Bei gewissen Produktkategorien wird bis zu 60 Prozent der online bestellten Ware nach Erhalt wieder zurückgeschickt. Überraschend sei das grundsätzlich nicht, meint Thomas Wozniak, Studienleiter der Onlinehändlerbefragung und Dozent an der Hochschule Luzern. «Wer im Onlineshop ein Produkt bestellt, hat Erwartungen», so Wozniak. Ob diese Erwartungen schliesslich erfüllt würden oder nicht, sehe man erst, wenn die Ware zuhause angekommen sei: der Pulli zu gross, die Farbe der Tasche anders als auf dem Foto oder die Hose nicht richtig sitzend. «Das sind alles Produktmerkmale, die im Onlineshop nicht immer eins-zu-eins erkennbar sind und dann bei Erhalt nicht den Vorstellungen entsprechen», erklärt Wozniak.
Am häufigsten betroffen von Retouren sind Onlineshops im Fashion-Bereich. Es gibt aber auch Produkte, die kaum zurückgeschickt werden. Wenig von der Retouren-Flut betroffen sind beispielsweise Buchhändler oder Onlineshops für Spielwaren. «Wer ein Buch oder Spielzeug bestellt, weiss in der Regel ungefähr, was er will. Der Gap zwischen der Erwartung und dem tatsächlichen Produkt ist bei solchen Produkten ziemlich klein», sagt der E-Commerce-Experte.
Retouren sind für alle Beteiligten ärgerlich
Thomas Wozniak stellt klar: «Die gebührenfreie Retourenmöglichkeit ist per se noch kein Grund, wieso jemand ein bestelltes Produkt wieder retourniert.» Ware zurückschicken zu müssen, weil sie nicht den Erwartungen entspreche, sei auch für die Kundinnen und Kunden ärgerlich. Die Gratis-Retoure fördere jedoch sogenannte Auswahlbestellungen. Die Kundinnen und Kunden bestellen beispielsweise eine Hose in drei verschiedenen Grössen, um diese dann zuhause anzuprobieren und die unpassenden Exemplare wieder zurückzuschicken – das Wohnzimmer wird so zur Umkleidekabine. «Grosszügige Retourenkonditionen laden zum übermässigen Bestellen ein», so Wozniak. «Kostenlose Retouren wirken als Katalysator», so der E-Commerce-Experte.
Retouren kosten immer
Wobei der Begriff «kostenlos» etwas irreführend sei, gibt Wozniak zu bedenken. Wenn ausgelieferte Ware wieder zurückgeschickt wird, verursacht das immer Kosten – sowohl in ökonomischer, als auch in ökologischer Hinsicht. «Die Frage ist lediglich, wer die Kosten trägt.» Wie hoch die Kosten im Schweizer Onlinehandel genau sind, untersucht Wozniak mit der aktuellen Onlinehändlerbefragung gemeinsam mit der Schweizerischen Post. Anbieter wie Zara oder Uniqlo verlangen für eine Retoure um die drei Franken. Die aktuelle HSLU-Onlinehändlerbefragung zeigt: Die Prozesskosten für eine einzelne Retoure liegen bei rund 20 Franken. Hinzu kommt, dass sich der Verkaufspreis eines zurückgeschickten Artikels um durchschnittlich 18 Prozent reduziert. «Diese Kosten landen dann erstmal beim Shopbetreiber», sagt Wozniak. Der zahle den Mehrbetrag entweder durch tiefere Margen selbst oder gebe ihn durch höhere Preise indirekt an die Kundinnen und Kunden weiter. «Teilweise zahlen wir die vermeintlich gebührenfreien Retouren über höhere Preise also schon heute mit.»
«Gratis-Retouren sind per se noch kein Grund, wieso Produkte zurückgeschickt werden.»
Thomas Wozniak, E-Commerce-Experte an der Hochschule Luzern
Noch gar nicht berücksichtigt in dieser Rechnung sind die ökologischen Kosten der Retouren – wenn also durch den Transport der Pakete CO2-Emissionen anfallen und haufenweise Verpackungsmaterial verbraucht wird. Bezahlt werden sie in der Regel weder von den Konsumentinnen und Konsumenten noch vom Shopbetreiber, sondern von der Allgemeinheit. Geht es nach Wozniak, müsste man bei der Diskussion über gebührenpflichtige Retouren auch diesen Aspekt mitdenken: «Die Anwendung des Verursacherprinzips wäre hier durchaus vernünftig.»
Kundschaft bei Entscheidung unterstützen
«Gebühren für das Zurückschicken einzuführen, könne das Retourenvolumen insgesamt wohl reduzieren und wäre daher durchaus sinnvoll», sagt Wozniak. Noch wichtiger sei es aber, die Retouren schon im Vorhinein zu vermeiden: «Onlinehändler haben, abgesehen von den Kosten, guten Grund, dafür zu sorgen, dass bestellte Produkte nicht zurückgeschickt werden.» Effektiver als restriktive Mittel wie Gebühren und Verbote wären unterstützende Massnahmen, mit denen die Konsumentinnen und Konsumenten dazu gebracht werden, nur Produkte zu bestellen, die sie später auch behalten. «Im Grunde geht es darum, der Kundin oder dem Kunden die richtige Entscheidung möglichst einfach zu machen und den Gap zwischen Erwartung und tatsächlich geliefertem Produkt zu minimieren», sagt Wozniak.
Lösungsansätze gibt es dafür viele: So etwa bessere Produktbeschreibungen, oder Bilder, die das Produkt im Nutzungskontext zeigen und veranschaulichen, wie es im Raum wirkt. Weiter können auch Kundenrezensionen hilfreich sein. Sie geben Kaufinteressierten nützliche Hinweise zur Ware. Bei Kleidern ist die Grösse ein kritischer Faktor. Onlinehändler zerbrechen sich die Köpfe darüber, wie sie Grössentabellen so anlegen können, damit diese auf unterschiedliche Marken und Schnitte anwendbar sind. «Hier kommt dem Onlinehandel das Potenzial der Digitalisierung zugute», so Wozniak. Im digitalen Raum sei heutzutage viel mehr möglich, als nur eine statische Grössentabelle.
Mit Daten und Algorithmen zur richtigen Grösse
So können technische Tools und Analysen von Kundendaten helfen, die richtige Kleider- und Schuhgrösse zu finden. Schon durch die Angabe weniger Parameter wie beispielsweise Körpergrösse, Gewicht, Körperform, Alter und bevorzugter Passform, kann mit Grössentools wie FitFinder eine mit hoher Wahrscheinlichkeit passende Grösse empfohlen werden. «Die Grössenberechnung basiert auf umfangreichen Daten zu Käufen und Retouren von ähnlichen Personen», erklärt Wozniak.
«Bei der Vermeidung von Retouren geht es im Grunde darum, der Kundin oder dem Kunden die richtige Entscheidung möglichst einfach zu machen.»
Thomas Wozniak, Studienautor der HSLU-Onlinehändlerbefragung
Solche Tools werden oft von Drittunternehmen angeboten. Andere Shops nutzen für artikelspezifische Grössenhinweise die Erfahrungen von Kundinnen und Kunden, die bestimmte Produkte bereits gekauft und retourniert haben. «Wenn Onlinehändler die Retourengründe systematisch analysieren, erkennen sie, wenn bestimmte Artikel sehr häufig zu gross oder zu klein ausfallen», so Wozniak. Diese Erkenntnisse gilt es dann für die potenzielle Kundschaft nutzbar zu machen, damit der gleiche Retourengrund nicht immer wieder zur Rücksendung führt.
Es sind Menschen, die bestellen
Die technologische Entwicklung geht laut Wozniak schon sehr weit. Heutige Smartphones mit passenden Apps ermöglichen durch sogenanntes Bodyscanning die Erstellung eines digitalen 3D-Profils des eigenen Köpers. Das Potenzial dieser Technologie bewog den Online-Versandhändler Zalando vor rund eineinhalb Jahren dazu, das Schweizer Start-up Fision zu kaufen. Ein Tech-Unternehmen, das auf Bodyscanning spezialisiert ist. Der Facebook-Mutterkonzern Meta übernahm derweil erst im Frühjahr 2022 das Deutsche Start-up Presize, das einen digitalen Grössenassistenten entwickelt hat. Das Schweizer Start-up EyeFitU nutzt künstliche Intelligenz, um die richtige Kleidergrösse zu ermitteln. Ebenfalls aus der Schweiz stammt das Unternehmen ShoeSize.Me, das Daten zu Schuhgrössen sammelt und per Algorithmus die ideale Grösse von Schuhen verschiedener Marken ermittelt. Onlinehändler können den Algorithmus direkt in ihren Shop einbinden.
Auch Aspekte aus der Verhaltenspsychologie finden bereits Einzug in Schweizer Onlineshops. So kombiniert das Schweizer Start-up behamics Daten mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Konsumentenforschung, um mit sogenannten Nudges – also kleinen psychologischen «Anstupsern» – die Retourenquoten von Onlineshops wirksam zu reduzieren. Am Ende sei es wohl die Kombination aus restriktiven und unterstützenden Massnahmen, die nachhaltig dafür sorge, dass bestellte Waren nicht mehr so oft zurückgeschickt würden, so der HSLU-Forscher. Apps und Algorithmen könnten dabei eine Hilfeleistung bieten. Wozniak ist sich aber auch bewusst: «Bestellt werden die Produkte am Ende immer noch von Menschen.»
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