Zwischen Akzeptanz und Ablehnung: «Öffentlich-rechtliche Medien kämpfen heute mehr denn je um Legitimation»

Was bedeutet guter Service public in der heutigen Medienlandschaft und wie viel soll er kosten? Diese Fragen beschäftigen nicht nur die Politik, sondern spalten auch die Bevölkerung. Warum gesellschaftlicher Gegenwind für die öffentlich-rechtlichen Medien nicht unbedingt schlecht ist, erklärt Medienökonom Philipp Bachmann im Interview.

Regieraum im SRF-Studio Leutschenbach

Blick in die Regie während der Hauptausgabe der SRF-Tagesschau. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Philipp Bachmann, in einer kürzlich veröffentlichten Umfrage gaben 61 Prozent an, dass sie der Initiative «200 Franken sind genug» zur Senkung der SRG-Gebühren zustimmen würden. Was sagt Ihnen das als Medienökonom?

Die Initiative trifft einen Nerv. Selbst der Bundesrat, der die Initiative ablehnt, spricht sich nun für eine Senkung der Radio- und Fernsehgebühren auf 300 Franken pro Haushalt aus. Aus finanzieller Sicht wäre dies für die SRG schmerzhaft. Gleichzeitig zwingt die Initiative die SRG dazu, sich sowohl intern als auch in der öffentlichen Debatte zu positionieren und zu rechtfertigen. Dieser Druck, sich selbst zu hinterfragen und in einen Dialog mit der Bevölkerung zu treten, bringt auch positive Aspekte mit sich.

Zum Beispiel?

Im Rahmen einer aktuellen Studie haben wir herausgefunden, dass öffentlich-rechtliche Medien in der Schweiz einen stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung haben als in Deutschland und Österreich. Die politische Mitbestimmung spielt dabei eine wichtige Rolle.

Steht dieses Ergebnis nicht im Widerspruch zur Intention, der SRG den Geldhahn zuzudrehen?

Die direkte Demokratie zwingt die SRG, sich stärker an gesellschaftliche Bedürfnisse anzupassen. Andernfalls riskiert sie negative Sanktionen, wie sie bei Annahme der Initiative drohen. Dies kann paradoxerweise langfristig zu einer höheren Legitimation führen, da die SRG einen Anreiz hat, den Anschluss an die Bevölkerung nicht zu verlieren. Leider ist vielen Menschen noch nicht bewusst, wie gross der Spardruck im Schweizer Journalismus mittlerweile ist. Eine Kernbotschaft der SRG müsste daher sein, dass sie der strukturellen Medienkrise entgegenwirkt, indem sie hochwertige Inhalte erstellt. Die Rahmenbedingungen, dass dies gelingen kann, sind gut: Historisch gesehen hat der Service public in der Schweiz, der die SRG einschliesst, einen höheren Stellenwert als in unseren Nachbarländern.

Studie zeigt: Organisationen der Grundversorgung haben in der Schweiz eine höhere Legitimation als in Deutschland oder Österreich

In einer internationalen Studie haben das Meinungsforschungsinstitut Gallup AG Schweiz und die Hochschule Luzern die Legitimation von 25 Organisationen der Grundversorgung in der Schweiz, Deutschland und Österreich untersucht. Während Postdienste in der Bevölkerung besonders hoch angesehen sind, haben öffentlich-rechtliche Medien aller drei Länder den geringsten Rückhalt.

Zudem macht der Ländervergleich deutlich: In der Schweiz haben Service public Organisationen einen höheren Stellenwert in der Bevölkerung als in Deutschland oder Österreich. Sie befinden sich alle in den Top Ten des Legitimationsrankings. Während die Schweizerische Post gesamthaft den ersten Platz belegt, bildet die SRG mit dem zehnten Platz das Schweizer Schlusslicht.

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Der da wäre?

Service public wird in der Schweiz als verbindendes Element der verschiedenen Kultur- und Sprachregionen gesehen. Dies betrifft nicht nur die Medien, sondern auch andere Grundversorgungseinrichtungen wie Post oder Telekommunikation. Es überrascht mich daher nicht, dass Schweizer Service-Public-Organisationen im Dreiländervergleich die höchsten Legitimationswerte erreicht haben.

Warum geniesst die SRG in der Schweiz dennoch eine geringere Legitimation als andere Service-public-Organisationen?

Das hängt mit der Komplexität ihres Kernauftrags zusammen. Nehmen wir als Vergleich zum Beispiel die Postdienste, die sowohl hierzulande als auch international eine sehr hohe Legitimation geniessen. Für die Bevölkerung ist es relativ einfach zu bewerten, ob sie ihre Kernaufgabe – Post von A nach B zu befördern – erfüllen. Öffentlich-rechtliche Medien hingegen müssen ein vielfältiges Programm aus Information, politischer Meinungsbildung, Unterhaltung und Kultur bieten.

Also Aspekte abdecken, über deren Qualität und Inhalt man sich leichter streiten kann.

Genau. Die Einschätzung, ob Themen relevant sind, ob ein Beitrag politisch gefärbt erscheint oder ob Formate wie der «Samschtig-Jass» zum Service public zählen, ist stark subjektiv. Deshalb ist es für die SRG eine besondere Herausforderung, breite gesellschaftliche Zustimmung zu finden. An dieser Stelle zeigt sich die Wichtigkeit gut ausgebildeter Journalistinnen und Journalisten: Indem sie relevante Themen professionell und verständlich aufbereiten und einordnen, können sie die Diskrepanz zwischen subjektiver Einschätzung und gesellschaftlicher Willensbildung schmälern. Im Medienqualitätsrating, an dem ich mitwirke, zeigt sich, dass die SRG-Titel mit ihrer Politik- und Wirtschaftsberichterstattung einen grossen Einfluss auf die Meinungs- und Willensbildung haben. Sieben der zehn Medientitel mit den höchsten «Impact-Scores» gehören zu RTS und SRF.

Auch die veränderte Medienlandschaft ist zum harten Pflaster geworden. Müssen sich öffentlich-rechtliche Medien heute stärker behaupten als früher?

Definitiv. Die mediale Angebotsvielfalt ist exponentiell gewachsen, wodurch die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des Publikums intensiver geworden ist. Öffentlich-rechtliche Sender stehen nun in direktem Wettbewerb mit einer Vielzahl anderer Medien, Plattformen, Social Media und Streamingdiensten. In diesem Kontext sind populäre Unterhaltungsformate wie die «Landfrauenküche» oder Sportprogramme für die SRG kein reiner Selbstzweck, sondern man könnte sie als Magnete beschreiben, die die Aufmerksamkeit der Zuschauer anziehen sollen. Sie werden oft routiniert geschaut und «erleichtern» den Zugang zum restlichen SRG-Angebot, zu Informations-, Kultur- und Bildungsformaten.

Unterhaltungsformate sind also wichtig für die SRG, um im Medienmarkt zu bestehen?

Ja, denn das gesamte Programmangebot der SRG ist mehr als die Summe einzelner Teile. Stellen Sie sich vor, die Harry-Potter-Geschichten würden sich ausschliesslich darauf konzentrieren, wie Harry und seine Freunde zur Schule gehen und Prüfungen schreiben – aber ohne Zaubersprüche oder magische Kreaturen. In den Geschichten wären wichtige Themen wie Freundschaft zwar noch vorhanden, doch kein Mensch würde sie lesen oder schauen. Ähnlich verhält es sich mit dem Entfernen von Unterhaltungselementen aus einem Medienangebot. Reine Information hat es schwer auf dem Medienmarkt.

Um zum jungen Publikum durchzudringen, versuchen sich SRF, ORF und Co. auch auf Plattformen wie TikTok. Ist der häufig geäusserte Vorwurf gerechtfertigt, sie würden sich damit von ihrer Kernaufgabe wegbewegen?

Es ist ein unlösbares Dilemma. Einerseits müssen die Öffentlich-rechtlichen gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag alle Bevölkerungsgruppen erreichen und ansprechen, da führt kein Weg an sozialen Medien vorbei. Doch die Anpassung an die Spielregeln sozialer Medien birgt das Risiko, dass sie ihre eigene journalistische Seriosität untergraben. Denn soziale Medien leben gerade von der Zuspitzung, Emotionalisierung, Einseitigkeit und teilweise auch grenzwertigem Humor. Eigenschaften, die im Gegensatz zu den Service public-Grundsätzen wie Ausgewogenheit, Sachlichkeit und Vielfalt stehen.

Welche Konsequenz hat dieses Dilemma?

Die öffentlich-rechtlichen Medien können auf Social Media eigentlich nur scheitern. Aber im Idealfall scheitern sie auf sehr hohem Niveau. Ihre Situation ist vergleichbar mit einem klassischen Orchester, das versucht, populäre Musikstile zu adaptieren, um junge Menschen auf Plattformen wie Spotify und TikTok zu erreichen.

Müssten nicht gerade öffentlich-rechtliche Medien auf Social Media eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Fake News einnehmen?

Das wäre wünschenswert. Für eine Demokratie ist es aus meiner Sicht von Vorteil, gut finanzierte öffentlich-rechtliche Medien zu haben, besonders im Kontext der zunehmenden Verbreitung von Fake News. Um diesen Fehlinformationen entgegenzuwirken, sind gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten nötig, die Informationen sorgfältig auswählen und aufbereiten. Für private Medien ist dies angesichts sinkender Werbeeinnahmen und geringer Zahlungsbereitschaft schwierig profitabel umsetzbar.

Unabhängig davon, ob sich die zu Beginn erwähnte Initiative oder ein Alternativvorschlag durchsetzen wird: Wie können die öffentlich-rechtlichen Medien ihre Legitimation langfristig halten?

Indem sie trotz Kostendruck einen hohen Kundennutzen erzielen: Also für ein hochstehendes Gesamtangebot sorgen, das Information, kulturelle und gesellschaftlich verbindende Elemente umfasst. Weiter müssen sie ihrer ökonomischen Verantwortung gerecht werden und ihre Gelder sinnvoll und gut begründbar einsetzen. Die Bevölkerung sollte spüren, dass Entscheidungen umsichtig getroffen werden – auch wenn sie nicht der eigenen Meinung entsprechen.

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