Klaus Marek, der Lockdown ist endlich vorbei. Was beobachten Sie, wenn Sie durch die Strassen spazieren?
Mir fällt auf, dass sich die Leute in bestimmten Situationen unsicherer verhalten als vor der Pandemie. Sie achten darauf, einander aus dem Weg zu gehen. Unser Gefühl für den persönlichen Raum, den wir mit uns herumtragen wie eine riesige Blase, hat sich verändert, vermutlich unwiderruflich: Die Blase ist verletzlicher als früher, weil Nähe das Risiko der Ansteckung birgt.
Das tönt etwas pessimistisch. Gibt es auch positive Folgen der Krise?
Das Abstandhalten führt dazu, dass unser Umgang mit öffentlichen Räumen kreativer wird. Orte, die bisher nur Durchgangsräume waren, werden für eine vielfältigere Nutzung erschlossen. So konzentrieren sich die Menschen nicht mehr nur auf die Hotspots, sondern verteilen sich besser.
Können Sie ein Beispiel nennen?
In der lettischen Hauptstadt Vilnius haben die Behörden im Zuge der Lockerungsmassnahmen öffentliche Plätze für die Nutzung durch Restaurants geöffnet, um mehr Abstand zwischen den Gästen zu schaffen. Schweizer Städte greifen inzwischen übrigens zu ähnlichen Lösungen: In Zürich beispielsweise dürfen Restaurants und Kaffees ihre Aussenbereiche ausweiten. Natürlich muss man aufpassen, dass man so nicht auch noch die kleinste Ecke öffentlichen Raumes durchkommerzialisiert.
Gleichzeitig wird der öffentliche Raum zusehends reglementiert durch Abschrankungen und Einlasskontrollen vor Geschäften, Museen, Restaurants …
Solche Einschränkungen werden uns leider auf absehbare Zeit erhalten bleiben. Im Moment sehen wir viele improvisierte Lösungen, weil unklar ist, wie lange die aktuelle Situation dauert. In meiner Postfiliale etwa wird für Abschrankungen derart viel Flatterband genutzt, dass ich mir wie an einem Tatort vorkomme! Das ist keine gute Raumgestaltung. Sollte die Krise andauern, kommen hoffentlich dezentere und elegantere Gestaltungsmittel zum Zug. Da könnten zunächst gestaltete Markierungen auf dem Boden reichen. Längerfristig wäre eine Neukonzeption des Wartebereichs ideal.
Bachelor Spatial Design: Räume nutzergerecht gestalten
Räume sind mehr als reine Architektur: Wie der Bahnhofvorplatz, unser Büro oder das Einkaufszentrum gestaltet sind, entscheidet darüber, ob wir uns dort wohlfühlen oder nicht. Am neuen Bachelor Spatial Design der Hochschule Luzern lernen Studierende, wie reale und virtuelle Räume möglichst nutzergerecht gestaltet werden können. Das Curriculum fokussiert dabei auf die Gestaltung von Arbeits- und Freizeitumgebungen sowie auf Ausstellungsräume und aufs Theater. Start ist im Herbstsemester 2020.
Welche anderen Mittel gibt es, um Räume «Corona-konform» zu gestalten?
Den idealen Raum gibt es nicht: Wo Menschen aufeinandertreffen, bleibt immer ein Infektionsrisiko. Doch wir können Räume so gestalten, dass es minimiert wird. Nehmen wir einen Supermarkt. Oft versperren Regale die Sicht, man findet sich plötzlich zusammen mit anderen Kunden in Sackgassen auf engem Raum wieder. Ob im Geschäft, im Bahnhof oder auf Plätzen: Übersichtlichkeit verhindert unbeabsichtigte Menschenansammlungen. Supermarktregale beispielsweise sollten deshalb so aufgestellt werden, dass man sich immer gut orientieren kann.
Abgesehen von der Übersichtlichkeit: Wie müssen Räume gestaltet sein, damit wir sie als angenehm empfinden?
Je luftiger und heller ein Raum, desto wohler fühlen wir uns darin grundsätzlich, auch ohne Coronavirus. Es geht allerdings nicht nur um die reine Fläche, sondern auch darum, diese sinnvoll zu nutzen. Eine Bahnhofshalle lässt sich mit Nischen ausstatten, in die man sich kurzzeitig vom Trubel zurückziehen kann, und die es einfacher machen, einander auszuweichen.
Sie betonen im Bachelor Spatial Design die digitalen Mittel der Raumgestaltung. Welche Rolle spielen diese in der aktuellen Situation?
Wir können digitale Mittel nutzen, um Interaktionen in Räumen so zu verändern, dass sich die Menschen weniger nahe kommen. Nehmen wir wieder unseren Supermarkt. Statt durch die Regale zu streifen, wäre es denkbar, im Eingangsbereich auf grossen Touchscreens seine Bestellung einzugeben und sich die Waren dann von einem Mitarbeiter aushändigen zu lassen.
Wo könnten wir auf komplett virtuelle Räume ausweichen, in denen wir uns physisch gar nicht mehr begegnen würden?
Ich sehe da gerade bei Kultureinrichtungen wie Museen und Theater grosses Potenzial. Weil sie im Lockdown dazu gezwungen waren, ihre Werke digital zu kuratieren oder aufzuführen, haben sie sich zu Taktgebern entwickelt, wenn es darum geht, virtuelle Räume zu gestalten. Das physische Erlebnis eines Theater- oder Museumsbesuchs ist zwar bisher nicht in den digitalen Raum transferierbar. Dennoch eröffnen sich neue Möglichkeiten, interaktive Elemente einzuflechten: zum Beispiel virtuelle Führungen durchs Museum. Bestenfalls schaffen diese Institutionen es so, neue Bevölkerungsgruppen zu erreichen.
Bachelor Data Design & Art: mit Daten Geschichten erzählen
Ebenfalls im Herbst 2020 startet der Bachelor Data Design & Art der Hochschule Luzern. Studierende werden hier zu Datenprofis ausgebildet, die Informationen einer breiten Öffentlichkeit vermitteln. Teil des Curriculums sind gemeinsame Projekte mit Spatial-Design-Studierenden im Bereich der Informations- und Datenvisualisierung im Raum. Studienrichtungsleiterin Isabelle Bentz sagt: «Daten-Designerinnen und –Designer kommunizieren nicht nur am Bildschirm, sondern auch in Form von räumlichen Datenskulpturen oder medialen Dateninstallationen, da gibt es Überschneidungen». Mittels Datenvisualisierung lassen sich zudem Personenflüsse sichtbar machen und daraus räumlich-gestalterische Konzepte entwickeln, wie Spatial Design-Leiter Klaus Marek ergänzt. Das erhalte im Zuge der Corona-Pandemie eine ganz neue Relevanz.
Zoom, Skype und Co. haben in den letzten Monaten oft reale Büros und Sitzungsräume abgelöst. Welche dekorativen raumgestalterischen Elemente bietet eine Videokonferenz?
Eine Videokonferenz findet eigentlich in einem virtuellen Raum statt. Und wie jeder andere Raum lässt sich auch dieser gestalten. Wer hat nicht schon einmal mit virtuellen Hintergründen experimentiert, sich auf ein futuristisches Filmset oder vor eine Villa versetzt? Man kann dies als lustiges Feature betrachten. Man kann darin aber auch Vorboten der Zukunft sehen. Virtuelle Umgebungen sind Bühnen, auf denen wir uns ganz anders inszenieren können als im physischen Raum.
Werden wir gewisse Tätigkeiten künftig nur noch in virtuellen Räumen ausüben?
Auf absehbare Zeit nicht. Wir sind soziale Wesen und brauchen den physischen Kontakt. Viele gute Ideen werden im informellen Rahmen, etwa während Pausen, geboren. Dieses Spontane fehlt dem virtuellen Raum – noch: Dank Corona erhält die Entwicklung neuer Technologien wie Virtual Reality Schub; Technologien, die es erlauben, sich in solchen Räumen viel intuitiver zu bewegen als per Maus und Tastatur. Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen darin wird sich dann vielleicht fast so real anfühlen, wie das morgendliche Gespräch am Pausentisch.