Alexander Denzler, in letzter Zeit beschwören Medien das Ende des Blockchain-Hypes herauf. Was ist an solchen Berichten dran?
Da ist Einiges dran. Tatsächlich befinden wir uns im sogenannten Hype Cycle aktuell in einem tiefen Tal: Zuletzt sind viele Blockchain-Projekte verschwunden. Und das ist gut so.
Was ist daran gut?
Es gehört zu jeder digitalen Technologie, dass sie bei der Einführung «gehyped» wird. Firmen, die technisch unausgegorene Lösungen auf den Markt werfen, schiessen wie Pilze aus dem Boden. Schwarze Schafe versuchen, Investoren mit dubiosen und teils illegalen Konstrukten zu prellen. Dann platzt die Blase und es kommt zur dringend benötigten Bereinigung. Das fördert die Entwicklung besserer Anwendungen und breit akzeptierter Standards. Zum Vergleich: Virtual Reality oder die Künstliche Intelligenz haben jeweils mehrere solcher Hype-Zyklen durchlaufen und sind trotzdem quicklebendig.
Warum sind Sie überzeugt, dass Blockchain wieder aus diesem Tal hinausfinden wird?
Die Technologie ist transparent, sie ist dezentral organisiert und sie ist fälschungssicher. Kurz: Sie schafft Vertrauen – etwas, woran es in der digitalen Welt aktuell mangelt.
Können Sie den Vertrauens-Aspekt näher erläutern?
Das Internet bietet zwar viele Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren und Handel zu treiben, aber wir wissen oft nicht, ob Informationen und Produkte echt sind. Stammt der zertifizierte Edelstein, den ich online bestellt habe, wirklich nicht aus einem Kriegsgebiet? Sind die Diplome im digitalen Lebenslauf eines Stellensuchenden echt? Es fehlt hier quasi eine Vertrauensschicht. Und die bietet Blockchain.
Blockchain-Anwendungen: von der Patientendatenbank bis zu limitierten T-Shirts
Blockchains gelten als fälschungssicher und transparent, weil Daten nicht auf einem zentralen Server gespeichert werden, sondern bei allen an einer Blockchain beteiligten Parteien. Die Bandbreite möglicher Anwendungen ist riesig:
- Der Schweizer Verein «Car Dossier», dem auch die Hochschule Luzern angehört, bildet den Lebenszyklus von Autos vom ersten Kilometer bis zum Schrottplatz via Blockchain ab.
- 2018 testete die Stadt Zug ein Blockchain-basiertes E-Voting-System. An diesem schweizweit einzigartigen Projekt war die Hochschule Luzern ebenfalls massgeblich beteiligt.
- Der FC St. Gallen verkauft seit kurzem limitierte T-Shirts, deren Echtheit er mittels Blockchain garantiert.
- Die Firma Kodak bietet Fotografinnen und Fotografen an, ihre Bildrechte in einer Blockchain zu speichern.
- In den USA laufen Versuche der Behörden für Blockchain-basierte Patientendatenbanken.
Als Mitglied des Forschungsverbunds Blockchain Observatory & Forum beraten Sie die EU über alle Entwicklungen in Sachen Blockchain. Hat die Politik Vertrauen ins Urteil der Wissenschaft?
Diesen Eindruck habe ich zumindest. Politikerinnen und Politiker befinden sich in einer schwierigen Situation: Sie müssen gesetzliche Rahmenbedingungen für eine junge Technologie schaffen, die sehr komplex ist und die sie als Laien bisher schlecht verstehen. Unsere Aufgabe ist, ihnen die Grundlagen für fundierte Entscheidungen zu liefern. Anfang März haben wir zum Beispiel eine Studie über den Einsatz vom Blockchain im europäischen Energiemarkt vorgestellt und sind damit auf grosses Interesse gestossen.
Was hat Blockchain mit dem Energiemarkt zu tun?
Konsumenten beziehen ihren Strom heute aus zentral organisierten überregionalen Verteilernetzen. Diese sollen in Zukunft wo immer möglich durch lokal verankerte, dezentrale Netze ersetzt werden, welche die schwankende Produktion von Naturstrom aus Sonne und Wind besser bewältigen könnten. Der Strom käme dann nicht mehr vom weit entfernten AKW, sondern von den Solarpanels auf dem Dach der Nachbarin. Die Blockchain dient auf diesen lokalen Strommärkten als digitales Kassenbuch, wo Informationen zu Stromtransfers und Zahlungen fälschungssicher aufbewahrt werden.
Dann kann ich schon bald lokal produzierten Ökostrom aus der Nachbarschaft beziehen?
Leider noch nicht. Europaweit gibt es 42 Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die sich mit dem Thema befassen – hierzulande das Projekt «Quartierstrom», an dem wir beteiligt sind (siehe unten). Aber alle stehen sie ganz am Anfang. Unsere Studie hat ergeben, dass der Aufbau eines dezentralen Energiemarkts nicht nur technisch aufwändig ist. Europaweit fehlen auch die rechtlichen Voraussetzungen. Zudem muss geklärt werden, welche Rolle grosse Energiefirmen in einem solchen System spielen würden. Es dürfte viele Jahre dauern, alle diese Herausforderungen zu lösen.
Das Projekt «Quartierstrom»
«Quartierstrom» ist ein vom Bundesamt für Energie BfE finanziertes Forschungsprojekt mit Beteiligung der ETH Zürich, der Universität St. Gallen und der Hochschule Luzern. Die Grundidee: Lokal produzierter Strom soll vor Ort verbraucht werden. Dazu wurde in Walenstadt testweise ein kleiner Strommarkt aufgebaut. 37 Haushalte handelten mittels einer Blockchain-basierten App lokalen Solarstrom. Der Feldversuch ging im Januar 2020 zu Ende. Das Quartierstrom-Konsortium zieht eine positive Bilanz: Dank des lokalen Strommarkts habe sich der Strom-Eigenverbrauch der Gemeinschaft von rund 30 auf 60 Prozent fast verdoppelt.
Artikel zum Start von «Quartierstrom»: news.hslu.ch/mein-quartier-die-energie-gemeinschaft
Apropos Zukunft: Wo steht Blockchain in 10 Jahren?
Ich kann mir vorstellen, dass sich Blockchain durch seine Vorteile bis dahin stark ausgebreitet hat; Stichwort Vertrauen schaffen.