Seit 1887 führt eine Standseilbahn von der Stadt Biel auf die Jura-Anhöhe bei Magglingen. Seit kurzem bedecken 240 Quadratmeter Photovoltaik-Paneelen das Dach der Bergstation. Sie sind gut sichtbar und produzieren in etwa so viel Energie, wie zehn Haushalte in einem Jahr verbrauchen. Was dem Auge der Ausflugsfreudigen jedoch verborgen bleibt: Das Energiesystem ist noch viel raffinierter, seit die Bahn 2019 grundlegend überholt wurde. Sie nützt jetzt auch ihre eigene Bremsenergie für den Transport. Diese Innovation hat die gemeinnützige Vereinigung für Erneuerbare Energien EUROSOLAR Anfang Dezember mit dem Europäischen Solarpreis 2021 im Bereich Mobilität ausgezeichnet.
Bremsenergie wiederverwenden
Die Standseilbahn Biel-Magglingen befördert nicht nur Ausflügler, sie ist Teil des öffentlichen Verkehrs mit einem dichten Fahrplan und besteht aus zwei Waggons für jeweils 120 Fahrgäste, die durch ein Zugseil verbunden sind. Jeder der beiden Waggons wiegt leer 13.8 Tonnen – das ist mehr als zwei Elefanten. Fährt der eine Waggon in der Talstation los, braucht er Antriebsenergie, um Höhe zu gewinnen. Hat er gut die Hälfte der 1’700 Meter langen Strecke zurückgelegt, ist keine Energie mehr nötig, denn die talwärtsfahrende Bahn und das zugehörige Zugseil sind nun so schwer, dass sie den ersten Waggon hochziehen. Der talwärtsfahrende Waggon muss jetzt sogar abgebremst werden. Die dabei freiwerdende Energie kann zurückgewonnen und wieder genutzt werden.
Eine Batterie als Zwischenspeicher
Ein Forschungsteam des Departements Technik & Architektur der Hochschule Luzern hat nun ein innovatives Energiemanagementsystem entwickelt, das die komplexen Energieströme steuert: Die Bremsenergie wird in einer Batterie gespeichert, um wenig später für den Antrieb der nächsten Bergfahrt und die Hilfsbetriebe (Pumpen, Lüfter, Heizung) genutzt zu werden. Die Batterie dient zudem als Zwischenspeicher für den Solarstrom. «Dank Photovoltaik-Anlage und Bremsenergie kann die Standseilbahn mehr als 30 Prozent ihres gesamten Energiebedarfs selber decken», sagt Projektleiter Olivier Duvanel. Er ist als Elektroingenieur an der Hochschule Luzern tätig und beschäftigte sich bereits vorher während sechs Jahren bei der Frey AG in Stans mit Seilbahnen.
«Das Energiesystem kann auch auf andere Pendelbahnen übertragen werden.»
Olivier Duvanel, Projektleiter und Elektroingenieur an der HSLU
Innovative Steuerung der Energieflüsse
Duvanels Idee für das Energiekonzept reicht in das Jahr 2015 zurück. Zunächst ging es darum, mit Hilfe umfangreicher Messungen zu überprüfen, ob sie sowohl technisch als auch wirtschaftlich umsetzbar war. Anschliessend entstand am Kompetenzzentrum Digital Energy and Electric Power (Deep) der Hochschule Luzern das Herzstück der Anlage: das Energiemanagementsystem. Optisch ist es wenig auffallend: zwei viereckige, je zwei Meter hohe Säulen, die in der Bergstation der Standseilbahn untergebracht sind. In der einen befindet sich die Batterie, in der anderen sorgt der so genannte Umrichter dafür, dass die Energie aus dem Netz in der Batterie gespeichert werden kann. Blinklichter zeigen an, ob alles in Ordnung ist. Dieses System steuert sämtliche Energieflüsse der Bahn, einschliesslich der Photovoltaik-Anlage, denn bei mobilen Anwendungen stellt das Zusammenspiel der elektrischen Komponenten hohe Ansprüche, die nicht mit der Photovoltaik-Anlage auf einem normalen Hausdach vergleichbar sind. In den vergangenen zwei Jahren wurde das System im Zuge der Gesamtsanierung der Standseilbahn eingebaut und optimal eingeregelt.
Betriebskosten deutlich gesenkt
«Das von der Hochschule Luzern entwickelte Energiesystem funktioniert im Dauerbetrieb zuverlässig; es hat unsere Stromkosten um 30 Prozent reduziert», sagt Raphaël Schlup, Leiter Technik/Betrieb Seilbahnen bei den Verkehrsbetrieben Biel. Die Einsparung fällt ins Gewicht, denn Strom macht die Hälfte der Betriebskosten aus. Die Investitionen in die Pilotanlage werden so innerhalb von 15 Jahren amortisiert sein. Das Konzept kann auf andere Stand- und Luftseilbahnen übertragen werden. Bei künftigen kommerziellen Anlagen sind Amortisationszeiten von zehn Jahren realistisch.