Urs-Peter Menti, wo überall brauchen öffentliche Verkehrsmittel Energie?
Zuerst einmal für die Fortbewegung selber, also um die Passagiere beispielsweise von Luzern nach Olten oder Engelberg zu bringen. Dann müssen Schienennetz und die Verkehrsmittel instand gehalten werden – auch das braucht Energie. Weiter verursacht der ÖV graue Energie – die heisst so, weil sie schwer messbar und quasi versteckt ist. Beim öffentlichen Verkehr fällt sie zum Beispiel an, um Bahntunnel zu bauen oder Fahrzeuge herzustellen. Und schliesslich will man es im Zug ja warm haben und es braucht frische Luft. Dieser letzte Punkt ist unser Fachgebiet in der Gebäudetechnik. Da es viele Analogien zwischen Gebäuden und Fahrzeugen gibt, hat das Bundesamt für Verkehr uns mit einer Studie dazu beauftragt.
Wie gross ist die Menge Energie, die allein für den Komfort aufgewendet wird?
Zwischen 10 und 40 Prozent der Energie, die Zug, Tram oder Bus während der Fahrt insgesamt brauchen, dienen dem Komfort. Das ist abhängig von Faktoren wie dem Fahrzeugtyp, der Anzahl Stopps, aber auch von der Jahreszeit. Das Bundesamt für Verkehr schätzt, dass der Energieverbrauch den von bis zu 400’000 Vierpersonenhaushalte erreichen kann, also deutlich mehr als der Verbrauch einer Schweizer Grossstadt.
Metastudie zur Energieeffizienz von Heizung, Kühlung und Lüftung
Nur schon in Europa gibt es zum jetzigen Zeitpunkt über 100 Studien zu verschiedenen Aspekten der Energieeffizienz von Heizung, Kühlung und Lüftung im öffentlichen Verkehr. Ihre Methodik und Aussagekraft sind allerdings sehr unterschiedlich. Viele der Studien sind nicht einfach zugänglich und bisher fehlte eine Übersicht und systematische Analyse. So weiss man in Schweden beispielsweise nicht genau, was in Deutschland bereits geforscht wurde und kann entsprechend nicht darauf aufbauen. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) gab Urs-Peter Menti und seinem Team vom Institut für Gebäudetechnik und Energie deshalb den Auftrag, für Überblick und Klarheit zu sorgen.
Die Expertinnen und Experten sichteten und bewerteten die Studien, die ihre intensive Recherche an den Tag gebracht hatte. Am besten untersucht ist die Bahn, doch kann man viele der Massnahmen auf Tram und Bus übertragen. Aus denjenigen Studien, die die Forschenden als besonders relevant gewichteten, leiteten sie schliesslich einen Massnahmenkatalog ab, der zudem durch eigene Ideen angereichert wurde. Die Empfehlungen richten sich primär an Transportunternehmen und Hersteller. Auch Empfehlungen für weitere Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte sind darin enthalten.
Aus Ihrer Studie ist ein umfangreicher Massnahmenkatalog hervorgegangen. Können Sie für uns einige herausgreifen, die für Sie besonders interessant sind?
Ich möchte gerne zwei herauspicken. Eine ganz naheliegende und eine eher visionärere.
Fangen wir doch mit der Naheliegenden an.
Die ist eigentlich ganz simpel: Dann Strom sparen, wenn die Züge nicht in Betrieb sind. Ausserhalb der Hauptverkehrszeiten stehen viele Fahrzeuge auf dem Abstellgleis. Aus verschiedenen Gründen wurden und werden die Züge aber auch dann nicht wirklich ausgeschalten: Man befürchtet, dass es in den Wagen zu heiss, zu kalt oder zu feucht ist, wenn sie wieder in Betrieb genommen werden. Im Winter besteht zudem Frostgefahr. Um auf Nummer sicher zu gehen, lässt man die Systeme in der Parkstellung reduziert durchlaufen. Der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) hat nun die so genannte «energieoptimierte Abstellung» entwickelt, die wirklich nur so viel Energie braucht, wie nötig, und dies ohne Einbussen beim Komfort und bei der Sicherheit. Sie wird vom VöV in seinen Richtlinien empfohlen und immer häufiger erfolgreich umgesetzt.
Und die visionäre Massnahme?
Im Moment wird beim Zug der ganze Wagen geheizt oder gekühlt und gelüftet, auch wenn nur eine Person darin sitzt. Wäre es nicht sinnvoll, wenn wir dies statt für den ganzen Wagen nur für einzelne, tatsächlich besetzte Sitzplätze machen könnten? Gerade zu Randzeiten, wenn sich nur wenige Personen in einem öffentlichen Verkehrsmittel befinden, liesse sich dadurch viel Energie einsparen – und gleichzeitig der Komfort erhöhen.
Kann ich mir das wie eine Sitzheizung im Auto vorstellen?
Das Auto ist hier ein guter Vergleich: Mindestens in teureren Wagen kann ich heute das Innenklima pro Sitz regeln und die einzelnen Sitze sind auch belüftet. Ähnliches wäre im Zug denkbar: Der Wagen ist minimal beheizt, aber wenn ein Sitzplatz besetzt ist, wird dort das Klima optimal und individuell konditioniert. Solche Massnahmen sind sicher primär bei neuen Fahrzeugen möglich, aber vielleicht lassen sich auch Lösungen entwickeln, die bei einer Nachrüstung eingebaut werden können.
Auch Komfort-Massnahmen im öffentlichen Verkehr müssen immer in einem gesellschaftlichen Zusammenhang gesehen und beurteilt werden.
Wir haben jetzt schon einige Male das Thema Lüftung erwähnt. Durch Covid-19 hat diese ja eine ganz neue Bedeutung erhalten. Haben Sie dadurch das Thema in Ihrer Studie anders gewichtet?
Ja. Zu Beginn der Studie lag der Fokus klar auf dem Thema Energiesparen. Mit der Pandemie rückten Gesundheit und Hygiene mehr ins Blickfeld. Damit ergeben sich schnell auch Zielkonflikte: Reduziert man die Zufuhr neuer Luft von aussen auf das hygienisch notwendige Mass, zum Beispiel mit Hilfe einer CO2-gesteuerten Lüftungsanlage, kann dadurch relativ viel Energie eingespart werden. Gleichzeitig kann ein maximaler Aussenluftwechsel in Räumen und Fahrzeugen nachweislich Ansteckungen mit dem Corona-Virus reduzieren. In diesem Fall ist ganz klar, dass dies, zumindest im Moment, Priorität hat. Nebenbei: Die vorhin geschilderte Lösung mit der Luftzufuhr und Luftabfuhr pro Sitzplatz wäre auch aus hygienischer Sicht eine sehr gute Lösung!
Wäre es nicht sinnvoll, statt den ganzen Wagen nur einzelne Sitzplätze zu heizen oder zu kühlen?
Gibt es nebst der Lüftung noch andere Zielkonflikte?
Die Fenstergrösse zum Beispiel. Natürlich wollen die Fahrgäste Aussicht haben, das Panorama geniessen. Aus dieser Perspektive gilt: je mehr Fenster, umso besser. Fenster im Zug haben jedoch noch nicht die gleiche energetische Qualität wie im Gebäude; grosse Fensterflächen treiben den Bedarf an Heizung und vor allem an Kühlung in die Höhe, insbesondere wenn im Sommer die Sonne direkt auf das Glas scheint. Hier braucht es kreative Ansätze: Sonnenstoren können wir in Tram und Zug aussen nicht anbringen. Vielleicht braucht es also Glas, das Licht durchlässt, aber gleichzeitig die Wärme draussen hält oder Gläser, die bei Bedarf abgedunkelt werden können, um eine Überhitzung im Sommer zu vermeiden.
Bei den Fenstern gibt es aber auch noch einen anderen Zielkonflikt: Um die Wärmeverluste zu minimieren, sind die Gläser mit einer feinen Metallschicht beschichtet. Diese Schicht reduziert die Wärmeabstrahlung nach aussen. Gleichzeitig schwächt sie das Empfangssignal für die Mobiltelefonie derart ab, dass in jedem einzelnen Wagen ein sogenannter Repeater installiert werden muss, der das Signal wieder verstärkt. Diese Repeater verursachen einen recht hohen Stromverbrauch und produzieren dazu noch Abwärme, die wieder gekühlt werden muss. Einem Forschungsteam an der EPFL ist es nun gelungen, beim Glas die Metallschicht mittels Laser in ganz feinen, kaum sichtbaren Streifen abzutragen und so die Abschwächung des Empfangssignals massiv zu reduzieren, ohne die thermischen Eigenschaften des Glases merklich zu beeinflussen. So kann zukünftig auf die Repeater verzichtet werden, was nicht nur Energie, sondern auch Kosten spart.
Woran könnten sinnvolle Massnahmen scheitern?
Für Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs gibt es – zurecht! – viele Vorschriften, meist aus Sicherheitsgründen. Über die kann man sich natürlich nicht hinwegsetzen, auch wenn es Energie einsparen würde. Darüber hinaus ist der öffentliche Verkehr ein hochsensibler Bereich: Die Kundenzufriedenheit ist zentral, der Betrieb muss jederzeit gewährleistet sein – das macht Experimente schwierig.
Gebäudetechnik für Züge
Wenn es um den Bereich Heizung, Lüftung und Kühlung geht, dann funktioniert ein Zugwagen, ein Bus oder ein Tram ganz ähnlich wie ein Gebäude. So hat sich in den rund 100 ausgewerteten Studien denn auch gezeigt, dass die meisten der untersuchten Massnahmen aus der Gebäudetechnik bekannt sind. Trotzdem können viele Massnahmen nicht 1:1 vom Gebäude auf Verkehrsmittel übertragen werden: Bei einem Zug, Tram oder Bus fallen zusätzliches Gewicht und Platzbedarf viel stärker ins Gewicht als bei einem Gebäude.
Sind auch die Kosten ein Problem?
Ja – diese können bei der grossen Anzahl an Fahrzeugen schnell in die Millionenhöhe gehen. Nur: Man muss auch die möglichen Einsparungen in Betracht ziehen. Gerade im Bahnverkehr war Energiesparen lange kein Thema, unter anderem auch, weil die Energiekosten pauschal bezahlt werden mussten. Die Transportunternehmen hatten also gar nichts davon, wenn sie ins Energiesparen investierten. Dadurch, dass die Energiekosten immer mehr nach effektivem Verbrauch verrechnet werden, steigt auch die Motivation, hier zu sparen. Aber auch so gilt weiterhin: Die Investitionen müssen sich auch lohnen.
Wie kann man sich dessen sicher sein?
Hier kann ein Energiemonitoring helfen. Wenn man den aktuellen Energieverbrauch besser kennt, kann man auch das Sparpotenzial besser abschätzen. Wichtig ist dabei, dass das Monitoring selbst keine hohen Kosten verursacht. Bei neuen Fahrzeugen ist ein Monitoring-System oft schon standardmässig eingebaut. Für ältere Fahrzeuge könnten wir uns am Institut für Gebäudetechnik und Energie vorstellen, ein kostengünstiges, einfach anwendbares System zu entwickeln, wie wir es kürzlich schon für Gebäude gemacht haben.
Ihre Konsequenz aus der Studie?
Ich möchte gerne im Computer-Modell das aus Komfort- und Energiesicht bestmögliche Fahrzeug simulieren und dann schauen, was davon sich auch wirklich umsetzen lässt. Die Ansprüche der Fahrgäste an den Komfort haben sich in den letzten 100 Jahren massiv verändert und ich bezweifle, ob der technische Fortschritt in allen Belangen damit Schritt gehalten hat. Es wäre an der Zeit, aus Gebäudetechnik-Perspektive den Zug neu zu denken.