Wer kennt es nicht: Kaum ist der Pulli gekauft, landet er ungenutzt im übervollen Schrank. Der neue Akku-Schrauber hat sich vom Impuls-Kauf zum Fehl-Kauf gemausert, da man doch weniger Bilder aufhängen muss, als gedacht. Rund 10‘000 Gegenstände soll jeder westeuropäische Mensch gemäss Schätzungen besitzen. Wer zuhause den Selbsttest macht, stellt schnell fest: Viele Dinge liegen rum, ohne wirklich genutzt zu werden. Viele Argumente würden dafür sprechen, solche Alltagsgegenstände häufiger zu teilen.
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Mit dem Sharing-Monitor Schweiz gibt ein Forschungsteam aus Wirtschaftspsychologinnen und Konsumentenforschern der Hochschule Luzern erstmals einen Überblick über das Sharing-Verhalten der Schweizer Bevölkerung.
Viele Sharing-Angebote werden noch selten genutzt
Ganz gut etabliert haben sich in der Schweiz Flohmärkte und Online-Plattformen, die Gebrauchtware verkaufen: Rund zwei Drittel der Bevölkerung nutzen solche Angebote zumindest sporadisch. Beim tatsächlichen Teilen beziehungsweise Ausleihen von Alltagsgegenständen sieht es hingegen anders aus: Lediglich die Bibliotheken haben sich grossflächig durchgesetzt. Zwei von drei Personen haben sich schon einmal in der Bibliothek ein Buch ausgeliehen. Das Konzept des Carsharings kennen zwar über 90 Prozent der befragten Personen, nur gerade dreizehn Prozent von ihnen haben es schon mal genutzt – als regelmässige Nutzerinnen oder Nutzer bezeichnen sich nur drei Prozent. Bei Verleihplattformen von Alltagsgegenständen zeigt sich ein ähnliches Bild: Während jede dritte Person entsprechende Angebote kennt, leiht sich nicht einmal ein Prozent der Menschen regelmässig den Hochdruckreiniger oder den Smoking über solche Plattformen aus.
Wir finden teilen gut, tun es aber kaum
An der Bekanntheit des Sharing-Konzeptes scheint es nicht zu liegen, dass die Angebote kaum genutzt werden, wie die HSLU-Befragung zeigt. Die Krux liegt woanders: «Bei vielen Sharing-Angeboten ist die Nutzungsbereitschaft wesentlich höher als die tatsächliche Nutzung», stellt Dominik Georgi, Konsumentenforscher und Dozent für Marketing an der Hochschule Luzern fest. So hat etwas mehr als die Hälfte der Befragten angegeben, durchaus bereit zu sein, Carsharing-Angebote zu nutzen. Trotzdem liegt die regelmässige Nutzung im einstelligen Prozentbereich. «Wir sehen hier ein Phänomen, welches wir in der Konsumentenforschung häufig antreffen», sagt Georgi. Er spricht vom sogenannten Attitude-Behavior-Gap, also von der Diskrepanz zwischen Verhaltensabsicht und tatsächlichem Verhalten. «In der Theorie erscheinen der hohe Nutzen und die vielen Vorteile von Carsharing plausibel», so der Experte. In der Umsetzung gebe es dann verschiedene Hürden. Dieses Verhalten lässt sich häufig bei Angeboten beobachten, die – wie das Sharing – als besonders nachhaltig oder umweltfreundlich wahrgenommen werden und so einem allgemeinen Trend entsprechen.
Eine Frage der Bequemlichkeit
Ob eine Plattform genutzt wird oder nicht, hängt stark davon ab, wie bequem beziehungsweise einfach sie zu nutzen ist. «Wenn man mit wenigen Klicks und geringem Aufwand einen benötigten Gegenstand leihen könnte, würden es wohl viele tun», sagt Georgi. Die Realität sehe jedoch anders aus: Verleihplattformen seien noch zu wenig bekannt, die Konsumentinnen und Konsumenten müssten daher zuerst recherchieren und sähen es als Hürde, sich registrieren zu müssen. Zudem befürchten viele, dass das gesuchte Produkt nicht in der unmittelbaren Umgebung angeboten wird. Hier, so Georgi, brauche es Überzeugungsarbeit. In der Schweiz fehle auch oft der finanzielle Anreiz, häufiger zu teilen. Einen Gegenstand selbst zu besitzen, vermittle uns das Gefühl der Unabhängigkeit. Deshalb sei es für viele wichtig, den Hochdruckreiniger selbst zu besitzen, auch wenn man ihn nur einmal pro Jahr wirklich braucht, erklärt der Konsumentenforscher. Je höher die Kaufkraft in einem Land, desto eher könne man sich diese Autonomie auch leisten.
«Sharing muss Spass machen, damit es funktioniert.»
Dominik Georgi
Die tatsächliche Bereitschaft, einen Gegenstand mit anderen zu teilen, hängt stark davon ab, inwiefern sich eine Person dadurch in der eigenen Privatsphäre eingeschränkt fühlt. Für gewisse Leute sei beispielsweise das Auto etwas sehr Privates, gibt Dominik Georgi zu bedenken. Diese Menschen wären kaum bereit, ihr eigenes Auto mit jemand fremden zu teilen oder anstelle eines eigenen Autos ein Sharing-Fahrzeug zu nutzen. Für andere sei das hingegen kein Problem. «Diese Einstellung ist sehr individuell und spielt für die Etablierung von Sharing-Plattformen eine grosse Rolle», sagt er. Hinzu komme, dass in der Schweiz der Sharing-Gedanke nicht so stark in der Gesellschaft verankert sei, wie in anderen Regionen der Welt. Georgi: «In Ländern und Kulturen, in denen die Familien enger zusammenleben, ist das Prinzip des Teilens besser etabliert.»
Aus der Nische finden
Damit die Sharing Economy in der Schweiz ihr volles Potenzial entfalten könne, muss das Konzept dahinter aus der Nische herausfinden, ist der Konsumentenforscher überzeugt. «Nur des Teilens wegen wird auch in Zukunft kaum jemand Sharing-Angebote nutzen.» Die HSLU-Studie zeigt: Der Nachhaltigkeitsgedanke ist zwar durchaus ein Faktor, wieso sich vereinzelt Menschen dazu entscheiden, einen Gegenstand zu teilen. Solange der ökologische Aspekt das wesentliche Alleinstellungsmerkmal von Sharing-Angeboten bleibt, werden es aber nur wenige tun. «Sharing muss Spass machen, damit es funktioniert», sagt Georgi. Damit meint er, dass sich die Servicequalität verbessern muss. Es stellten sich vor allem Fragen bei der Logistik – beim Sharing besonders wichtig, da ein geteilter Gegenstand immer zweimal auf die Reise geht: einmal hin und dann wieder zurück. «Wenn für jeden geteilten Gegenstand zwei Wege mit dem Auto zurückgelegt werden, widerspricht das dem ökologischen Bewusstsein, das die Plattformen vermitteln wollen», so Georgi. Sammellieferungen oder Abholstationen an hochfrequentierten Lagen sind erste Lösungsansätze, an denen die Anbieter arbeiten.
In Mehrfamilienhäusern werden Waschmaschinen schon lange gemeinsam genutzt. Kaum jemand hinterfragt diese Form des Teilens.
Teilen soll normal werden
Die Servicequalität von Sharing-Angeboten könnte auch durch eine bessere Integration in bestehende Wirtschaftszweige erreicht werden, findet Georgi. In verschiedenen herkömmlichen Onlineshops werden den Kundinnen und Kunden beim Kauf eines Produkts vermehrt Gebrauchtware oder Leihartikel als Alternative vorgeschlagen. Das liesse sich auch aufs Teilen übertragen: Die schweizweit grösste Sharing-Plattform Sharely arbeitet mit verschiedenen Grosshändlern zusammen. Nutzerinnen und Nutzer der App können so den Akku-Bohrer nicht nur bei einer Privatperson ausleihen, sondern auch beim Baumarkt um die Ecke. Die Verleihplattform agiert als Vermittlerin.
Geht es nach Georgi, sollen Sharing-Plattformen vermehrt über den Tellerrand hinausschauen. Er sagt: «Teilen bietet für die Konsumentinnen und Konsumenten auch die Möglichkeit, etwas Neues auszuprobieren.» Selbst Menschen, die sich grundsätzlich vieles leisten könnten, möchten schliesslich nicht alles neu kaufen. «Wenn ich mir nicht sicher bin, ob Rennradfahren das richtige für mich ist, leihe ich gerne zuerst einmal ein Rennrad günstig und niederschwellig aus, bevor ich es mir für viel Geld selbst anschaffe.» Eine Sharing-Plattform würde dann nicht nur einen Gegenstand vermitteln, sondern gleich ein ganzes Erlebnis. Solche Angebote könnten laut Georgi helfen, das Sharing populärer zu machen. Sobald es normal sei, etwas zu teilen, statt selbst zu besitzen, mache sich eine gewisse Selbstverständlichkeit breit. Georgi nennt das Beispiel der gemeinsam genutzten Waschmaschine in Mehrfamilienhäusern. «Das ist für die meisten Menschen ganz normal und wird kaum hinterfragt.» Vielleicht stellt sich diese Normalität irgendwann auch beim Teilen eines Pullis oder eines Akku-Schraubers ein – und es liegen nicht mehr so viele Gegenstände ungenutzt in der Wohnung rum.