«Die grossen Verlagshäuser verdienen viel Geld – nur eben nicht mit Journalismus»

Am 13. Februar 2022 haben die Schweizer Stimmberechtigten ein neues Mediengesetz abgelehnt. Der HSLU-Medienökonom Philipp Bachmann untersucht regelmässig die Qualität der Schweizer Medien. Seine Analysen zeigen: In der Schweiz wird es auch in Zukunft hochwertigen Journalismus geben. Wieso die Medienkrise trotzdem real ist, erklärt er im Interview.

Interview mit Philipp Bachmann zum Mediengesetz

Philipp Bachmann, lässt sich mit Journalismus noch Geld verdienen?

Es ist unglaublich schwierig geworden. Das liegt nicht daran, dass Journalistinnen und Journalisten keinen guten Job mehr machen. Die Rahmenbedingungen der Medienbranche haben sich schlicht fundamental verschlechtert.

Was ist passiert?

Die Digitalisierung hat das Geschäftsmodell des Journalismus an den Rand des Einsturzes gebracht. Das hat – vereinfacht gesagt – zwei Gründe. Erstens: Im Internet gibt es so viele attraktive Unterhaltungsangebote und kostenlose Informationskanäle, dass nicht länger ausreichend Menschen bereit sind, für hochwertigen Journalismus zu bezahlen. Zweitens: Früher war es noch attraktiv, in den Medien Werbeanzeigen zu platzieren. Doch in Zeiten personalisierter Online-Werbung fliessen die Werbemilliarden zu den Tech-Unternehmen hinter Google, Facebook und Twitter.

Die Digitalisierung verändert alle Wirtschaftsbereiche. Wieso soll der Staat ausgerechnet der Medienbranche aus der Patsche helfen?

Medien produzieren Informationen, die für eine funktionierende demokratische Gesellschaft wichtig sind. Die Tech-Giganten, zu welchen die Werbeeinnahmen abwandern, sind global ausgerichtet und haben kein Interesse, diese Funktion zu übernehmen. Sie produzieren selbst keine nennenswerten journalistischen Inhalte, sondern bieten lediglich eine Plattform für die Inhalte anderer. Bei der algorithmischen Auswahl dieser Inhalte folgen sie keinen demokratischen oder journalistischen Idealen. Im Gegenteil: Ob sie Information oder Desinformation verbreiten, spielt für die Tech-Unternehmen keine Rolle, solange die Inhalte angeklickt werden.

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Kanäle für Falschinformationen

Hohes Vertrauen in die Medien: Gemäss eigenen Angaben treffen rund 60 Prozent der Menschen in der Schweiz auf Social Media oft oder sehr oft auf Falschinformationen. In den gedruckten Zeitungen nehmen lediglich 10 Prozent von ihnen regelmässig «Fake News» wahr. (Die Darstellung zeigt, auf welchen Kanälen Menschen in der Schweiz nach eigenen Angaben oft oder sehr oft auf Falschinformationen treffen; Quelle: fög, Jahrbuch Qualität der Medien 1/2021)

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Haben es die privaten Medienhäuser verpasst, funktionierende Geschäftsmodelle zu entwickeln?

Die grossen Schweizer Verlagshäuser verdienen viel Geld – nur eben nicht mit Journalismus. Sie entwickeln Dienstleistungen, mit denen sie selbst zu Tech-Unternehmen werden, beispielsweise indem sie in den Aufbau von digitalen Marktplätzen für Immobilien oder Stellenbörsen investieren.

Wenn sie diese Gelder innerhalb ihres Unternehmens umlenken würden, hätten sie gar keine staatliche Förderung nötig?

Sie könnten die eigenen journalistischen Angebote querfinanzieren – aber das würde ihrer unternehmerischen Logik widersprechen. Das neue Mediengesetz hätte insbesondere den kleinen Online-Medien sowie kleineren und mittleren Zeitungen unter die Arme gegriffen. Die wenigen grossen Verlagshäuser wie TX Group, CH Media und Ringier würden auch ohne Medienförderung überleben, doch eben nicht durch die eigenen journalistischen Angebote. Ohne Medienförderung besteht die Gefahr, dass die Medienkonzentration weiter voranschreitet.

Wieso sollte eine abnehmende Medienvielfalt den Staat beschäftigen?

Für eine robuste Demokratie braucht es ein Zusammenwirken vieler unterschiedlicher journalistischer Angebote. Wir dürfen nicht vergessen: Die Menschen in einem Staat nutzen Medien sehr unterschiedlich. Es braucht regionale und überregionale Medien. Medien mit verschiedenen politischen Ausrichtungen. Es braucht hochstehende Qualitätsmedien ebenso wie Boulevardmedien, die ein breites Publikum ansprechen. Die Informationen sollten auf verschiedenen Kanälen verfügbar sein, damit möglichst viele Menschen erreicht werden. Und in der Schweiz kommt noch die Sprachenvielfalt hinzu. Diese vielfältige Qualität kostet – aber keine Medienvielfalt kommt den Staat am Ende noch teurer zu stehen.

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Medienkonzentration in der Schweiz

Grafik Medienkonzentration
Medienkonzentration Grafik

Die vier grössten Verlagshäuser vereinen einen grossen Teil der Medientitel, die in den Schweizer Haushalten landen. Laut des HSLU-Medienökonoms Philipp Bachmann hat die Medienkonzentration dazu geführt, dass die Vielfalt der Medien insgesamt abgenommen hat. (Quelle: Medienqualitätsrating 2020, Stand: 2020).

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Sie untersuchen als Wissenschaftler regelmässig die Qualität der Schweizer Medien. Leidet die Medienqualität unter den veränderten Bedingungen?

Es gibt nicht die eine Kennzahl, anhand derer sich diese Frage objektiv beantworten liesse. Wir haben in der Schweiz zweifellos nach wie vor Beispiele für sehr guten Journalismus. Im Medienqualitätsrating schneiden die Angebote der SRG sehr gut ab. Die SRG finanziert sich allerdings kaum über den oben genannten Publikums- und Werbemarkt, sondern zu mehr als 80 Prozent über Einnahmen aus den Radio- und Fernsehempfangsgebühren. Sie ist daher vom Mediengesetz nicht direkt betroffen. Darüber hinaus gibt es auch hochwertige journalistische Medien, die sich am freien Markt behaupten: Sowohl bei den Tageszeitungen und deren Online-Pendants als auch bei den Sonntagszeitungen und Magazinen gibt es in der Schweiz qualitätsvolle Angebote. Auch im reinen Online-Bereich haben sich verschiedene Titel etabliert, die seriösen Journalismus abliefern.

Also alles halb so schlimm?

Einzelne hochwertige Angebote dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die journalistische Vielfalt insgesamt abgenommen hat und es gerade für kleine, unabhängige Titel, die dieser Medienkonzentration entgegenwirken wollen, fast nicht möglich ist, gewinnbringend zu arbeiten. Weil sich der Journalismus weniger rentiert, wird das gesamte Mediensystem geschwächt.

Könnte eine staatliche Unterstützung diese Probleme lösen?

Angesichts des finanziellen Drucks ist es grundsätzlich sicher sinnvoll, private Medien zu stärken. Schliesslich sollte sich eine demokratische Gesellschaft eine hohe Qualität und Vielfalt der Medien etwas kostet lassen.

«Eine demokratische Gesellschaft sollte sich eine hohe Qualität und Vielfalt der Medien etwas kostet lassen.»

Aber?

Die Vorlage, über die am 13. Februar 2022 abgestimmt wurde, war ein kompliziert geschnürtes Paket, das vielerlei Massnahmen enthielt: Von der vergünstigten Postzustellung von Zeitungen über die Förderung von Online-Medien, Lokalradios und Regionalfernsehen bis hin zur Unterstützung von Nachrichtenagenturen.
Handwerklich wirft die Vorlage einige Fragen auf.

Zum Beispiel?

Es erscheint mir nicht zukunftsfähig zu sein, länger an der Unterscheidung von Print, Radio und Fernsehen sowie Online festzuhalten. Zudem lässt sich darüber streiten, ob das Subventionieren der physischen Zustellung von Zeitungen noch zeitgemäss ist. Die strukturellen Probleme der Medienbranche wird dieses Gesetz allein nicht lösen können. Trotzdem ist eine Medienförderung an sich für viele Verlage überlebensnotwendig.

Welche anderen Wege gäbe es, um die Vielfalt und Qualität der Medien zu fördern?

Bereits vor einigen Jahren wurde in einem Bericht der Eidgenössischen Medienkommission sowie in einer Studie des Kompetenzzentrums TA-Swiss eine Änderung des heutigen Fördersystems vorgeschlagen. Die Autorinnen und Autoren dieser Studie haben eine direkte Medienförderung empfohlen, wie es unter anderem skandinavische Länder kennen. In Schweden werden zum Beispiel Zeitungsabos finanziell unterstützt. Hierzulande werden schon seit Jahren verschiedene Ansätze diskutiert. Das jetzige vom Bundesrat und Parlament geschnürte Massnahmenpaket wäre ein typischer Kompromiss gewesen.

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Zahlungsbereitschaft für Online-News im internationalen Vergleich

Die Bereitschaft, für Online-News zu zahlen, ist in der Schweiz wesentlich tiefer als in skandinavischen Ländern. Während im Jahr 2020 in Norwegen über 40 Prozent der Bevölkerung für Online-News bezahlt haben, waren es in der Schweiz nur gerade 13 Prozent (Entwicklung der Zahlungsbereitschaft für Online-News; Quelle: fög, Jahrbuch Qualität der Medien 2020).

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