Karin Stadelmann, wieso ist es wichtig, über den Tod zu sprechen?
Egal, ob es um uns selbst oder um unsere Angehörigen geht: Wir wünschen uns alle eine liebevolle Begleitung am Lebensende und dass niemand allein sterben muss. Das betrifft nicht ausschliesslich ältere Menschen. In der Schweiz versterben krankheitsbedingt jedes Jahr rund 700 Kinder. Auch viele junge Mütter und Väter erhalten jedes Jahr die Diagnose, unheilbar erkrankt zu sein oder mit einer Krankheit leben zu müssen, welche die Lebenserwartung deutlich senkt. Der Tod geht uns alle an.
Hat der Tod durch die Corona-Pandemie etwas von seinem Tabu verloren?
Covid-19 hat uns vor allem vor Augen geführt, wie schnell sich unser Gesundheitszustand ändern und was eine Krankheit auch längerfristig für Auswirkungen auf uns und unsere Liebsten haben kann.
«Schwerkranke leben länger, wenn es ihnen auch mental gut geht.»
Sehen Sie bereits Veränderungen?
In Bezug auf die Alterspolitik, ja. Die demografische Entwicklung ist eine Tatsache, wir Menschen werden immer älter. Die Gemeinden sind sich dessen bewusst und arbeiten an neuen Wohn- und Betreuungsmodellen. Hingegen zeigt unsere Forschung, dass gute Betreuung im Alter zwar angedacht, aber noch viel zu wenig umgesetzt wird. Auch das Begleiten von Familien mit Kindern, welche lebensverkürzend erkranken, ist noch zu oft ein dunkler Fleck in der sogenannten Palliative Care.
Was ist Palliative Care genau?
Sie steht für die Begleitung oder die Fürsorge am Lebensende. Sie umfasst aber nicht nur die medizinische Betreuung kurz bevor jemand stirbt, wie vielfach angenommen. Sie beginnt bereits ab dem Zeitpunkt der Diagnose und bezieht psychosoziale Faktoren mit ein. Das heisst, es geht darum, die Lebensqualität mit einer unheilbaren Krankheit aufrechtzuerhalten und die psychische Gesundheit zu fördern. Schwerkranke leben länger, wenn es ihnen auch mental gut geht.
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Ich möchte es genauer wissen: Was ist der Unterschied zwischen Sterbehilfe und Sterbebegleitung?
«Beides sind komplett verschiedene Konzepte, obwohl Sterbebegleitung oft fälschlicherweise mit Sterbehilfe gleichgesetzt wird», sagt Karin Stadelmann. Bei der Sterbehilfe geht es darum, zu ermöglichen, dass jemand selbstständig seinem Leben ein Ende setzen kann. Die Sterbebegleitung hingegen schafft Lebensqualität, solange dieses Ende noch nicht natürlich eintritt.
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Wo kommt Palliative Care zum Einsatz?
Die Betreuung mit Palliative Care findet sowohl ambulant als auch stationär statt. Ziel ist es, den Betroffenen so lange wie möglich ein Leben zuhause oder im eigenen Umfeld zu ermöglichen. Das Spital oder Pflegeheim ist nicht unbedingt der richtige Ort, um zu Sterben. Viele Menschen am Lebensende benötigen nicht rund um die Uhr die ganze Spitalversorgung. Dann ist ein Hospiz für sie besser geeignet, also eine Einrichtung, die auf die Begleitung am Lebensende – gerade auch von jüngeren Menschen – spezialisiert ist.
Wo stehen wir in der Schweiz bezüglich der Abdeckung von Palliativleistungen?
Gemäss dem Dachverband der Schweizer Hospize zählen wir derzeit zwölf Institutionen, die offiziell als solche gelten oder hospizähnliche Strukturen aufweisen. Daneben gibt es noch kleinere Einrichtungen, die mit ihren drei bis vier Betten an andere Institutionen angegliedert sind. Die Versorgung mit Palliative Care ist in der Schweiz in Spitälern gut, auf Seiten Hospize befindet sie sich erst im Aufbau und ist bei weitem noch nicht flächendeckend gegeben.
«Das Spital oder Pflegeheim ist nicht unbedingt immer der richtige Ort, um zu Sterben.»
Wieso sind wir hier noch nicht weiter?
Ins Lebensende zu investieren ist, salopp gesagt, leider nicht so populär, wie in den Lebensstart, also die Neonatologie oder die Fertilitätsmedizin. Die Hospize müssen sich hierzulande vor allem durch private Stiftungen und Spenden finanzieren und wären zum heutigen Zeitpunkt ohne grosse freiwillige Arbeit nicht denkbar. Eines dürfen wir nicht vergessen: Dass wir heute beispielsweise auch mit einer Krebserkrankung noch viele Jahre leben können, hat mit der modernen Medizin zu tun und deren raschen Weiterentwicklung. Diese schafft aber auch neue Fragestellungen, auf die wir als Gesellschaft noch keine Antwort haben. Wir hinken da gesellschaftspolitisch dem Alltag der Betroffenen hinterher.
Welchen Beitrag leisten Fachpersonen der Sozialen Arbeit in der Palliative Care?
Sie nehmen eine verbindende Rolle ein, in dem sie als Fallmanagerinnen und Fallmanager zum Einsatz kommen. Stellen Sie sich vor, Sie erhalten eine Diagnose und die dazugehörige Therapie. Und danach? Was heisst das für Ihren Alltag, Ihre Arbeit, Ihre Familie? Hier unterstützt die Soziale Arbeit mit konkreten Handlungsempfehlungen und Lösungen. Sie sorgt auch dafür, dass Sie mit den richtigen Stellen vernetzt werden. Aber auch in den Institutionen können Fachpersonen der Sozialen Arbeit von aussen sehr banale, nach innen allerdings wichtige Versorgungslücken füllen, beispielsweise sozialrechtliche Abklärungen tätigen oder die betroffene Person in die Wohnung zurückbegleiten, um Sachen zu holen oder persönliche Dinge zu regeln.
«Care-Arbeit kann nicht unentgeltlich den Angehörigen aufgehalst werden.»
Wie sieht die Zusammenarbeit der Sozialen Arbeit mit den Spitälern, Pflegeheimen, Spitex und den Hospizen aus?
Es gibt keinen automatisierten Prozess in den Hospizen. Vieles hängt von der jeweiligen Institution ab und ob sich eine Institution eine Fachperson der Sozialen Arbeit leisten kann oder nicht. Es fehlt an der Systematik. Zudem ist der Mehrwert, der die Soziale Arbeit in der Palliative Care leisten kann, noch zu wenig bekannt. Ärzte und Pflegende merken erst nach getaner Arbeit, was da eigentlich geleistet wurde. In Spitälern und Pflegeheimen ist die Soziale Arbeit stärker verankert.
Wo besteht der akuteste Handlungsbedarf?
Eindeutig bei der Frage der Finanzierung der psychosozialen Begleitung. Hier müssen Bund, Kantone und Gemeinden die Zuständigkeiten klären, wer einspringt, wenn es um Dinge geht, die nicht medizinisch und pflegerisch sind. Diese Care-Arbeit kann nicht unentgeltlich den Angehörigen aufgehalst werden. Auch den Pflegefachleuten kann man dies nicht zusätzlich aufbürden. Fachpersonen der Sozialen Arbeit bringen hierfür die nötigen Kompetenzen mit und ergänzen das Team. Zudem: Die Palliative Care ist geprägt vom Humanismus. Sie ist unabhängig von Religion, Nationalität oder sozio-ökonomischem Status. Jede und jeder hat ein Recht auf einen würdevollen Tod. Es muss es uns Wert sein, in das Lebensende zu investieren.
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