«Wolkenkratzer wie in Manhattan sind für die Schweiz nicht vorstellbar»

Wohnungsnot – das Schlagwort schlechthin der vergangenen Monate. Doch wo genau fehlen diese Mietwohnungen, was wird auf dem Mietwohnungsmarkt tatsächlich nachgefragt und wer bezahlt wie viel für seine vier Wände? Der Nachfragemonitor Mietwohnungsmarkt der Hochschule Luzern liefert mit einen einmaligen Datensatz nun konkrete Antworten. Den Monitor mitentwickelt hat Dani Steffen, Dozent und Experte für Immobilienfragen.

Immobiliennachfrage

Hohe Nachfrage: Wohnungssuchende stehen Schlange, um eine Musterwohnung einer neuen Überbauung in Zürich zu besichtigen. Das Bild wurde am 3. Juni 2016 im Zürcher Quartier Unterstrass aufgenommen.

Daniel Steffen, Wohnungsnot war ein wichtiges Thema während den eidgenössischen Wahlen. Nun sind die Wahlkämpfe vorbei. Sind Sie froh darüber?

Aus wohnpolitischer Sicht auf jeden Fall. Die verschiedenen politischen Lager beschuldigten sich gegenseitig für die aktuelle Lage auf dem Wohnungsmarkt. Ich hoffe sehr, dass sie ihre Wahlkampfrhetorik nun beiseitelegen und sich den Fakten zuwenden.

Dann sprechen wir doch über diese Fakten. Herrscht in der Schweiz eine Wohnungsnot?

Hier müssen wir klar differenzieren, von welcher Region wir sprechen. In unserer Forschung unterscheiden wir zwischen vier Markttypen: angespannten, dynamischen, entspannten und statischen. Zu den angespannten Mietwohnungsmärkten gehören die Städte Zürich und Genf, die Zentralschweiz sowie die Tourismusregionen Graubünden, Wallis oder Berner Oberland. In all diesen Regionen finden sich nur wenig ausgeschriebene Mietwohnungen und die Wenigen, die es hat, sind schnell weg. Dem gegenüber stehen entspannte Märkte wie im Jura oder dem Tessin. Dort werden im Verhältnis zur Grösse viele Wohnungen inseriert, welche aber nur schwer eine Mieterschaft finden und daher lange ausgeschrieben sind.

Ist die Wohnungsnot in den genannten Regionen ein jeweils spezifisches und lokales Problem?

Jein, wir sehen schweizweit einen Trend der Wohnungsverknappung – es gibt aber auch regionale Ausnahmen. Aktuell liegt die Leerwohnungsziffer, welche oft als Gradmesser herangezogen wird, über die ganze Schweiz gesehen bei 1.15 Prozent. Im historischen Vergleich hatten wir auch schon tiefere Werte, wie beispielsweise 2009 mit 0.9 Prozent. Besorgniserregend an der derzeitigen Situation ist der schnelle Rückgang: Im Jahr 2020 lag die Leerwohnungsziffer noch bei 1.72 Prozent.

«Das Angebot scheint nicht auf die Knappheit am Markt zu reagieren.»

Wie sieht Ihre Prognose diesbezüglich aus? Wird die Leerwohnungsziffer noch weiter sinken?

Wir plädieren sowieso dafür, nicht zu stark auf die Leerwohnungsziffer, sondern verstärkt auf die von uns vorgeschlagene An- und Entspannung des Marktes zu achten. So oder so gehe ich unter den gegebenen Umständen stark von einer Verknappung des Wohnraums aus. Schauen wir uns die Nachfrageseite an: Die Schweizer Bevölkerung nimmt stetig zu. Zudem gibt es immer mehr Einzelhaushalte. Die Nachfrage nach Wohnraum bleibt also hoch. Dem gegenüber steht die Angebotserweiterung, also die geplante Produktion von Wohnungen. Sie verliert bereits seit 2019 an Dynamik. Zwar lag das Investitionsvolumen die letzten Jahre immer in etwa gleich hoch. Damit ist momentan aber der Bau von deutlicher weniger Wohnungen geplant als in früheren Jahren. Das Angebot scheint nicht auf die Knappheit am Markt zu reagieren.

Woran liegt es, dass zu wenig Wohnungen gebaut werden?

Dies hat mehrere Gründe – anders als dies die Parteien im Wahlkampf darstellten. Einerseits hemmen Regulierungen, Lärmschutzvorgaben und immer länger werdende Bewilligungszeiten mit Einsprachemöglichkeiten die Produktion an Wohnungen. Andererseits hat klar auch die konjunkturelle Lage mit erhöhter Inflation oder steigenden Zinsen einen Einfluss auf die Bautätigkeit. Zudem: Wo können wir noch bauen? Die Siedlungsfläche ist nicht nur per Gesetz begrenzt, sondern auch geografisch. Das sehen wir in den Bergregionen, wo der Anteil an unproduktiver Fläche oft sehr gross ist. Schliesslich sind Wolkenkratzer wie in Manhattan für die Schweiz kaum vorstellbar. Einerseits müsste die Gesetzgebung stark angepasst werden und andererseits – und dies dürfte wohl noch schwieriger zu überwinden sein – ist die Akzeptanz in Bevölkerung oft nicht gegeben. Wolkenkratzer werden in der Schweiz also wahrscheinlich nicht die Lösung sein, auch wenn sie aus Sicht des Flächenverbrauchs enormes Potenzial hätten.

«Vielfach sind es Alleinerziehende und Einzelpersonen, für die ihre Miete bereits an der Belastungsgrenze liegt.»

Apropos Manhattan: Dort kann man sich die Mieten kaum noch leisten. Wie steht es denn hierzulande um die Mietzinsbelastung der Haushalte?

Wir sehen in unseren Auswertungen, dass die Mietzinsbelastung über alle Regionen hinweg in etwa gleich hoch ist, bei rund 20 Prozent des verfügbaren Haushaltsbudgets. Das heisst, wo die Mieten hoch sind, sind auch die Einkommen hoch und umgekehrt sind bei tieferen Mieten auch die Einkommen tiefer. So sind beispielsweise im Jura die Löhne deutlich tiefer als in Küsnacht am Zürichsee und das zeigt sich dann auch bei den Mieten. Wenn wir uns aber schweizweit das untere Einkommensdrittel anschauen, nimmt die Budgetbelastung durch die Miete deutlich zu und liegt bei einem Drittel. Vielfach sind es Alleinerziehende und Einzelpersonen, für die ihre Miete bereits an der Belastungsgrenze liegt.

Damit findet auf dem Mietmarkt eine Segregation statt: Nur Menschen mit hohem Einkommen können es sich leisten, in Städten oder Tourismusregionen zu wohnen.

So weit ist es aus meiner Sicht noch nicht. Die Schweiz hat im internationalen Vergleich nach wie vor eine gute Durchmischung. Es ist aber wichtig, dass wir dieser Durchmischung Sorge tragen – auch wenn klar ist, dass nicht jeder im Stadtzentrum wohnen kann. Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang die Frage, weshalb Menschen dort wohnen, wo sie wohnen. Sind es ökonomische Gründe oder vielleicht familiäre? Auf nachfragemonitor.ch werden wir dieser Frage mit vertieften Analysen nachgehen. Im Fokus stehen dabei Pendlerströme und Arbeitsmarktdaten. Alles zusammen liefert uns Hinweise, wie sich das Wohnungsangebot der Nachfrage anpassen, sprich, wo und was künftig gebaut werden muss.

Nachfragemonitor Mietwohnungen

Der nachfragemonitor.ch ist ein öffentliches Werkzeug zur Analyse von Mietwohnungsmärkten und deren Nachfragestrukturen auf hoher räumlicher Aggregationsstufe. Er basiert auf öffentlichen Daten in Kombination mit Informationen aus Vermietungsprozessen und Vermietungsinseraten. Durch die Verknüpfung mehrerer Datenquellen unterstützt der Nachfragemonitor einen differenzierten Diskurs zu ansonsten oft eindimensional geführten Diskussionen über Verfügbarkeit und Verteilung von Wohnraum und dessen Kosten für Haushalte.

Der Nachfragemonitor Mietwohnungen wurde von der HSLU und emonitor.ch mit Unterstützung des Bundesamts für Wohnungswesen erstellt.

Inwieweit ist die Wohnungsknappheit in gewissen Regionen zudem eine Frage des sogenannten Lock-in-Effektes, also dem Umstand geschuldet, dass Mieterinnen und Mieter in Wohnungen bleiben, die eigentlich nicht mehr ihren Bedürfnissen entsprechen, ein Wechsel aber deutlich höhere Kosten mit sich brächte?

Dieser Effekt ist sicherlich nicht zu unterschätzen und wir sehen ihn auch in unseren Daten. Wichtig ist zu verstehen, woher dieser Mechanismus kommt. Das Mietrecht schützt die Bestandsmieterschaft. Das heisst, bei bestehenden Mietverhältnissen sind Mietaufschläge nur sehr bedingt möglich. In Genf und Lausanne ist der Unterschied zwischen Bestands- und Angebotsmieten am grössten. Dort werden bestehende Mieterinnen und Mieter nochmals stärker geschützt. Die Mieten dieser alten Wohnungen bleiben günstig, während sich Preise für Neumieten der Verfügbarkeit von Wohnraum anpassen. Und wenn Wohnraum zu billig ist, konsumieren wir auch viel davon.

Aber auf genau solche günstigen Wohnungen sind Menschen mit kleinem Einkommen angewiesen. Sie ermöglichen es ihnen, auch in teuren Städten wie Zürich oder Genf zu wohnen.

Das ist richtig. Wer seit langen Jahren in einem Mietvertrag ist, kann sich oft glücklich schätzen. Wer eine neue Wohnung sucht, wird aber kaum noch fündig. Das betrifft vor allem Familien.

Blicken wir noch kurz in die Zukunft: Die Schweizer Bevölkerung wächst nicht nur, sie altert vor allem auch. Was für Wohnraum werden wir künftig brauchen?

Bei der älteren Bevölkerung stellt sich die Frage, wie wir diese aus ihren grossen Wohnungen oder Häuser bringen, ohne sie zu zwingen. Dies würde Platz schaffen für Familien und dem Lock-in-Effekt entgegenwirken. Die Forschung ist seit längerem dabei zu eruieren, welche Faktoren einen solchen Umzug begünstigen können. Viele verbinden mit ihrem Zuhause schöne Erinnerungen, sind in einem Quartier verwurzelt, haben eine eingespieltes Sozialnetz. Sicht davon zu trennen, fällt schwer. Wohnen ist ein sehr emotionales Thema. Ein Angebot, das ältere, kleine Haushalte überzeugt und dazu bringt, ihren Flächenkonsum zu verringern, wird in Zukunft zunehmend wichtig.

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