Viele Designstudierende hegen den Traum, irgendwann ein Kultobjekt wie einen Stuhl oder Tisch zu entwickeln. An Matratzen denken da wohl die Wenigsten. Aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten seien sie ein typisches «Low-Interest-Produkt», sagt Design-Alumnus Joel Hügli, und daher unattraktiv für Produktentwicklerinnen und -entwickler. Dennoch verkauft der gebürtige Berner seit vergangenem Herbst in einem Pop-up-Store im Zürcher Langstrassenquartier nun Matratzen – nachhaltige Matratzen.
Nach einer Lehre als Hochbauzeichner entschied sich der heute 31-Jährige für ein Studium in Industrie- und Produktdesign in Basel. Dabei beschäftigten ihn das Thema Ökologie und der Impact seiner Arbeit auf die Umwelt immer mehr. «Produktdesign ist sehr konsumorientiert. Dies war je länger, je weniger vereinbar mit meinen Werten», sagt Hügli. Nach dem Bachelor forschte er daher an der Hochschule Luzern im Bereich nachhaltiges Produkt- und Textildesign. Gleichzeitig begann er seinen Master in Design – auch da mit dem Fokus Nachhaltigkeit. «Was danach passierte, kann ich nicht anders beschreiben als: Es eskalierte», erzählt Hügli schmunzelnd.
1 Million entsorgte Matratzen – null Prozent Recycling
Er stiess auf eine Zahl, die ihn nicht mehr losliess: Rund eine Million Matratzen werden in der Schweiz jedes Jahr entsorgt. Bislang landet der Grossteil davon in der Kehrichtverbrennungsanlage. Recyclingquote: Null Prozent. Für seine Abschlussarbeit stellte er sich daher der Herausforderung, Matratzen so zu entwickeln, dass sich die Materialien wiederverwenden lassen. «Ich wollte ein Produkt schaffen, das nicht nur Komfort bietet, sondern auch ökologisch ist», erklärt Hügli. Dafür analysierte er bestehende Matratzenmodelle und sprach mit Rohstoffverarbeitern, Matratzenherstellern, Wäschereien, Endkunden und Betreibern von Kehrichtverbrennungsanlagen.
Hüglis Fazit: Das Potenzial, den ökologischen Fussabdruck von Matratzen zu reduzieren, ist riesig. Was es brauche, sei besseres Produktdesign und passende Unterhalts- und Recyclingdienstleistungen. «Die Langlebigkeit lässt sich verbessern, wenn man die Matratze einfach reinigen, reparieren sowie gewisse Bestandteile ersetzen kann», sagt der Jungunternehmer. Der Grossteil des Fussabdruckes einer Matratze hänge aber mit den eingesetzten Materialien zusammen. «Wenn wir diese Materialien länger nutzten und nach dem Gebrauch wieder verwerten können, ist enorm viel gewonnen.»
Das Ergebnis seiner Masterarbeit war ein ergonomischer Matratzenprototyp aus mehreren Lagen an kleinen und grossen Taschenfedern, die sich einfach trennen und wiederverwerten lassen. Die Matratzenhülle besteht vollständig aus den Naturfasern Baumwolle sowie Schafwolle und ist wasch- und austauschbar. Für den Kern verzichtet Joel Hügli so gut wie möglich auf Schaumstoff, da dieser nur schwer zu recyceln ist und im Liegebereich schnell für Kuhlen sorgt. Hauptkomponente der Matratze ist daher ein mehrlagiger Taschenfedernkern bestehend aus kleineren und grösseren Taschenfedern aus Metall und Vlies, die sich gut dem Körper anpassen.
Unverhoffter Jungunternehmer
Nach dem Abschluss stand Hügli vor der Frage, wie sein Prototyp tatsächlich markttauglich gemacht werden könnte. Dabei hoffte er zunächst, bestehende Hersteller für sein Konzept gewinnen zu können. «Mein Hauptziel war, die Matratzenindustrie mit meiner Expertise zu beraten und zu befähigen, selbst kreislauffähige Matratzen herzustellen», sagt Hügli. Das Interesse sei auch gross gewesen. Er hätte aber letztlich zu wenig Bewegung festgestellt. «Am Ende gründete ich dann eben selbst ein Unternehmen.»
Über ein Jahr lang kniete er sich nochmals rein, verbesserte den Prototypen, wählte lokale Lieferanten aus und stellte nicht zuletzt die Finanzierung der Entwicklung auf sichere Beine. «Da hatte ich Glück», sagt Hügli. «Ich gewann mit meiner Abschlussarbeit viele Preise und bekam einiges an Förderbeiträgen von Stiftungen bewilligt.» Unterstützt wurde und wird er auch weiterhin von Smart-up, dem Förderprogramm für Innovation, Unternehmertum und Selbständigkeit an der Hochschule Luzern (siehe Box). «Da habe ich immer einen Sparringpartner, wenn ich eine Idee diskutieren möchte oder bei einem Thema nicht weiterkomme.» Aktuell sei er vor allem froh um Tipps in Sachen Marketing.
Das Förderprogramm Smart-up
Inspiration, Unterstützung und Vernetzung für alle mit Bezug zur Hochschule Luzern: Das Förderprogramm Smart-up motiviert und befähigt Studierende, Alumni und Mitarbeitende, ihre Geschäftsideen umzusetzen, und begleitet sie auf dem Weg in die Selbständigkeit: hslu.ch/smart-up
Neben seiner Tätigkeit als Unternehmer arbeitet Joel Hügli weiterhin an der HSLU in der Forschungsgruppe Produkt & Textil. «Es ist manchmal herausfordernd, beide Rollen unter einen Hut zu bringen», gesteht er. Doch die Synergien zwischen Forschung und Unternehmertum sind für ihn unverzichtbar – auch wenn die beiden Bereiche inhaltlich unabhängig voneinander sind.
Produktkreislauf von A bis Z durchgespielt
Jede «Ecomade-Matratze» ist auf der Hülle mit einem Label samt QR-Code versehen, einem digitalen Produktepass. Unter dem Link können die gesamte Lieferkette nachvollzogen, die eingesetzten Materialien nachgeschlagen sowie Schlaftipps nachgelesen werden. Zudem lässt sich via QR-Code der Recyclingservice aktivieren. Das Unternehmen organisiert dann den Rücktransport und trennt die Matratze in ihre unterschiedlichen Bestandteile auf. So kann das Material wieder für neue Matratzen verwendet, oder wie im Falle des Metalls, für andere Zwecke genutzt werden. Sie hätten den Prozess mehrfach durchgespielt, so Hügli. «Wenn in einem Jahrzehnt die ersten Matratzen von ‹Ecomade› ihre Lebenszeit hinter sich haben, sollte also alles funktionieren.»
Produktpalette erweitern
Im Frühling 2025 steht der Umzug in ein unbefristetes Ladenlokal an, ganz in der Nähe des jetzigen Pop-up-Stores. «Wir verkaufen jede Woche Matratzen», betont Hügli nicht ohne Stolz. Er hat mittlerweile personelle Unterstützung und muss nicht mehr alles allein stemmen. «Wir rechnen damit, dass wir 2025 erstmals eine schwarze Null schreiben können.» Er und sein Team arbeiten derzeit daran, Ecomade weiter auszubauen, neue Produkte zu entwickeln. Neben Matratzen sollen in Zukunft auch Lattenroste und Betten entwickelt werden, die ebenfalls auf den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft basieren. «Unser Ansatz ist es, das gesamte Schlafsystem nachhaltiger zu gestalten», sagt Hügli.
Und wie schläft der Jungunternehmer eigentlich selbst? «Es gibt Fotos von mir als Kind, auf denen ich unter dem Teppich schlafe», sagt er lachend. «Das war irgendwie mein Ding.». Heute schläft er selbstverständlich nicht mehr auf dem Boden, sondern auf seiner selbstentwickelten Matratze. «Ein Start-up zu gründen und zu führen, raubt einem doch ab und an den Schlaf, der Kopf rattert ununterbrochen. Immerhin liege ich dafür bequem und nachhaltig.»