Gabriela Christen zur Digitalisierung: «Wir bilden für eine unbekannte Zukunft aus»

Die Hochschule Luzern soll als Think Tank die Transformation der Zentralschweiz zur «Smart Region» unterstützen. Den Weg dorthin skizziert Gabriela Christen, Verantwortliche für die «Digitale Agenda 2030» und Direktorin des Departements Design & Kunst, im Interview.

Gabriela Christen, Verantwortliche für die «Digitale Agenda 2030» und Direktorin des Departements Design & Kunst. Bild: Hochschule Luzern/Christian Felber

Untrennbar mit der Digitalisierung verbunden ist die Aussage «Daten sind das neue Gold» – wie sieht das an der Hochschule Luzern aus?

Unser Gold ist unsere Qualität in Forschung, Lehre und Weiterbildung. Dabei spielt selbstverständlich das Potenzial von «Big Data» eine grosse Rolle: In der Lehre bieten wir einen interdisziplinären Master in Data Science an, ab Frühling 2020 einen Bachelor-Studiengang Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen. Im Herbst 2020 kommen weitere Studien-Angebote dazu. Und nicht zu vergessen: Wir waren 2016 die schweizweit erste Fachhochschule, die ein eigenes Informatik-Departement gegründet hat.

In der Forschung beschäftigen wir uns mit Themen wie Datenmanagement und Smart Cities. Mit unserer Expertise in Sachen Blockchain unterstützen wir seit 2018 sogar die Europäische Union.

Die Hochschule Luzern hat eine «Digitale Agenda 2030» formuliert. Welches Projekt geht sie als erstes an?

Eines der Projekte, die für uns im Vordergrund stehen, ist die Gründung eines Reallabors für Forschung und Lehre. Dabei geht es darum, als Think Tank zur digitalen Entwicklung der Region unseren Beitrag zu leisten. Wir sprechen von der «Smart Region Zentralschweiz».

Gabriela Christen im Interview: «Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag.»

Das heisst aber nicht, dass wir uns ins Lokale zurückziehen: Wir sind davon überzeugt, dass sich hier bei uns, im Zentrum der international hoch vernetzten Schweiz, der digitale Wandel und globale Probleme wie die Klimaveränderung exemplarisch erforschen lassen.

Wie für andere Unternehmen ist zudem die Weiterbildung der Mitarbeitenden ein akutes Thema. Es ist zentral, unseren Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, ihre Kompetenzen im Bereich der digitalen Transformation «on the job» und mit Weiterbildungsinitiativen weiter zu entwickeln.

«Wir sind im Zentrum der international hochvernetzten Schweiz.»

Wo stösst die Hochschule Luzern auf besondere Schwierigkeiten bei der Umsetzung der digitalen Agenda 2030?

Ein Punkt, in dem wir uns von anderen Hochschulen unterscheiden, sind die stark begrenzten finanziellen Mittel. In der Zentralschweiz konfrontiert uns die digitale Transformation mit besonderen Herausforderungen. Die Universität Zürich, die Zürcher Fachhochschulen sowie die Pädagogische Hochschule lancieren eine 300 Mio. Franken-Initiative. Rund ein Drittel der Gelder kommt vom Kanton Zürich.

In der Zentralschweiz sind bis jetzt leider keine zusätzlichen Mittel für eine Digitalisierungsoffensive der Hochschulen vorgesehen. Hier werden wir unsere Relevanz für die digitale Entwicklung der Region noch besser zeigen und unsere Stärken in Lehre und Forschung klar sichtbar machen müssen.

Die Digitalisierung betrifft alle Schweizer Hochschulen: Welches sind die Eckpfeiler einer nachhaltigen Hochschul-Digitalstrategie?

Eine Digitalstrategie umfasst sowohl Ausbildung als auch Forschung: Als Hochschulen bilden wir die künftigen Experten und Expertinnen für den digitalen Wandel aus. Das heisst, wir wollen und müssen ganz vorne dabei sein, um unseren Studierenden die entsprechenden Kompetenzen weitergeben zu können. 60 Prozent der Kinder, die jetzt ihren Schulanfang haben, werden in heute noch nicht existierenden Berufen arbeiten. Wir bilden also für eine unbekannte Zukunft aus.

In der Forschung geht es darum, inhaltlich an vorderster Front dabei zu sein. Etwa in der Anwendung von Künstlicher Intelligenz oder im Bereich der Verarbeitung, Analyse und Visualisierung von Daten. Gleichzeitig müssen wir ethische Fragestellungen im Blick behalten.

Schliesslich muss es uns gelingen, im Hochschulbetrieb auf breiter Ebene digitale Tools zu implementieren – das ist mit hohem finanziellem Einsatz verbunden und fordert auch von den Mitarbeitenden eine extreme Anpassungsleistung.

«Unsere Schulkinder werden dereinst in noch nicht existierenden Berufen arbeiten.»

Wie sind die Schweizer Hochschulen angesichts der Herausforderungen des digitalen Wandels aufgestellt?

Die Schweizer Hochschulen gehören zu den besten der Welt, und die Herausforderungen des digitalen Wandels stehen zuoberst auf der Agenda. Neben Lehre und Forschung ist hier die sogenannte Dritte Mission der Hochschulen wichtig, nämlich ihre Rolle für die Weiterentwicklung der Gesellschaft, die uns trägt. Die Hochschulen suchen neue Formen der Zusammenarbeit mit Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, um den schnellen Wandel gemeinsam zu bewältigen, beispielsweise im Bereich der Citizen Science.

Deutsche Experten fordern eine «Digitalisierungspauschale pro Student». Bräuchten wir so etwas auch in der Schweiz?

Notwendig sind zusätzliche finanzielle Mittel für die Hochschulen. Woher diese stammen, spielt eigentlich keine Rolle. In der Schweiz haben wir die Situation, dass Mittel sowohl vom Bund als auch von den kantonalen oder regionalen Trägern der Hochschulen kommen. Der Bund hat mit seiner Digitalstrategie von 2015 schnell reagiert, die Strategie 2021-24 von swissuniversities, der Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen, stellt die Digitalisierung ebenfalls ins Zentrum und fokussiert die projektgebundene Mittel auf diesen Bereich.

«Die digitale Transformation ist eine globale Veränderung. Kooperationen sind dringlich und notwendig.»

Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit anderen Schweizer Hochschulen beim Thema Digitalisierung?

Die digitale Transformation ist eine globale Veränderung. Kooperationen sind dringlich und notwendig, um darin bestehen zu können. So sieht beispielsweise die Volkswirtschaftsdirektorin des Kantons Zürich ihre Konkurrenz nicht in St. Gallen oder in Genf, sondern in Shanghai oder Boston. Gerade wir von der Hochschule Luzern als Hochschule in einer ländlich-kleinstädtischen Region sollten Partnerschaften bilden, um diese Umwälzungsprozesse gemeinsam bewältigen zu können. Die Hochschule Luzern will diesbezüglich in den nächsten Jahren noch aktiver werden.

Eine Prämisse zur Digitalisierung der Hochschulen lautet: Digitale Kompetenzen werden allen Studierenden vermittelt. Müssen sich jetzt alle im Nebenfach zu Informatikern oder Programmiererinnen weiterbilden?

Das nicht gerade, aber alle brauchen in ihrem Fach digitale Schlüsselqualifikationen. Dazu gehören neben dem Umgang mit digitalen Tools auch kritisches Denken, soziale Kompetenzen, Fähigkeiten zu Kooperation – auch interkulturell – und Kreativität. Wir überprüfen alle Curricula permanent auf die digitale Transformation hin. Die Formen der Zusammenarbeit werden sich künftig stark entwickeln, die Rollenbilder von Dozierenden und Studierenden verändern und alle Hochschulen werden meiner Meinung nach in den nächsten Jahren intensiv darüber nachdenken müssen, was ihre Rolle, ihre Position, ihre Aktivitäten für Bildung zum Nutzen der Gesellschaft sind.

Was Sie sonst noch interessieren könnte

Icon Braintwister

Bits, Bytes – und Pudding: das Digitalisierungs-Quiz

Willkommen zum Digitalisierungs-Quiz! Testen Sie hier Ihr Wissen zu Bits und Bytes.
Sonnenbrillen und tiefschwarze Kluft: Hacker – hier die Helden aus «Matrix» – umwehte einst Hauch von Fantasy. Heute ist Cyber-Kriminalität ein Geschäft, in dem es um Milliarden geht. Bild: Getty Images

IT-Sicherheitsprofis: Die Ritter des Cyberspace

Sie schützen die Daten, die «Kronjuwelen», eines jeden Unternehmens: IT-Sicherheitsprofis sind gefragt wie nie zuvor. An der Hochschule Luzern werden sie ausgebildet.
Screenshot aus dem PC-Spiel Cubico.

Digital Ideation: «Das Beste aus zwei Welten»

Beim Studiengang Digital Ideation prallen kreatives Chaos und die strikte Welt von Nullen und Einsen aufeinander. Was aus der Kombination von Design und Informatik entstehen kann, zeigen das Computerspiel «Cubico» und zwei weitere Abschlussarbeiten von Studentinnen und Studenten.