Peter Schwehr, rettet das Hochhaus die Schweiz vor der Zersiedelung?
Kaum. Die Gleichstellung von Hochhaus mit verdichtetem Bauen ist ein Irrtum, zumindest in der Schweiz. Wir haben strenge Auflagen für Hochhäuser. Sie dürfen ihre Umgebung nicht mehr als zwei Stunden pro Tag beschatten, deshalb brauchen sie viel Umgebungsraum. Zudem hat das Bauen in die Höhe seinen Preis. Die statischen Anforderungen sind hoch. Damit sich diese Investitionen lohnen, müssen die Wohnungen entsprechend attraktiv und teuer zu vermieten oder zu verkaufen sein. Das wiederum heisst, dass sie viel Fläche haben. Wenn ein Hochhaus tatsächlich zur Verdichtung beitragen soll, dann muss es darin auch günstigen Wohnraum geben – das würde zudem eine soziale Durchmischung fördern.
Ab welcher Höhe sprechen wir eigentlich von einem Hochhaus?
Die Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen definiert ein Hochhaus als ein Gebäude, dessen oberstes Geschoss mindestens 30 Meter über dem angrenzenden Terrain liegt. Das sind in etwa acht Geschosse.
Was macht für Sie ein gelungenes Hochhaus aus?
Das Gebäude muss einen Mehrwert schaffen: Einerseits für seine Bewohnerinnen und Bewohner und andererseits für das umliegende Quartier. Diese Anforderungen gelten letztlich aber für jedes andere Gebäude auch. Für dominant in Erscheinung tretende Gebäude liegt die Herausforderung darin, den menschlichen Massstab – den human Scale – nicht zu vergessen. Das heisst: Die Menschen mit ihren Bedürfnissen müssen im Mittelpunkt stehen. Gebäude haben eine zudienende Funktion und Architektur soll aus der Optik der Betroffenen konzipiert werden und nicht als skulpturale, anonym verordnete Baumasse.
«Hochhäuser schaffen Hierarchien.»
Was sind die besonderen Herausforderungen bei der Planung eines Hochhauses?
Weil es seine Umgebung in grossem Masse prägt, ist der Legitimationsdruck gross, gerade im Hinblick auf den Mehrwert für das umliegende Quartier. Im Innern schafft das Hochhaus Hierarchien: Ein weiter Blick ist schön, aber was bietet man den Bewohnerinnen und Bewohnern im 3. Stock?
Dazu kommt eine gewisse Gefahr der Anonymisierung …
Genau. Die ist in Hochhäusern grösser als in anderen Überbauungen. Der Lift bringt Bewohnerinnen und Bewohner direkt zu ihren Wohnungen; Treppenhäuser haben keine Funktion, zumindest keine soziale. Häufig sind Hochhäuser monofunktionale und unflexible Gebäude für bestimmte Menschengruppen oder Nutzungen und es findet keine Durchmischung statt.
Weil die Anforderungen so vielschichtig sind, bin ich überzeugt, dass Hochhäuser nur interdisziplinär geplant werden können. In unseren Forschungsprojekten arbeiten wir deshalb häufig mit Expertinnen und Experten anderer Disziplinen wie der Gebäude- und Bautechnik oder der Sozialen Arbeit zusammen.
«Ein weiter Blick ist schön, aber was bietet man den Bewohnerinnen und Bewohnern im 3. Stock?»
Wie lässt sich günstiger Wohnraum im Hochhaus schaffen?
Im Projekt SoHo (Soziales Hochhaus) suchen wir nach Lösungen. Wir wissen, dass Menschen kleinere Wohnungen eher akzeptieren, wenn es Gemeinschaftsräume gibt, die fehlenden persönlichen Raum kompensieren. Sie können natürlich auch einer Anonymisierung entgegenwirken. Wie aber müssen die angeordnet sein? Wer soll Zugang haben? Wer unterhält sie? Wie werden sie finanziert? Auf all diese Fragen suchen wir nach Antworten. Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit Forschungspartnern aus der Baubranche eine Lösung entwickelt, die das Erstellen von Hochhäusern deutlich verbilligen kann: das Modul17.
Was verbirgt sich hinter Modul17?
Es heisst so, weil es aus einzelnen Modulen mit je einer Fläche von 17×17 Metern besteht, die horizontal aneinandergereiht und vertikal gestapelt werden können. Dieser Modulcharakter verbilligt die Bauweise enorm. Darüber hinaus löst er noch weitere Probleme: Gerade, weil Hochhäuser teuer sind, bleiben sie – zumindest in Europa – auch lange stehen; 100 Jahre oder mehr. Die Anforderungen an ein Gebäude ändern sich jedoch im Verlauf eines Jahrhunderts. Hier hat das «normale» Hochhaus ein Problem: Mit seiner komplexen Statik ist es sehr unflexibel. Beim Modul17 hingegen kann nicht nur die Ausgestaltung der einzelnen Module neuen Bedürfnissen angepasst werden, sondern es können ganze Module ergänzt oder entfernt werden. So ermöglicht das Gebäude verschiedene Nutzungsszenarien und kann sich verschiedenen Bedürfnissen anpassen. Das Besondere: Es besteht zu 87 Prozent aus Holz.
Holz- und Holz-Hybrid-Hochhäuser scheinen im Trend zu liegen.
Ja, das Material Holz sorgt für Akzeptanz. Das liegt nicht nur an seinen Vorzügen, wenn es um die Raumqualität geht, sondern auch daran, dass es praktisch CO2-neutral ist, jedenfalls wenn heimisches Holz verwendet wird.
Können Sie sich vorstellen, dass die Schweiz in 100 Jahren auf eine eigene Hochhaus-Tradition zurückblicken kann?
In der Kernstadt sehe ich für Hochhäuser in der Schweiz keine Zukunft, wegen der erwähnten Auflagen und der verankerten Kultur. Im ländlichen Raum ebenfalls nicht – hier ist der Legitimationsdruck noch viel grösser. Was wäre der Mehrwert für eine ländliche Gemeinde? Zukunft sehe ich bei der Aufwertung der Stadtränder. Hier müssen wir über den Umgang mit Masse nachdenken und Konzepte entwickeln, die ein Zusammenleben vieler Menschen ermöglicht ohne dass dabei soziale Brennpunkte gebaut werden.
«Ich bin überzeugt, dass Hochhäuser nur interdisziplinär geplant werden können.»
Was kann man tun, um solche Brennpunkte zu vermeiden?
In dem man auch über die Qualität des nicht gebauten, des «Zwischenraums», nachdenkt und sich in die Rolle des Bewohners und der Bewohnerin versetzt. Es braucht Aussenräume, Begegnungsorte und Kompensationsflächen. Hier sehe ich in der Schweiz eine Chance: Wir haben eine Tradition in qualitativ hochstehendem Wohnungsbau. Wenn wir eine «Stadt der Vielen» wollen, müssen wir unsere Einsichten auch auf grosse oder hohe Gebäude übertragen.