Barbara, Du bist jetzt seit gut sechs Monaten Rektorin der Hochschule Luzern. Gibt es etwas, an das Du Dich immer noch nicht gewöhnt hast?
Ja. An die unzähligen Abkürzungen für Gremien, Einheiten und Unteruntereinheiten – man kann sich sehr leicht in ihnen verirren. Aber sie bilden natürlich auch die Komplexität unserer Organisation ab.
Vor wenigen Wochen wurde der Jahresbericht der HSLU publiziert. Welche Zahl bietet besonders Anlass zur Freude?
Wir konnten über 8’300 junge Menschen für ein Studium an unserer Hochschule begeistern – davon rund 3’300 aus der Zentralschweiz. Aber auch für Studierende aus anderen Schweizer Kantonen und dem Ausland sind wir so attraktiv, wie noch nie – zu uns kommen mehr Studierende von ausserhalb als an jede andere Fachhochschule. Darauf können wir wirklich stolz sein.
Welche Auswirkungen hat das langfristig?
Zum einen profitieren wir als Institution davon: Der Name unserer Hochschule erlangt durch Absolventinnen und Weiterbildungsteilnehmer weit über die Zentralschweiz hinaus Bekanntheit. Zum anderen hat diese Anziehungskraft positive Auswirkungen auf unsere Region. Wer hier studiert, mit Unternehmen und Institutionen der Zentralschweiz in Kontakt kommt und die Lebensqualität schätzen lernt, überlegt sich später vielleicht auch, hier zu arbeiten und zu wohnen. Das ist für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung unserer Trägerkantone von grosser Bedeutung.
Welche Entwicklungen bereiten Dir Sorgen?
Es sind drei Faktoren, die – miteinander kombiniert – eine schwierige Dynamik auslösen könnten: unsere niedrige Trägerrestfinanzierung von rund fünf Prozent und die beiden «Unbekannten» Bundesfinanzierung und Studierendenzahlen. Beim Bund stehen die Zeichen eher auf Sparen und punkto Studierendenzahlen können wir nicht davon ausgehen, dass die Entwicklung weiter so steil nach oben geht wie in den vergangenen Jahren. Allein demografische Gründe sprechen dagegen. Im Moment sind wir sehr erfolgreich, die drei genannten Faktoren müssen wir jedoch im Auge behalten.
«Die HSLU hinterlässt einen Footprint in der Region.»
Du bist viel in der Zentralschweiz unterwegs, sprichst mit Politikerinnen, Wirtschaftsvertretern und Kulturschaffenden. Wie sehen sie die HSLU?
Unsere Hochschule geniesst überall einen hohen Bekanntheitsgrad und hat einen sehr guten Ruf. Ob über Forschungsprojekte, Netzwerke unter Wirtschafts- oder Branchenvertretern oder Absolventinnen – die HSLU hinterlässt einen Footprint in der Region.
Das hört sich sehr positiv an. Gibt es auch etwas, das Dich überrascht hat, wo zum Beispiel das Selbstbild der HSLU und das Fremdbild auseinanderklaffen?
Wir sehen uns als Hochschule für die Praxis, die aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien mit der konkreten Anwendung verbindet. In Gesprächen habe ich gemerkt, dass dieses Bild nicht überall so klar verankert ist. Viele Menschen assoziieren mit einer Hochschule, unabhängig davon, ob es sich um eine Universität, eine Pädagogische Hochschule oder eine Fachhochschule handelt, die Ausbildung von Akademikerinnen und Akademikern.
Die Studierenden der Hochschule Luzern kommen jedoch aus der Praxis – fast 70 Prozent haben eine Lehre mit Berufsmatur, eine höhere Fachschule oder eine Fachmatur absolviert – und gehen nach dem Studium wieder in die Wirtschaft zurück. Viele von ihnen studieren sogar berufsbegleitend und verbinden beide Welten. Sie bringen Fallbeispiele aus ihrem Arbeitsleben in den Unterricht ein und tragen frisch Gelerntes in ihr Unternehmen.
Die Kernkompetenz einer Fachhochschule ist nach wie vor die berufs- und arbeitsmarktnahe Ausbildung …
Ja, das ist definitiv so. Der Chefökonom des Arbeitgeberverbandes, Simon Wey, schrieb kürzlich, dass gerade bei anstehenden Herausforderungen wie der Energiewende, der Digitalisierung oder der Automatisierung ein grosser Mangel an spezialisiertem Personal bestehe. Genau in diesen Bereichen wirkt die HSLU an vorderster Front mit.
Der alle vier Jahre erscheinende Bildungsbericht attestiert der Hochschule Luzern, dass ihre Abgängerinnen und Abgänger im Beruf sehr erfolgreich sind. Wie schlägt sich das nieder?
Sie finden nach dem Studium nicht nur rasch einen Job, sondern auch eine Anstellung, die ihrer Qualifikation entspricht. Das ist für mich ein Zeichen, dass wir nah an den Themen und den Anforderungen der Zeit sind und für Bereiche ausbilden, bei denen die Dynamik in der Arbeitswelt sehr gross ist und hochspezialisierte Fachkräfte gesucht sind.
Welche Schwerpunkte willst Du in den nächsten Jahren in der Entwicklung der HSLU setzen?
Wir werden die Interdisziplinarität weiterhin sehr stark pflegen und Nachhaltigkeit fördern – durch Aus- und Weiterbildungsangebote, die einen ökologischen Umbau unserer Gesellschaft ermöglichen, aber auch in unserem täglichen Betrieb. Weitere Schwerpunkte leiten sich aus Ergebnissen von Berichten und Benchmarks ab, etwa in Bezug auf die Stärkung der Forschung oder die Umsetzung der neuen Personalkategorien. Und natürlich werden die grossen Themen unserer Zeit, sei es etwa der Umgang mit künstlicher Intelligenz oder der steigende Bedarf an spezialisierten Fachkräften im Gesundheitswesen, eine wichtige Rolle spielen. Auch die Bauprojekte am Bahnhof Luzern und am Campus Horw werden wichtige Eckpunkte bilden.
Die Aufgaben liegen also unmittelbar auf dem Tisch?
Ja, was wir zu tun haben, ist klar. Es wurde bereits vieles aufgegleist in den letzten zwei Jahren. Wenn wir über neue Strategien und Visionen reden, dann sind es weniger inhaltliche Themen, sondern vielmehr kulturelle Fragen, die noch zu diskutieren sind: Wie wollen wir zusammenarbeiten? Und worauf müssen wir besonders Acht geben?
Du bist mit anderen Hochschulkulturen vertraut. Wie nimmst Du die HSLU-Kultur wahr und wo siehst Du Entwicklungsbedarf?
Ich sehe eine grosse Ernsthaftigkeit und Sorgfalt in allen Hochschulgeschäften und einen wertschätzenden Umgang miteinander. Eine ausgeprägte Beteiligungskultur führt dazu, dass man viel diskutiert und versucht, unterschiedlichste Perspektiven einzubinden. Das ist sehr positiv. Gleichzeitig ist damit auch die Tendenz verbunden, dass wir uns stark, gelegentlich auch zu stark mit uns selbst beschäftigen, uns in Kleinteiligkeit verlieren und damit unser ohnehin schon ausgelastetes System weiter stressen. Ich denke, wir sollten die HSLU vermehrt durch die Aussenbrille betrachten und die grossen Linien im Auge behalten.
Ein grosser Wurf soll das neue Bildungsangebot im Bereich Gesundheit, Pflege, life science werden, das die HSLU gemeinsam mit der Organisation Xund prüft. Was ist die Motivation dahinter?
Der Bedarf an Fachkräften im Gesundheitswesen ist in der Zentralschweiz besonders ausgeprägt. Allein bei den Pflegefachkräften auf Tertiärstufe werden in den nächsten Jahren 3’500 Personen fehlen, rund 450 davon sind Nachwuchskräfte mit einer Ausbildung auf Fachhochschulniveau –- das entspricht Rang 2 im Fachkräftemangel-Index der Industrie- und Handelskammer der Zentralschweiz.
«Der Bedarf an Fachkräften im Gesundheitswesen ist in der Zentralschweiz besonders ausgeprägt.»
Genau dieses Studienangebot fehlt jedoch bisher in unserer Region. Kommt hinzu, dass auch im Bereich der Medizintechnik, Life Sciences und Medizin-Informatik der Bedarf an Fachpersonen steigt: Stichwort Digitalisierung und Personalisierung der Medizin. Deshalb haben unsere Trägerkantone uns den Auftrag erteilt, ein neues Bildungsangebot Gesundheit zu prüfen.
Gibt es vergleichbare Angebote nicht bereits an anderen Fachhochschulen?
Doch, die gibt es. Aber viele junge Leute aus der Zentralschweiz, die sich vorstellen können, im Gesundheitsbereich tätig zu sein, entscheiden sich dann doch um, weil sie für ihr Studium nicht über Jahre hinweg an weiter entfernte Orte pendeln oder ganz wegziehen wollen.
Welche Kompetenzen bringt die Hochschule Luzern bereits mit und welche muss sie erst entwickeln?
Alle sechs Departemente der HSLU sind bereits im Gesundheitsbereich in Lehre und Forschung aktiv. Neben Knowhow in Medizintechnik bringen wir viel Wissen über das Gesundheitssystem mit – das reicht vom öffentlichen Gesundheitsmanagement bis zur Prävention. Unsere Netzwerke und die Erfahrung interdisziplinärer Zusammenarbeit helfen uns, Entwicklungen in den Berufsfeldern, die sich immer enger untereinander verzahnen, aufzunehmen und vielleicht sogar zu antizipieren. Was uns fehlt, ist die Kernkompetenz im Bereich Pflege. Diese können wir zusammen mit Xund, der Universität Luzern und den regionalen Gesundheitsversorgern aufbauen.
Was sind die grössten Hürden beim Aufbau eines solchen Bildungsangebotes?
Zunächst einmal Geld – es bedingt die politische Bereitschaft, die dafür erforderlichen Mittel in die Hand zu nehmen. In den Gesprächen, die ich führe, verspüre ich grossen Rückenwind für das Projekt, ganz besonders vonseiten der Spitäler, der Spitex oder auch der Wirtschaft. Anfang Juli trifft der Konkordatsrat einen wichtigen Zwischenentscheid – von ihm hängt ab, ob die Signale weiter auf «grün» stehen.
Die zweite Hürde sehe ich darin, dass die Reputation der Pflegeberufe jüngst etwas durch die konstante Berichterstattung darüber, wie belastend und schwierig das Umfeld sei, gelitten hat. Es wird eine Herausforderung sein, dieses Bild wieder positiver zu färben und junge Menschen für diese Berufe zu gewinnen. Ich wünsche mir, dass wir mit einem tollen Ausbildungsangebot dazu beitragen können, das Berufsbild und die Laufbahnmöglichkeiten attraktiver zu gestalten und das Image wieder aufzuwerten.
Und was hilft dabei, ein solches Angebot erfolgreich zu lancieren?
Das Allerwichtigste ist, dass wir die Bedarfe und Potenziale sorgfältig analysieren und uns in der Entwicklung konsequent an der Praxis orientieren. Gerade bei den neuen Pflegestudiengängen wollen wir ja explizit einen Beitrag zur Milderung der Versorgungslücke leisten. Im Bereich Life Sciences haben sich in den letzten Jahren verschiedene internationale Firmen in der Zentralschweiz angesiedelt, die händeringend nach gut ausgebildeten Personen suchen. Als Hochschule können wir durch gute Bildungsangebote die Fachkräfterekrutierung unterstützen und die Standortattraktivität der Zentralschweiz erhöhen.
Die Hochschule Luzern ist die grösste und mit 25 Jahren älteste der drei Zentralschweizer Hochschulen. Wie nimmst Du das Verhältnis zur PH und zur Universität Luzern wahr und wie möchtest Du die Beziehung gestalten?
Es gibt vielfältige Beziehungen zwischen den drei Hochschulen, etwa die Campus-Angebote, die vom Sport über die Kita bis zu interdisziplinären Modulen reichen. Für 2024 ist eine «Lange Nacht der Wissenschaft» in Planung. Ganz aktuell steht der Aufbau einer gemeinsamen Plattform zu Blockchain-Forschung mit der Universität im Gespräch, unterstützt durch Fördermittel des Kanton Zug. Während wir über Erfahrung und Netzwerke aus den Bereichen Technik, Informatik und Finance verfügen, wird die Universität die humanwissenschaftliche Perspektive, etwa aus den Fachbereichen Recht und Soziologie einbringen. Ich bin überzeugt: Als Hochschulstandort sind wir dann stark, wenn wir als Trias gut abgestimmt und vorausschauend kooperieren.
«Als Hochschulstandort sind wir dann stark, wenn wir als Trias mit der PH und der Universität gut abgestimmt und vorausschauend kooperieren.»
Letztes Wochenende hat die Bevölkerung in Horw einer Umzonung zugestimmt – damit kann der Campus Horw gebaut werden. Mit 86 Prozent war die Zustimmung überwältigend …
Absolut. Das zeigt, dass unser Departement Technik & Architektur in Horw verwurzelt ist und hohes Ansehen geniesst. Sicher hat auch das Campus-Konzept dazu beigetragen. So werden punkto Nachhaltigkeit ehrgeizige Ziele verfolgt. Für die Wärme- und Kälteversorgung soll Wasser aus dem nahen Vierwaldstättersee sorgen und für Strom eigene Photovoltaikanlagen. Ausserdem wird die Anlage sehr offen gestaltet, ein öffentlicher Park soll Begegnungen zwischen Quartierbewohnern und Hochschulangehörigen ermöglichen. Ein Plus ist auch das Mobilitätskonzept: Es setzt auf noch bessere ÖV-Anbindungen und Langsamverkehr.
Die HSLU hat 13 Standorte, Du hast fast alle schon besucht. Was ist Dein Lieblingsplatz für eine Tasse Kaffee?
Das ist die Cafeteria von Design & Kunst in der Viscosistadt in Emmenbrücke. Jedes Mal, wenn ich da vorbeikomme, sieht es anders aus. Es ist ein lebendiger Raum, der sich transformiert, der überraschend ist – das ist für mich übrigens auch ein gutes Sinnbild für unsere Hochschule.