Schützende Schneeschicht für Gletscher

Gletscher retten – für dieses Ziel arbeiten verschiedene Schweizer Hochschulen und Unternehmen zusammen. Die Methode: Gletscher beschneien. Sie soll es ermöglichen, weltweit Gletscher vor weiterem Schmelzen zu schützen. Im Winter 2020/2021 können erste Tests der Technologie an der Talstation Diavolezza in Graubünden durchgeführt werden.

Weltweit schmelzen Gletscher.

Weltweit schmelzen Gletscher. Ein Forschungsteam mit Beteiligung der Hochschule Luzern sucht nach einem Gegenmittel. Bild: Ch.Levy

Wer heute zum Morteratschgletscher in Graubünden wandert, kommt ins Staunen und wahrscheinlich ins Grübeln: Über einen Kilometer weiter als jetzt reichte der Gletscher noch 1970 ins Tal hinein, wie Tafeln auf dem Weg aufzeigen. Mehr als 700 andere kleinere Gletscher sind nach Angaben des WWF allein in der Schweiz in diesem Zeitraum vollständig verschwunden. Das Phänomen beschränkt sich jedoch nicht auf die Schweiz: Messstationen von den Anden bis zum Himalaya verzeichnen Höchstwerte beim Rückgang der Gletscher. Die Konsequenzen: Dingend benötigte Wasserreserven für Menschen, Tiere und Landwirtschaft schwinden; die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen ist dadurch bedroht. Dies als Folge der globalen Klimaerwärmung.

Schnee schützt das Eis

Ein Team aus Expertinnen und Experten verschiedener Fachhochschulen und Industriepartner forscht deshalb unter dem Lead der Fachhochschule Graubünden an einer neuen Idee, wie sich der Rückgang verlangsamen lässt: Die Gletscher sollen künstlich beschneit werden. Co-Projektleiter Dieter Müller erklärt: «Schnee ist der beste Schutz für das Eis, denn er reflektiert die kurzwellige Sonnenstrahlung, und so wird der Schmelzprozess des Eises verzögert.» Wichtig ist dabei nicht die Dicke der Schneedecke, sondern eine vollständige Abdeckung des Gletschers.

Das Wasser für die Beschneiung kommt aus einem höher gelegenen Speichersee. So kann mit Wasserdruck anstatt mit elektrischer Energie gearbeitet werden.


Um den Schnee zu erzeugen, soll Schmelzwasser genützt werden, von dem es durch die erhöhten Temperaturen im Sommer eher zu viel gibt. Es handelt sich also um eine Art Schmelzwasserrecycling. «Wir nützen für die Schneeproduktion auch keine elektrische Energie, sondern arbeiten mit dem Wasserdruck», erklärt Müller. «Dafür entnehmen wir das Wasser einem höher gelegenen Gewässer oder Speichersee und leiten es von dort zum entsprechenden Gletscherabschnitt.» Darüber hinaus soll das Beschneiungssystem bodenunabhängig sein und damit in jeder Region der Welt eingesetzt werden können, wo Gletscher bedroht sind.

Welche Gletscher sollen sinnvollerweise mit dieser Methode geschützt werden? Und welcher Gletscherabschnitt eignet sich am besten dafür? Um dies festzulegen, galt es zunächst, ein Analyse- und Projektierungstool zu entwickeln, das einen weltweiten Einsatz möglich macht. Es muss Informationen wie Meteodaten, das Verhältnis von Gletscher- und Schmelzwasser sowie den Energieaustauschprozess zwischen Schneebildung und dem lokalen Klima über dem Gletscher integrieren, um mit Hilfe dieser Daten die nötigen Berechnungen anstellen zu können. Steht einmal fest, wo beschneit werden soll, produzieren Sprühköpfe, die an über den Gletscher gespannten Seilen aufgehängt sind, den künstlichen Schnee.

Kein gewöhnliches Beschneiungssystem

Trotz erfahrenen Praxispartner in Sachen Kunstschnee war bald klar: Bestehende Systeme eignen sich nur bedingt für die vorgesehene neue Art der Beschneiung. Deshalb entwickelte ein Team am Kompetenzzentrum Fluidmechanik und Hydromaschinen der Hochschule Luzern in Zusammenarbeit mit Bächler Top Track AG einen speziellen Sprühkopf für die Beschneiung sowie eine Lösung für das dazugehörende Leitungssystem und die Entwicklung der Druckluft. Dafür simulierten die Forscher am Computer die komplexen Strömungsverhältnisse im Sprühkopf. Die Schneiversuche vom Dach des Campus Horw der Hochschule Luzern mit einer Fallhöhe von 25 Metern ergaben erste positive Resultate.

Nein, der Campus Horw des Departements Technik & Architektur ist kein Skigebiet. Aber manchmal Zeuge von besonderen Versuchen.

Die bisherigen Resultate überzeugten Innosuisse – die Innovationsagentur unterstützt auch die nächste Etappe des Projekts. So bereiten die Forschenden nun für den Winter 2020/2021 erste Experimente an der Talstation Diavolezza in Graubünden vor. Dort prüfen sie, ob Sprühköpfe und das Rohrsystem unter Umwelteinflüssen wie Temperatur und Wind funktionieren. Im Winter darauf werden sie dann mit einer Pilotanlage am Corvatsch zur Produktionsreife entwickelt.

Fachwissen von vielen Seiten für den Schnee

Die Grundlagen für das Projekt lieferten Untersuchungen der Academia Engiadina und der Universität Utrecht in den Jahren 2015 bis 2017. Das erste Etappenziel auf dem Weg ist nun erreicht. Die dafür notwendige Technologie ist so weit entwickelt, dass das Konzept auf einem Gletscher geprüft und anschliessend optimiert werden kann.

Am Projekt beteiligt sind unter der Führung der Fachhochschule Graubünden die Hochschule Luzern und die Fachhochschulen Nordwestschweiz und Ostschweiz und zwei Industriepartner; unterstützt wird es unter anderem von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung Innosuisse. Die Zusammenarbeit mit den beiden Industriepartnern ermöglichte die Entwicklung der Technologie-Installation: das Team konnte auf das Fachwissen des Seilbahnspezialisten Bartholet Maschinenbau und auf die Erfahrung der Bächler Top Track AG aus Emmenbrücke in der Herstellung von Kunstschnee zurückgreifen. 

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