«Die junge Generation investiert in ETFs – digital, selbstbestimmt und kostenbewusst»

Vom Nischenprodukt zum Börsenliebling: ETFs – Exchange Traded Funds – erleben vermehrt auch in der Schweiz einen Boom. Auf Finanzportalen und Blogs von Finfluencern werden sie immer stärker beworben. Doch was steckt dahinter? Und für wen sind ETFs spannend? HSLU-Forscher Brian Mattmann hat in einer neuen Studie das Verhalten und den Wissensstand von Schweizer Anlegerinnen und Anlegern rund um ETFs beleuchtet.

Hände mit Smartphone mit ETF-Schriftzug

Brian Mattmann, warum sind ETFs bei Anlegerinnen und Anlegern so beliebt?

ETFs ermöglichen es Privatanlegerinnen und -anlegern, einfach, günstig und diversifiziert zu investieren. Heute kann man mit wenigen Klicks ein Konto bei einer Onlinebank oder einem digitalen Vermögensverwalter eröffnen und sich selbst ein Portfolio zusammenstellen. Investieren ist also für alle zugänglich geworden.
Dieser Paradigmenwechsel im Anlageverhalten lässt sich auch am Schweizer Fondsmarkt ablesen: Zwar stecken erst 26 Prozent der verwalteten Gelder in ETFs, aber seit 2021 fliesst jährlich mehr als zwei Drittel aller Neugelder in ETFs. Zudem wächst das Angebot an ETFs um über 8 Prozent pro Jahr, während klassische Anlagefonds stagnieren. Das ist ein klarer Trend. Besonders junge Anleger treiben ihn: 59 Prozent der ETF-Anlegenden sind unter 45 Jahre alt.

«Es ist ein deutlicher Trend zu beobachten: Während das ETF-Segment wächst, stagniert das Angebot an klassischen Anlagefonds.»

Brian Mattmann

ETFs einfach erklärt

Mit passiv verwalteten börsengehandelten Exchange Traded Funds (kurz ETFs) können sich Anlegende am Finanzmarkt beteiligen. Mit ETFs kaufen sie zum Beispiel Anteile an einem Börsenindex (SMI, Dow Jones, DAX etc.), den ein ETF möglichst genau nachbildet. Indem ETFs einen Korb mehrerer Aktien abdecken, können sich Anlegende mit einer einzigen Transaktion ein diversifiziertes Portfolio zulegen. Im Vergleich zu klassischen, aktiv verwalteten Anlageprodukten haben ETFs meist tiefere Produktgebühren.

Spannend ist für viele, ihre ETFs selbst zu verwalten. Wie hoch ist dieser Anteil?

Es gibt zwei idealtypische Wege, um sein Geld anzulegen: Entweder man lässt sich beraten – dann erklärt einem die Bankberaterin die Produkte und Risiken und die Bank verwaltet das Geld beispielsweise über einen klassischen Anlagefonds. Oder man verwaltet sein Erspartes selbst: Die Mehrheit aller ETF-Anlegerinnen und -Anleger, nämlich 64 Prozent, hält ETFs in einem selbstverwalteten Portfolio. Die Selbstverwaltung mit ETFs hat den Vorteil, dass die Kosten tiefer sind, jedoch ist man auf sich alleine gestellt. Für klassische Anlegende stellt diese Eigenverantwortung oft eine Einstiegshürde dar, um in ETFs zu investieren – gerade, wenn das Finanzwissen fehlt.

«Früher liess man sich beraten – bei ETFs übernimmt man selbst Verantwortung»

Brian Mattmann

Wie informieren sich diese ETF-Anleger?

Digital die Jungen, klassisch die Älteren: Während Ältere stark auf Beratung und die traditionelle Finanzpresse setzen, informieren sich jüngere ETF-Anlegende auf Finanzportalen und Finanzblogs. Zudem tauschen sich jüngere ETF-Anleger viel stärker untereinander aus. Interessant ist zudem, dass rund die Hälfte der Anleger eine Onlinebank für ihre ETFs nutzen, das sind deutlich mehr als klassische Anlegerinnen und Anleger. Auch vertraut rund jeder fünfte ETF-Anleger einem digitalen Vermögensverwalter, auch Robo-Advisor genannt.

Wie viel wissen Schweizer Anlegerinnen und Anleger wirklich über ETFs?

Das Ergebnis unserer Studie ist klar: 71 Prozent der ETF-Anlegenden verfügen über Fach- oder Expertenwissen. Bei Nicht-ETF-Anlegenden sieht es genau umgekehrt aus: 63 Prozent fehlt es an grundlegendem Basiswissen zu ETFs. Wer das Produkt nicht versteht, investiert auch nicht. Vertrautheit mit einem Finanzprodukt ist ein Schlüsselfaktor für die Bereitschaft, zu investieren.

«ETF-Nutzer kennen dieses Anlageprodukt sehr gut – sehr viele klassische Anlagerinnen kennen ETFs hingegen noch kaum.»

Brian Mattmann

Wo gibt es konkret Wissenslücken bei ETFs?

Neben dem Mangel an ETF-Grundlagenkenntnissen können Schweizer Anleger die Kosten von Finanzprodukten meist nur sehr schlecht einschätzen. Das ist aber deshalb wichtig, weil ein Vorteil von ETFs gegenüber klassischen Anlagefonds tiefere Produktgebühren sind. Zwar betonen Schweizer Anleger, dass ihnen die Gebühren bei Finanzanlagen wichtig seien – allerdings zeigt unsere Studie, dass Anleger ihre Anlagebereitschaft bei hohen Gebühren kaum verändern. Das hat auch damit zu tun, dass Gebühren in Prozent ausgewiesen werden, was sehr abstrakt ist. Wenige wissen intuitiv, was 1 Prozent Gebühren über zehn Jahre in Franken bedeutet. Zudem können viele kaum einschätzen, ob Gebühren von beispielsweise 1.75 Prozent für ein Finanzprodukt viel oder wenig sind. ETFs können für Privatanleger schnell um den Faktor drei günstiger sein als klassische Fonds – jedoch wird dieser Gebührenvorteil oft nicht verstanden.

«Auch beim Anlegen gilt das Sprichwort: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Wenn die Schweizer Anlegenden Alternativen nicht kennen oder verstehen, dann investieren sie nicht. Deshalb ist Finanzbildung entscheidend.»

Brian Mattmann

Was haben Banken verpasst, um ihre Produkte besser zu verkaufen?

Die Finanzbranche ist nicht gut darin, ihre Produkte zu erklären: Dies geschieht meist technisch aus der Produkt- oder Rechtsperspektive. Was Privatanleger hingegen wollen, sind verständliche und alltagsnahe Informationen. Es braucht also mehr finanzielle Aufklärung. ETF-Anlegende nutzen dazu Finanzportale und Finanzblogs, die oft von sogenannten Finfluencern betrieben werden. Sie erklären Grundlagen, vergleichen Produkte und sprechen die Sprache der Anlegerinnen und Anleger.

«Die Finanzbranche ist nicht gut darin, ihre Produkte verständlich zu erklären.»

Brian Mattmann

ETFs werden meist als einfaches Anlageprodukt beworben. Wo liegen die Risiken?

Nicht jeder ETF ist automatisch breit diversifiziert. Beispielsweise Themen-ETFs – also ETFs, die gezielt auf bestimmte Zukunftsthemen oder Megatrends setzen, statt breit gestreute Märkte abzubilden – können neben Chancen auch Klumpenrisiken bergen. Und natürlich schützt ein ETF nicht vor Marktschwankungen. Wenn die Börse fällt und jemand in Panik verkauft, hilft auch das beste Produkt nichts. Hier zeigt sich der Nachteil des Selbstmanagements: Man ist auf sich allein gestellt. Ein Bankberater kann in solchen Phasen beruhigen.

Wie verändern Robo-Advisors das Investieren?

Wir sehen derzeit, dass sich digitale Vermögensverwalter – sogenannte Robo-Advisors – zunehmend in der Schweiz etablieren. Sie bieten eine einfache, automatisierte Art des Anlegens: Man füllt ein Risikoprofil aus und die Plattform erstellt ein passendes Portfolio – oft basierend auf ETFs und kostengünstigen Anlagefonds. Für viele ist das die ideale Lösung zwischen Selbstverwaltung und klassischer Beratung. Es ist aber kein Wundermodell, das zu garantierten Gewinnen führt, aber diese Plattformen machen Anlegen sehr einfach zugänglich.

Wird sich dieser Trend zum Anlegen ohne Bankberater weiter verstärken?

Bankberaterinnen spielen für viele Privatanleger eine wichtige Rolle. Speziell die jüngere Generation investiert allerdings vermehrt anders – digitaler, selbstbestimmter und kostenbewusster. Das wird die Branche zukünftig verstärkt prägen. Aber die klassische Beratung wird nicht verschwinden, sie ist vor allem zentral, wenn Unsicherheit ins Spiel kommt. Auch bei der verständlichen Erklärung von Anlageprodukten nehmen Bankberater eine wichtige Funktion ein.

ETF-Anlegerstudie Schweiz

Die neue ETF-Anlegerstudie der Hochschule Luzern untersucht erstmals umfassend das Anlageverhalten und den Wissensstand Schweizer Anlegerinnen und Anleger in Bezug auf dieses wachsende Marktsegment. Immer mehr Privatanlegerinnen und Privatanleger investieren ihr Geld selbstständig – oft mithilfe von ETFs. Diese Entwicklung steht für mehr Eigenverantwortung, tiefere Kosten und einen Digitalisierungsschub.

Studienautoren sind Dr. Brian Mattmann, Prof. Dr. Karsten Döhnert, Prof. Dr. Jürg Fausch und Angelo Gattlen vom Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ.

Hier können Sie die Studie herunterladen.

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