Baukultur: mehr als die Erhaltung von alten Dorfkernen

Baukultur – da denkt man an schöne Gebäude oder historische Altstädtchen. «Das gehört dazu», sagt HSLU-Expertin Alexa Bodammer. Aber es gehe weit darüber hinaus. Baukultur, sagt sie, habe viel damit zu tun, wie wir zusammenleben.

Baukultur - La-Chaux-de-Fonds, Wakkerpreis 1994

La-Chaux-de-Fonds, 1994 für gute Baukultur mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet. Bild Tobias Dimmler/Schweizer Heimatschutz

Seit 50 Jahren zeichnet der Schweizer Heimatschutz jährlich eine Gemeinde für herausragende Baukultur mit dem Wakkerpreis aus. Diese 50 bisher ausgezeichneten Gemeinden bilden die Grundlage für eine interdisziplinäre Studie der Hochschule Luzern und des Schweizer Heimatschutzes zum Thema Baukultur. Projektleiterin Alexa Bodammer sieht diese Ausgangslage als ideale Laborsituation: «Wir wollten herausfinden, was die Bedingungen für gute Baukultur in den Gemeinden sind, heute wie damals – ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit, aber durchaus als Orientierung für andere Gemeinden, die Ähnliches erreichen wollen.» Nach einem ausführlichen Dokumentenstudium im Bundesarchiv versandte das Forschungsteam einen Fragebogen an die ausgezeichneten Gemeinden. Antworten kamen aus 39 der 50 Ortschaften, insgesamt von 59 Personen aus Verwaltung und Politik und von Expertinnen und Experten, die mitgewirkt hatten. Mit der Umfrage und anhand der Archiv-Dokumente untersuchten die Forscherinnen und Forscher, was die Gemeinden antrieb und welche Qualitätsvorstellungen von Baukultur eine Rolle spielten. Vertreterinnen und Vertreter einzelner Gemeinden luden sie anschliessend zum Erfahrungsaustausch ein.

Muttenz, Wakkerpreis für gute Baukultur 1983
Muttenz erhielt den Wakkerpreis im Jahr 1983.
Muttenz, Wakkerpreis für gute Baukultur 1983
Vor 40 Jahren stand die Vereinbarkeit des Alten und des Neuen im Zentrum.
Muttenz, Wakkerpreis für gute Baukultur 1983
Muttenz ist eine Agglomerationsgemeinde von Basel mit starkem Bevölkerungszuwachs. Heute steht sie vor ganz anderen Problemen als 1983, im Jahr des Wakkerpreises.

Beim gemeinsamen Erfahrungsaustausch waren sich die Gemeinden einig: Gesetze vermögen Qualität zwar durchaus zu unterstützen, aber sie bringen sie nicht hervor. Vor allem betonen sie, dass Flexibilität für das Gelingen von baukulturellen Projekten nötig sei. Und viel Kommunikation: «Einem Plan muss man Leben einhauchen», sagt Alexa Bodammer. «Die wichtigste Voraussetzung dafür ist es, zu wissen, was die Bevölkerung braucht.» Hierzu müssten gezielt Interessengruppen, Vereine, die sich historisch oder kulturell mit dem Lebensraum beschäftigen, oder Gemeindeinitiativen einbezogen werden. Alexa Bodammer ist überzeugt: «Baukultur darf nicht der Bauindustrie überlassen werden. Wir müssen gemeinsam den Raum gestalten.»

Die Wakkerpreis-Gemeinden haben dafür verschiedene Lösungen gefunden: Cham (Wakkerpreis Jahr 1991) gelang der Schutz der Seeuferpromenade, indem die Gemeinde die Freiräume in die Nutzungsplanung integrierte. In La-Chaux-de-Fonds (Wakkerpreis 1994) braucht es bis heute viele Einzelgespräche mit den Eigentümerinnen und Eigentümern der Innenstadt-Häuser. Ein Kriterienkatalog für Anpassungen und Umbau allein half nicht weiter. Deshalb wurde jedes Haus einzeln angeschaut und seine Bedeutung für das Ganze immer wieder eruiert wird. In Sion (Wakkerpreis 2013) schliesslich stiess ein Projekt, das einen Strassenzug mit Hilfe von Begrünung und Möblierung für Mensch und Verkehr verträglicher gestalteten wollte, zunächst auf Skepsis. Mittlerweile wird die Stadt von verschiedenen Quartieren angefragt, ob es nicht möglich sei, Strassen dort vergleichbar aufzuwerten.

Sion, 2013 mit dem Wakkerpreis für gute Baukultur ausgezeichnet
Der Schweizer Heimatschutz verlieh Sion den Wakkerpreis 2013.
Sion, 2013 mit dem Wakkerpreis für gute Baukultur ausgezeichnet
Im Zuge der Neugestaltung der öffentlichen Plätze im Stadtzentrum wurde die Art und Weise überdacht, wie die Stadt gestaltet werden sollte.
Sion, 2013 mit dem Wakkerpreis für gute Baukultur ausgezeichnet
Die Walliser Kantonshauptstadt erhielt die Auszeichnung für den erfolgreichen Wandel, den sie einleitete, indem sie die Landschaft und die Baukultur ins Zentrum der Entwicklung stellte.

Die Hochschule Luzern erarbeitet in verschiedenen Projekten Prozesse, wie die Entwicklung von Gemeinden oder auch Landschaften gemeinsam vorangetrieben werden kann. Die Forschenden der Hochschule Luzern haben aus der intensiven Recherche konkrete Empfehlungen abzuleiten. Vier übergeordnete Prinzipien kann Alexa Bodammer zusammenfassen: Erstens brauche es den Willen und das Engagement von Seiten der Politik. «Ohne die Politik geht es nicht. Sie muss in den Gemeinden die Baukultur unterstützen, damit etwas Gutes entstehen kann.»

Zweitens müsse die Expertise von Fachpersonen – meist Architektinnen und Architekten – eingebunden werden. Ihnen komme besonders dann eine wichtige Rolle zu, wenn der Fokus auf dem einzelnen Bauwerk oder auf dem Städtebau liegt. Es gehe aber vor allem um das interdisziplinäre Zusammenspiel verschiedener beteiligter Fachpersonen. Drittens sei die Kommunikation mit der Bevölkerung zwingend, da diese vielfach das letzte Wort an der Urne habe. Hier also früh, noch vor dem Bau über Ziele und Bedürfnisse einen Austausch zu führen, sei deshalb wichtig. Und viertens müssten die Prozesse kohärent sein, die einzelnen Schritte also aufeinander aufbauend und für alle Beteiligten nachvollziehbar.

Cham, 1991 mit dem Wakkerpreis für gute Baukultur ausgezeichnet
Cham erhielt 1991 den Wakkerpreis für seine weitblickende und konsequente Freiraumplanung.
Cham, 1991 mit dem Wakkerpreis für gute Baukultur ausgezeichnet
Dorfkern und See zu verbinden, war ein wichtiges Anliegen.

Und wie verhält es sich nun mit den schönen Dorfkernen? Für Alexa Bodammer ist die Schönheit, die aus guter Baukultur entsteht, durchaus ein Thema, das man nicht nur den Profis überlassen sollte. Umso wichtiger findet sie die Vermittlungsarbeit: «In der breiten Bevölkerung fehlt oft die Sprache, um über Ästhetik zu sprechen, auch über Atmosphäre und Akustik, die ja ebenfalls mit Baukultur zu tun haben. Durch Vermittlung an Schulen oder auch durch Ausstellungen kann hier viel erreicht werden.»

La-Chaux-de-Fonds, 1994 für gute Baukultur mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet
La-Chaux-de-Fonds wurde 1994 mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet.
La-Chaux-de-Fonds, 1994 für gute Baukultur mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet
Die Stadtbehörden brachten während der 1980er-Jahre durch eine
Motivationskampagne die oft versteckten Schönheiten der schachbrettartig angelegten Bebauung zur Geltung und der Bevölkerung näher.
La-Chaux-de-Fonds, 1994 für gute Baukultur mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet
Die Stadt erreichte, dass die privaten Eigentümer und Eigentümerinnen sich des architektonischen Wertes ihrer Häuser bewusst wurden.

Baukultur an der Hochschule Luzern

Baukultur geht nicht nur die Architekturgilde etwas an. Auch die Forschung an der Hochschule Luzern ist deshalb interdisziplinär aufgestellt. Im Interdisziplinären Themencluster (ITC) «Raum & Gesellschaft» untersuchen Expertinnen und Experten verschiedener Fachbereiche gemeinsam, wie den räumlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts durch interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Raumentwicklung begegnet werden kann. «Baukultur in der Gemeinde-, Stadt- & Regionalentwicklung» ist ein Fokusthema.

Das Thema Baukultur beschäftigt an der Hochschule Luzern nicht nur die Forschung, es fliesst auch in die Ausbildungen ein und ist Inhalt der Weiterbildung CAS Baukultur, für die die Hochschule mit der Stiftung Baukultur Schweiz zusammenarbeitet.

Projektbeispiele:

  • Siedlungsentwicklung nach innen
    Ist ein Gebiet bereits bebaut, führt die weitere bauliche Entwicklung und Verdichtung oft zu Konflikten: Damit Einsprachen später nicht Planung und Umsetzung blockieren, müssen die Ansprüche der Gemeinde und diejenigen von zahlreichen Eigentümerinnen und Eigentümern in Einklang gebracht werden. Ein interdisziplinäres Team der Hochschule Luzern hat ein Vorgehen entwickelt, das den Einbezug aller Beteiligten sicherstellt und damit für eine breite Akzeptanz sorgt. Acht Gemeinden aus den Kantonen Luzern und Basel-Landschaft haben das Modellvorgehen bereits erfolgreich angewendet.
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  • Qualitätsvolle Weiterentwicklung der Streusiedlung in Giswil
    Wie kann die Qualität einer Landschaft ausserhalb der Bauzone sichergestellt werden? Die Hochschule Luzern hat am Beispiel der Grossteiler Ebene in Giswil OW einen Prozess und Handlungsempfehlungen entwickelt, die einen Weg im Spannungsfeld zwischen Landschaftsschutz und -entwicklung aufzeigen.
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CAS Baukultur
Der CAS Baukultur vermittelt vermittelt Fachpersonen, die an baulichen Planungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt sind, das notwendige inhaltliche und methodische Wissen für ein hochwertiges Weiterbauen von Bauwerken, Siedlungen und Landschaften.
Zur Weiterbildung

 

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