Mission MINT: Starthilfe für Technik-Nachwuchs

Roboter zum Leben erwecken oder ein Computer-Game programmieren: Die Hochschule Luzern (HSLU) fördert mit verschiedenen Programmen den Technik- und Informatik-Nachwuchs. Was das bringt, zeigt eine neue Studie der Pädagogischen Hochschule Luzern.

MINT-Förderung an der Hochschule Luzern

Stein für Stein bauen die Mädchen und Jungen ihre kleinen Roboter auf. Sie hantieren mit Legos, Elektromotoren, Sensoren und Rädern. Es sieht aus, als ob sie spielten, doch es gilt ernst. Wir befinden uns am Regionalwettbewerb der World Robot Olympiad (WRO) auf dem Campus Zug-Rotkreuz. Hier tüfteln 81 Kinder und Jugendliche an kniffligen Robotik-Aufgaben.

Leise besprechen sie sich, kichern und denken nach, während sie konzentriert Befehle in ihre Laptops tippen. Die Roboter rattern über die Spieltische und versuchen, die gestellten Aufgaben korrekt und effizient zu lösen.

Durch Wettbewerbe wie die WRO können Schülerinnen und Schüler Selbstvertrauen in den MINT-Bereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) gewinnen.

In der Schweiz besteht ein Fachkräftemangel in diesen Bereichen, und der Anteil der Frauen ist gering. Dabei spielt MINT eine entscheidende Rolle für Innovation und wirtschaftliches Wachstum. Deshalb betreibt die Hochschule Luzern diverse Förderprogramme. Doch wie gut funktioniert die MINT-Förderung der Hochschule Luzern in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Luzern (PH Luzern)? Und welche Einstellungen haben Kinder und Jugendliche zum MINT-Bereich? Genau das untersuchte Forscherin Andrea Maria Schmid unter anderem in ihrer Dissertation. Sie arbeitet an der PH Luzern am Institut für Fachdidaktik Natur, Mensch, Gesellschaft und sie wirkt als Dozentin für Naturwissenschaften & Technik sowie Medien und Informatik. Seit 2021 leitet sie zudem die Geschäftsstelle für Forschung und Entwicklung an der PH Luzern.

Die Studie von Andrea Maria Schmid zum Thema «Authentische Kontexte für MINT-Lernumgebungen»

Andrea Maria Schmid untersucht in ihrer Studie die Einstellungen und Interessen von Schülerinnen und Schülern in MINT-Fächern und deren Berufswünsche. Sie stellt fest, dass nur Wenige sich einen Beruf im MINT-Bereich vorstellen können. Um mehr junge Menschen für solche Ausbildungen zu gewinnen, gibt die Autorin eine Empfehlung ab, die sich in wenigen Worten so zusammenfassen lässt: Den Kindern und Jugendlichen echte Situationen bieten, in denen sie MINT nicht nur lernen, sondern erleben können. Praktisches Arbeiten und Workshops können dazu beitragen, das Interesse zu wecken und fundierte Entscheidungen über technische und Informatik-Berufe zu treffen.
In ihrer Studie untersuchte Andrea Maria Schmid zwei kontextbezogene Projekte im MINT-Bereich, die innerhalb der MINT-Kooperation zwischen der Hochschule Luzern und der Pädagogischen Hochschule Luzern entwickelt wurden. Eines davon war die Lernumgebung «Mit Roberta® die Stadt der Zukunft entdecken», ein anderes konzentrierte sich auf das Lernen in den Labors von sechs authentischen Projekten des Departements Technik & Architektur, die für den Unterricht aufbereitet wurden. Über einen Zeitraum von vier Jahren wurden insgesamt 1‘156 Schülerinnen vor und nach der Teilnahme an den MINT-Programmen befragt. Das Lernen im Kontext stand dabei im Fokus. Dabei wird die Theorie, zum Beispiel physikalische Formeln, anhand eines praktischen Beispiels erlebbar gemacht. Zusätzlich wurden 176 angehende Lehrpersonen in das Projekt einbezogen. (Quelle: Dissertation Authentische Kontexte für MINT-Lernumgebungen von Andrea Maria Schmid, 2023, erscheint Ende Juni)

Mädchen verlieren in der Jugend das Interesse an Technik

Eine Erkenntnis der Studie: Das Interesse an der Technik nimmt zwischen dem 12. und 13. Lebensjahr ab, besonders bei Mädchen. «In dieser Altersgruppe empfinden Jugendliche Technik tendenziell als schwieriger, die Mädchen noch mehr als die Jungen. Zudem sind sie eher der Überzeugung, dass Jungen bessere Leistungen in MINT-Fächern erbringen als Mädchen. Auch erkennen sie die Auswirkungen der Technik als wichtiger an als in jüngerem Alter», sagt Studienautorin Andrea Maria Schmid. Diese Resultate decken sich mit internationalen Studien, wie z.B. PISA und TIMSS sowie Metastudien: Im Übergang vom Primarschulalter in die Sekundarstufe I beginnen Interessen und Einstellungen von Kindern und Jugendlichen bezüglich Naturwissenschaften und Technik generell abzunehmen.

Weichenstellung: Zwischen dem 12. und 13. Lebensjahr gibt es einen Bruch beim Interesse an Technik und technischen Berufswünschen. (Grafik: Andrea Maria Schmid)

Beobachten kann man diese Abnahme auch bei den MINT-Angeboten der HSLU. An der World Robot Olympiad nahmen mehrere Mädchen-Teams aus der Altersgruppe von 8 bis 12 Jahren teil und belegten sogar die ersten drei Plätze auf dem Siegerpodest. In der Altersgruppe von 12 bis 15 Jahren hingegen waren kaum noch Mädchen vertreten.
Bei der kostenlosen Technik-Woche (Techweek) zeigt sich ein ähnliches Bild: Da können Schülerinnen und Schüler der Oberstufe eine Woche lang in die Welt der Technik und Informatik eintauchen und ein kleines Gadget bauen. Sie schwingen den Lötkolben, nutzen den Lasercutter, verwenden den 3D-Drucker, lernen Programmieren und können Hochschulluft schnuppern. Der Anteil an Mädchen liegt jeweils bei rund 20 Prozent.

René Hüsler, Direktor des Departements Informatik, gratuliert Gewinnerinnen an der World Robotic Olympiade in Rotkreuz.

Die Studie von Andrea Maria Schmid verdeutlicht anhand von weiteren Resultaten, dass die Einstellungen und Interessen im Jugendalter schwieriger zu verändern sind als in jüngeren Jahren. Daher ist es wichtig, das Interesse und Verständnis für Technik und Naturwissenschaften so früh wie möglich zu wecken. «Gleichzeitig sollten wir weiterhin auch ältere Jugendliche ermutigen, sich für Technik und Naturwissenschaften zu begeistern», sagt Schmid.

Jugendliche setzen immer noch auf Stereotype

Dass sich Mädchen weniger für MINT-Fächer interessieren, führt Schmid insbesondere auf drei Faktoren zurück: Stereotype, fehlende Erfahrungen und unterschiedliche Vorstellungen über die eigenen Fähigkeiten. Oftmals stimmt das Selbstbild der jungen Frauen nicht mit dem MINT-Fächern und damit verbundenen Berufen überein. Resultate der PISA-Studie weisen darauf hin, dass Einstellungen sowie damit verbundene Interessen zu Naturwissenschaften und Technik unter anderem einen Einfluss auf das Engagement und den Berufswunsch in diesen Bereichen haben. Mädchen wenden sich von den Fächern Mathematik, Physik mit Technik und zum Teil Chemie über die Schulzeit hinweg ab. Diese MINT-Fächer werden gesellschaftlich eher als hart und männlich stereotypisiert. Dies spielt vor allem in der Zeit der Pubertät eine Rolle, in der die Mädchen ihren Platz in der Gesellschaft suchen und so auch ihren Beruf auswählen.
Das Bild, wonach Jungen technische Inhalte besser verstehen, während Mädchen eher selbstlos und fürsorglich sind, hält sich hartnäckig. Obwohl es längst überholt sein müsste, führt es dazu, dass eine Zukunft in technischen Berufen auf Schülerinnen unattraktiv wirkt. Paradoxerweise ist dieses Bild in wohlhabenden und gleichberechtigten Gesellschaften sogar stärker ausgeprägt als in ärmeren und traditionelleren.

Talentfrage ist ein Mythos

Die HSLU will diesem Problem entgegenwirken. In den beiden Departementen Informatik und Technik & Architektur ist die MINT-Förderung naturgemäss eine Herzensangelegenheit. Eine, die dabei konkret mitanpackt, ist Forscherin Solange Emmenegger. Dank ihrem informatik- und technikbegeisterten Vater war sie bereits als Kind von Computerspielen und dem Universum fasziniert. Heute macht sie Maschinen intelligent für das Algorithmic Business Research Lab. «Ich will die Informatik aus ihrem verstaubten Image herausholen und zeigen, dass es sich um ein spannendes Feld handelt», sagt Emmenegger. Sie leitet verschiedene Workshops zur MINT-Förderung am Departement Informatik.

Emmenegger möchte speziell Mädchen ermutigen. Denn: «Die Talentfrage ist für mich ein Mythos.» Was vielmehr zähle, sei eine hohe Fehlertoleranz: «In der Informatik verbringt man 90 Prozent der Zeit damit, Fehler zu suchen.» Sie sagt auch: «Es müssen nicht alle Informatikerinnen oder Informatiker werden. Aber es gibt zu wenige, denen bewusst ist, dass sie es werden könnten.»
Besonders wirkungsvoll findet Emmenegger die Robotik-Workshops. Dabei können Jugendliche einen ganzen Tag lang einen LEGO- Roboter bauen und programmieren. «Für die meisten ist es ein riesiges Erfolgserlebnis, wenn die Roboter dann das tun, wofür sie programmiert wurden.»

Dimitra und Fanni entdecken Algorithmen

Zwei ehemalige Teilnehmerinnen erzählen begeistert von einem Scratch-Workshop: Dimitra Moursela und Fani Alevizou, beide elf Jahre alt, besuchten mit der Klasse das Departement Informatik. Sie entdeckten Algorithmen, Berufsbilder und lernten Programmieren mit Scratch. Fani Alevizou berichtet: «Ich habe mein eigenes Spiel programmiert. Jetzt habe ich ein klareres Bild von der technischen Welt und ihren Berufen.» Dimitra Moursela meint: «Mich hat der Tag motiviert, mich noch intensiver mit diesem Thema zu beschäftigen.»

Positives Feedback geben auch andere Schülerinnen und Schüler nach einem Robotik-Workshop im Unterricht:

  • Ich würde darum betteln, um wieder beim Robotiktag mitmachen zu dürfen. (Kind 1, w, 11 Jahre)
  • Also eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, beruflich etwas mit Roboter oder Programmierung zu machen. Aber da ich es jetzt kenne, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich eventuell auch beruflich wieder etwas damit zu tun haben möchte. (Kind 1, w, 11 Jahre)
  • Ich fand es auch cool, wie es heute war mit selbst Verkleiden von Roberta, weil man so viel mehr Vertrauen zu Roberta aufbauen kann. (Kind 2, w, 11 Jahre)
  • Mir hat es richtig viel Spass gemacht. Ich wusste noch nicht so viel über Programmierung, obwohl ich es schon mal gemacht habe. Das hat mir heute richtig viel weitergeholfen. (Kind 3, m, 10 Jahre)
  • Ich finde es cool, wenn man es programmiert auf dem Bildschirm sieht und ausgeführt mit Robotern erlebt, dann kann man sich auch richtig vorstellen, was man gemacht hat. Sonst kann man sich das nicht so gut vorstellen. (Kind 4, m, 12 Jahre)

MINT-Programme wirken positiv

Diese Workshops finden im Rahmen des RobertaRegioZentrums Luzern statt und werden von der HSLU gemeinsam mit der PH Luzern betrieben. Diese Art von Förderprogrammen hat laut der Studie nachweislich positive Auswirkungen: «Der Berufswunsch und das Interesse für Technik nahmen bei Mädchen und Jungen im Alter zwischen 9 bis 16 Jahren zu mit moderaten bis grossen Effektstärken, nachdem sie an einem Workshop von Roberta® teilgenommen hatten», so Schmid. Die Technikeinstellungen wurden insgesamt in sechs Subdimensionen gemessen:

Eines der schönsten Resultate für Andrea Maria Schmid: Die Überzeugungen in Bezug auf Geschlechterunterschiede im Technikbereich nehmen insbesondere bei den Schülerinnen zwischen 13 bis 16 Jahren nach dem Roberta-Workshop ab. Die jungen Frauen sind nach dem Workshop eher davon überzeugt, dass Jungen und Mädchen gleichermassen für technische Inhalte begabt sind und diese erlernen können.

Die wichtige Rolle der Lehrpersonen

Den Lehrpersonen kommt eine wichtige Rolle zu. Ein erfolgreiches Beispiel ist auch das Projekt «MINT – unterwegs». Lehrpersonen erhalten Weiterbildungen, um kontinuierlich mit den Schülerinnen und Schülern zu arbeiten. Die PH Luzern und die Hochschule Luzern planen und setzen im Rahmen des Programms «Aufbau eines nationalen Netzwerks zur Förderung der MINT-Bildung – hochschultypenübergreifende Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen» (kurz: «Netzwerk MINT-Bildung») diverse Projekte um.

Projekte wie die an der Roberta-Initiative ausgerichtete Lernumgebung «Mit Roberta® die Stadt der Zukunft entdecken» sind ein gutes Beispiel dafür, wie das Interesse für MINT auch in den herausfordernden Jugendjahren gefördert werden kann. Aber Achtung: «Die Studie ist eine Momentaufnahme», sagt Schmid. «Es ist wichtig, dass die MINT-Förderung didaktisch sorgfältig aufbereitet sowie langfristig mit Vor- und Nachbereitungsmöglichkeiten in den Unterricht und die Freizeit gestaltet wird. Ein einmaliger Workshop reicht nicht aus.»

MINT-Förderung führt zu gesellschaftlichem Wandel

Die Angebote der HSLU haben auch einen Multiplikatoreneffekt: Wenn Kinder und Jugendliche zu Hause darüber berichten, was sie gelernt haben, regen sie weitere Menschen dazu an, sich mit Technik auseinanderzusetzen. Das braucht jedoch Zeit. Alle Parteien müssen gemeinsam mitwirken. Nur wenn MINT-Förderung langfristig wirkt, lassen sich zunehmend mehr Mädchen für entsprechende Ausbildungen und Berufe begeistern und gewinnen.

Interessiert an einem Studium im MINT-Bereich?

Zu den Bachelor-Studiengängen im Bereich Technik & Architektur: https://www.hslu.ch/de-ch/technik-architektur/studium/bachelor/

Zu den Bachelor-Studiengängen im Bereich Informatik: https://www.hslu.ch/de-ch/informatik/studium/bachelor/

Zu den Master-Studiengängen Technik & Architektur: https://www.hslu.ch/de-ch/informatik/studium/master/

Zu den Master-Studiengängen Informatik: https://www.hslu.ch/de-ch/informatik/studium/master/

 

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