Kein Datenzentrum der Welt dürfte einen Architekturwettbewerb gewinnen. Das ist nicht weiter schlimm; hier zählen innere Werte. In den unscheinbaren Hallen verarbeiten tausende Server die riesigen Datenmengen, die durch immer mehr cloudbasierte Anwendungen anfallen – von der morgendlichen Online-Teamsitzung übers Bezahlen des Pizzalieferdiensts via App bis zum Streamen der neuesten Fantasy-Serie.
Insbesondere die Schweiz hat sich in den letzten Jahren zum Mekka für Datenzentren entwickelt. Gemäss dem Immobilienunternehmen CBRE ist die Dichte mit 154’000 Quadratmetern verteilt auf 93 Zentren hierzulande die zweithöchste europaweit (Spitzenreiter sind die Niederlande). Und es wird eifrig weiter gebaut, insbesondere rund um Zürich und am Genfersee.
Was macht unser Land so attraktiv als Standort für Datenzentren? Diego Ortiz Yepes, Dozent am Departement Informatik der Hochschule Luzern und Experte für Cloud-Anwendungen und Big Data, erläutert die Hintergründe des Booms.
Diego Ortiz, wir führen dieses Gespräch über das Programm Teams. Fliessen unsere digitalisierten Worte gerade durch ein Schweizer Datenzentrum?
Vermutlich fliessen sie über die «Cloud Datencenter» von Microsoft in Zürich oder Genf. Vielleicht auch durch ein Datenzentrum in Deutschland. Aber sicher nicht durch Eines in den USA.
Wieso nicht?
Es dauert viel zu lange, Daten um den halben Erdball und wieder zurück zu schicken. Das führt zu Latenzen, also Verzögerungen zwischen den Gesprächsteilnehmern. Man fällt einander ins Wort. Bei einer Kommunikation in Echtzeit stört das enorm, vor allem, wenn die Dauer der Latenz schwankt und man sich nicht darauf einstellen kann. Da sind wir Menschen empfindlich.
Dabei war eines der Versprechen der Cloud-Technologie, dass Daten ortsungebunden in einer Wolke existieren.
Es gibt einen schönen Ausspruch: The Cloud doesn’t run in the Cloud. Cloud-Anwendungen laufen nicht einfach in einer ortlosen ätherischen Datenwolke, sondern brauchen eine zentrale physische Infrastruktur, die sich in geografischer Nähe zu den Anwenderinnen und Anwendern befindet – die Datenzentren.
«The Cloud doesn’t run in the Cloud.»
Dank Corona haben cloudbasierte Anwendungen extremen Auftrieb erfahren. Ist die Pandemie somit die Ursache für den Bau-Boom hierzulande?
Nein. Datenzentren schossen schon in den Jahren davor wie Pilze aus dem Boden. Corona hat den Trend jedoch beschleunigt: Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben sich ins Homeoffice zurückgezogen. Die Leute gehen nicht mehr ins Kino, sondern streamen Filme und Serien, und sie bestellen und bezahlen ihre Einkäufe immer häufiger im Internet.
Was hat diesen Trend ausgelöst?
Wir haben immer mehr IT-Anwendungen wie die Internet-Telefonie, wo riesige Datenmengen in kürzester Zeit gespeichert, verschoben und verarbeitet werden müssen. Aus einer ökonomischen Perspektive ergibt es gerade für kleine Unternehmen keinen Sinn, die dafür benötigte Infrastruktur für teures Geld selbst aufzubauen, zu warten und zu updaten. Genau so wie eine Bäckerei kein eigenes Kraftwerk betreibt, um ihre Öfen zu heizen. Es ist viel günstiger, diese Leistung extern zu beziehen.
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Datenzentren in der Schweiz: einige Zahlen und Fakten
Daten-Pipelines
In einer Stunde fliesst eine Datenmengen von ungefähr 4’337 Terrabyte durch die Datenzentren der Schweiz. Dies entspricht rund 1’445’966 Stunden Netflix schauen.
Energiehungrig
Das für 2022 geplante Datenzentrum von Interxion bei Glattbrugg ZH wird so viel Strom verbrauchen wie 48’000 Haushalte. Das entspricht etwa der Stadt Winterthur. Landesweit gehen etwa 4% des Stromverbrauchs aufs Konto von Datenzentren.
Platz da!
Die grössten Datenzentren der Schweiz weisen eine Fläche von rund 10’000 Quadratmetern auf. Das sind rund eineinhalb Fussballfelder. Nicht mitgerechnet ist zusätzliche Infrastruktur wie Parkplätze oder Sicherheitszäune.
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Wie muss ich mir das vorstellen? Miete ich zum Beispiel als IT-Jungunternehmer einfach ein paar Server in einem Datenzentrum?
Das können Sie, ja. Es gibt Unternehmen, die sich auf den Bau und Betrieb von Datenzentren spezialisiert haben und Rechen- und Speicherkapazitäten anbieten. Dazu gehören internationale Firmen wie Interxion oder auch einheimische Anbieter wie Green. «BigTech»-Unternehmen betreiben gleich selbst Datenzentren und vermieten Infrastruktur und Dienste an Dritte.
Wieso ist die Schweiz so beliebt als Standort?
Es sind die gleichen Faktoren, die auch den Finanzplatz gross gemacht haben. Erstens kommt es hier selten zu grossen Naturkatastrophen wie Erdbeben, die die Datenzentren beschädigen könnten. Zweitens ist das Land politisch stabil, und es herrscht Rechtssicherheit. Drittens hat es national und international einen hervorragenden Ruf als Wirtschaftsstandort. «Swissness» zieht, auch wenn es um Daten geht.
«Ein guter Datenschutz ist ein Standortvorteil.»
Welche Rolle spielt der Datenschutz?
Die Datenschutzgesetze in der Schweiz – wie auch in der EU – sind viel strenger als in den USA. Daten aus dem Gesundheitswesen beispielsweise dürfen das Land gar nicht verlassen. Gleichzeitig ist der europäische Markt für Google, Microsoft, Netflix und Co. wichtig, die Schweiz miteingeschlossen. Wenn sie hier tätig sein wollen, müssen sie die Daten ihrer Kundschaft vor Ort speichern. Ein guter Datenschutz ist ein Standortvorteil.
Um beim Unternehmer-Beispiel zu bleiben: Wie schützen die Betreiber meine Firmendaten konkret?
Um unerlaubte Zugriffe von aussen zu verhindern, kommen klassische Instrumente der IT-Sicherheit wie Firewalls zum Einsatz. Diese digitalen Brandschutzmauern trennen auch Daten verschiedener Kunden voneinander, die physisch auf dem gleichen Server liegen. Sensible Informationen wie Personal- oder Forschungsdaten sind durch separate Programme extra geschützt. Natürlich ist kein System perfekt. Die Betreiber eines Datenzentrums sind daher in der Pflicht, Bugs und Sicherheitslücken möglichst rasch zu beheben.
Neben Firewalls braucht es auch richtige Mauern. Was tun Betreiber, um die Serverhallen vor unbefugtem Zutritt zu schützen?
Die Areale sind umzäunt und Kamera-überwacht. Und die Eingänge zu den Datenzentren sind durch biometrische Sensoren geschützt, darunter Scanner, die neben der Körperwärme sogar das Venenbild und den Blutfluss in den Händen zugangsberechtigter Personen erkennen. Das tönt makaber, aber es nützt nichts, eine abgeschnittene Hand auf den Scanner zu legen. Man kommt nur lebend rein.
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Menschenfeindliche Orte
In vielen Datenzentren herrscht auch im Sommer Jacken-Pflicht: Weil die Server stark gekühlt werden müssen, steigt die Temperatur oft nicht über 18 Grad Celsius. Bricht ein Brand aus, versprühen die Sprinkleranlagen nicht Wasser, das die Server beschädigen würde, sondern eine Gasmischung, die dem Feuer den Sauerstoff entzieht. Für die darin arbeitenden Menschen ist das gefährlich. Für sie sind diese Anlagen allerdings auch nicht gemacht, sondern für Maschinen, wie Cloud-Experte Diego Ortiz sagt. Im Normalbetrieb halte sich das Personal nur selten in den Serverhallen selbst auf. Brände kommen trotz Sicherheitsvorkehrungen immer wieder vor: Erst kürzlich wurde ein Datenzentrum im französischen Strasbourg durch ein Feuer zerstört. Damit in solchen Fällen möglichst wenige Kundendaten verloren gehen, werden diese regelmässig auf Backup-Servern in anderen Datenzentren gespeichert.
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Sind Datenzentren die neuen Banken?
Im 21. Jahrhundert besteht eine Bank nicht mehr unbedingt aus einem physischen Tresor mit Banknoten und Goldbarren, sondern sie ist ein Datenzentrum. Die darin gespeicherten Daten sind das neue Gold. Sogar unser Buchgeld selbst ist nichts anderes mehr als Daten, und wird ebenfalls in Datenzentren gespeichert. Die Server einer Bank müssen so gut geschützt werden, wie ein Banktresor, weil sie tatsächlich ein virtueller Banktresor sind.
Es gab immer wieder Skandale wegen dubiosen Geldern auf Schweizer Bankkonten. Könnten Kriminelle oder Despoten auch Daten aus illegalen Geschäften hier bunkern?
Die Datenzentrums-Branche ist verschwiegen. Über die Kundschaft, die sich dort einmietet, ist oft wenig bekannt. Das heutige internationale Umfeld ist aber ein anderes als noch vor 20 Jahren. Unternehmen, die mit solchen Leuten zusammenarbeiten, werden rasch mit Embargos belegt, gerade durch die USA. Datenzentren sind im Normalfall global ausgerichtet. Sanktionen kann sich also kein Betreiber leisten. Kriminelle könnten allerdings versuchen, sich mittels legaler Tarnfirmen Zugang zu Rechen- und Speicherkapazität zu verschaffen. Die Betreiber sind also gefordert, genau hinzuschauen, mit wem sie Geschäfte machen.
Wieso baut man Datenzentren eigentlich nicht in alte Militärbunker? Sicherer geht’s nicht…
Datenzentren in Bunkern wären definitiv sehr sicher. Doch diese Anlagen stammen aus einer anderen Zeit und erfüllten einen ganz anderen Zweck. Klima, Lüftung, Stromzufuhr – all das müsste für sehr viel Geld erneuert und an die «Bedürfnisse» der Technik angepasst werden. Es gibt Einzelfälle, wo das gemacht wurde. Das Datenzentrum des Sicherheitsunternehmens Wisekey etwa befindet sich in einem alten Atombunker bei Attinghausen im Kanton Uri. Trotzdem: Meistens ist es günstiger, neu zu bauen. Diese Neubauten sind vielleicht nicht schön, aber ohne sie geht nichts mehr. Datenzentren sind das Rückgrat der Digitalisierung.