausers Abschlussarbeit für den Master Kunst «The Sound is Acting» kann man sich auf zwei Arten nähern: ganz im Augenblick, im eigenen Erleben; oder theoretisch und sehr rational. Emotional geht es so: Wer die Peterskapelle in Luzern betritt, hört ein tiefes, sonores Brummen, zuweilen versetzt mit einem rhythmischen Klacken, wie das Ticken einer Uhr. Wer sich in den runden Kirchenraum begibt, merkt: Der Ton verändert sich je nach Standpunkt, aber auch durch die Bewegung selbst.
«Es ist in einem Moment beängstigend, beklemmend», sagt der 31-jährige Zürcher, «zwei Schritte weiter kann es rein und befreiend sein.» Man spürt den Ton körperlich, vom Kopf bis zu den Zehen. Ähnlich vielleicht wie man es von Popkonzerten kennt, wenn man sehr nahe an die Lautsprecherboxen steht. «An manchen Punkten im Raum zieht es dir auch den Boden unter den Füssen weg, du glaubst zu schweben.» Aber Hauser ist ehrlich genug, zu sagen: «Das Beklemmende dominiert.»
Wer das Phänomen verstehen will, muss dem Absolventen in die Tiefen der Akustiktheorie folgen. Er setzt Schallwellen in einer Länge ein, die genau jener der Kapelle entspricht. «Das kann dazu führen, dass die Schallwellen steckenbleiben», erklärt er, «dann schaukeln sie sich auf, werden sehr laut. Oder löschen sich mit anderen Wellen gegenseitig aus.» Für einen anderen Raum müsste er also andere, auf diesen Raum zugeschnittene sogenannte Amplituden einsetzen, um denselben Effekt zu erreichen. Hauser stellt klar: «Der Besucher braucht von der Theorie aber nichts zu wissen.»
Mit der Arbeit über Klang ist Hauser zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt. Schon als Jugendlicher machte er Musik, noch heute spielt er in verschiedenen Formationen und gibt Gitarrenunterricht. Nach dem Bachelor in Kunst & Vermittlung arbeitete er bei SRF/tpc als Streaming-Operator, entwarf einen Kinderrundgang im Klangmaschinenmuseum in der Seidenfabrik Dürnten. Im Master-Studium Kunst war er fasziniert von der Malerei, arbeitete sich in Techniken ein, genoss es, wieder analog unterwegs zu sein und eine neue Technik zu erforschen.
Doch dann hatte Mathias Hauser das Gefühl, das Thema für sich ausgeschöpft zu haben, und kehrte in seiner Masterarbeit zu seinen Anfängen zurück, zur Auseinandersetzung mit dem Schall. «Mich interessieren besonders der Ursprung eines Klanges sowie dessen physikalische Eigenschaften. Hier verorte ich auch meine persönliche Schnittstelle von Klang und Kunst.» Ihn fasziniert, auf wie vielen Ebenen man Schallwellen einsetzen kann, sie seien ungeheuer stark: «Schallwellen können töten. Im Kalten Krieg hat man sogar versucht, sie als Waffen einzusetzen. Komponist Arvo Pärt meinte einst, wenn dich der Klang töten kann, dann sei vielleicht auch das Gegenteil möglich.»