Nicht nachschauen: Was ist eine Petersburger Hängung?
a.) Eine kreative Hinrichtungsmethode aus dem zaristischen Russland
b.) Eine besonders enge Reihung von Gemälden in einer Ausstellung
Falls Sie b.) getippt haben, ist an Ihnen ein Kunsthistoriker oder eine Kunsthistorikerin verloren gegangen. Die Petersburger Hängung, auch Salonhängung genannt, geht tatsächlich auf die dicht behängten Wände der Petersburger Eremitage in Russland, einem der grössten Kunstmuseen der Welt, zurück.
Nun prägt eine solche Hängung einen Teil der Ausstellung «The Incredible World of Photography» des Kunstmuseums Basel – auch dank der Bachelorarbeit zweier Studenten der Hochschule Luzern: Tin Nguyen und Raphael Andres, die just den Bachelor Digital Ideation abgeschlossen haben, entwickelten gemeinsam mit dem Basler Studio für mediale Architekturen iART AG eine interaktive Installation. In deren Zentrum steht eine 3 Meter hohe und 10 Meter breite Projektion: Dicht an dicht wandern insgesamt 11’000 Fotografien in Form eines endlosen Bildteppichs langsam über die Wand. «Soweit wir wissen, handelt es sich um die erste digitale Petersburger Hängung überhaupt», sagt Raphael Andres stolz.
Die Anordnung der derart projizierten Fotos ist dabei nicht dem Zufall überlassen, sondern wird von einem Algorithmus bestimmt. Dieser stellte für die beiden Studenten eine besondere Herausforderung dar, denn sie konnten nicht auf existierende Galerie-Programme zurückgreifen, sondern mussten eine neue Software schreiben. Diese platziert die Fotos von der Grösse und vom Format her passend zueinander, ohne sie dabei in ein starres Raster mit vorbestimmten Bildformaten zu pressen.
Kurator: der Computer
Anders als das barocke Vorbild ist die moderne Variante der Petersburger Hängung interaktiv: Sie rückt auf Kommando eins der 11’000 Exponate in den Vordergrund. Dazu werden weiterführende Informationen sowie ähnliche Fotos eingeblendet. Die Bildauswahl trifft der Computer jeweils anhand der Grösse, der Farben und der abgebildeten Objekte und Personen, so dass ein logischer Bildcluster entsteht.
«Wir hatten diesen interaktiven Teil der Installation anfänglich sehr haptisch gestaltet, aber da hat uns Corona leider einen Strich durch die Rechnung gemacht», erläutert Tin Nguyen: Um ein Foto hervorzuheben, suchte man sich im ursprünglichen Konzept einen Abzug im Postkartenformat aus und scannte einen draufgedruckten QR-Code. Die dazu benötigten Scanstationen – deren Prototypen wurden ebenfalls von Raphael und Tin gestaltet – bleiben in der definitiven Variante bestehen. Die QR-Codes werden nun aber direkt auf die Ausstellungs-Tickets gedruckt um das Ansteckungsrisiko über verseuchte Abzüge zu minimieren. So bestimmt nun der Zufall, welches der 11’000 Bilder ein Gast zu sehen bekommt.
Ein Wermutstropfen, finden die beiden Studenten, aber ein verkraftbarer. «Wir sind trotzdem sehr glücklich darüber, dass wir in einer Bachelorarbeit ein öffentliches Projekt mit realen Partnern realisieren durften – und dabei vielleicht ein kleines Stück Kunstgeschichte geschrieben zu haben», sagt Nguyen.
Wer einen Hauch von digitaler Ermitage spüren will, kann die Ausstellung «The Incredible World of Photography» bis 4. Oktober 2020 im Kunstmuseum Basel besuchen.
Weitere Abschlussarbeiten im virtuellen Digital Ideation-Museum
Der Bachelor Digital Ideation der Departemente Design & Kunst und Informatik umfasst einen breiten Strauss an Vertiefungsmöglichkeiten: von Gamedesign über die nutzerfreundliche Gestaltung von Apps bis zu digitaler Kunst. Sämtliche Diplomarbeiten des Abschlussjahres 2020 können im neuen «DI Museum» betrachtet werden, entweder am PC, am Smartphone oder via Virtual Reality-Brille. Das Museum ist Teil der wwwerkschau, der Online-Ausstellung der Design-, Film- und Kunst-Studierenden der Hochschule Luzern.