Im Sommer ist das Leben leicht. Die Sonne und die Wärme locken die Menschen nach draussen, man geniesst das «Dolce far niente» in Strassencafés und auf lauschigen Plätzen. Die Leichtigkeit des Seins ist allerdings sehr schnell vorüber, wenn sich die Hitze in den Strassen staut und weit und breit kein Schatten spendendes Grün für Abkühlung sorgt. Kurz: Wenn die Asphaltwüste glüht.
In unseren Breitengraden kommt es immer häufiger zu Hitzetagen. Sie machen Kühlungssysteme erforderlich, die jedoch oft selbst Energie benötigen, die möglichst klimaneutral produziert werden sollte. Lösungen, die in beide Richtungen wirken – also das Mikroklima günstig beeinflussen und gleichzeitig CO2-neutral Energie produzieren – kennt Gianrico Settembrini, Architekt und HSLU-Forscher für nachhaltiges Bauen: «Die Städte sind voll mit ungenutzten Flächen. Sie befinden sich aber sehr häufig in der Vertikalen.» Er spricht von den Fassaden. Während auf Dächern die Vorteile von Fotovoltaik-Systemen (PV) und Begrünungen schon vermehrt genutzt werden, finden sie an Fassaden bisher weitestgehend keine Anwendung.
Gemeinsam mit seinem Team hat Settembrini deshalb untersucht, wie es um Wissen und Akzeptanz von PV-Anlagen und Begrünung an Fassaden unter Bauherren und Planerinnen steht. Denn das Potenzial an Fassaden wäre hoch, gerade an einer Südwand. Dort produziert eine PV-Anlage zwar insgesamt einen Fünftel weniger Strom als auf einer Dachanlage. Im Winter jedoch erzeugt sie 43 Prozent mehr Strom als jene auf dem Dach. Dieser Strom kann im Winter für das Heizen genutzt oder weiterverkauft werden. Längerfristig rentiert so der Bau einer PV-Anlage an der Hausfassade. Denn auch beim Unterhalt gebe es Vorteile: «Anders als bei einer Anlage auf dem Dach ist Schnee deutlich weniger problematisch; und auch die Reinigung der Panels ist an der Fassade einfacher.»
Gestaltungsmöglichkeiten: Panels in allen Farben
Diese Forschungsresultate sind vielversprechend. Warum also sind PV-Anlagen an Gebäudefassaden heute noch immer die Ausnahme? Der Projektleiter verweist auf die geringen Erfahrungswerte, die es damit bisher gäbe. «Hinzukommen feuerpolizeiliche Hindernisse. Es braucht diesbezüglich klare, schweizweit gültige Richtlinien für PV-Fassaden», so der Experte. Aber nicht nur fehlende rechtliche Rahmenbedingungen hinderten potenzielle Investoren daran, Fassaden vermehrt mit PV-Anlagen zu planen. Es sind laut Settembrini auch optische und gestalterische Aspekte, an die man sich noch gewöhnen müsse.
PV-Panels sind meist dunkel und haben damit auch eine optische Wirkung an einer Hausfassade. Mittlerweile gibt es jedoch immer mehr Möglichkeiten, Fassaden mit farbigen Platten zu versehen. So entwickelte etwa eine Forschungsgruppe am Departement Design Film Kunst der HSLU eine Methode, die Panels mittels eines lichtdurchlässigen digitalen Keramikdrucks auf dem Deckglas mit Farbe zu versehen. Wenn diese Möglichkeiten in der Architekturszene ankommen, werden sie auch angewendet, ist Settembrini überzeugt. Je mehr reale Beispiele es gebe, desto grösser werde die Nachfrage sein.
Begrünung: bessere Luft, weniger Lärm, mehr Biodiversität
Während Solarpanels als Fassadengestaltung noch gewöhnungsbedürftig sind, werden Grünpflanzen an Hauswänden oft als optische Aufwertung wahrgenommen. «Fassadenbegrünungen sind ein wertvoller Beitrag vor allem zugunsten der Allgemeinheit», erläutert der Architekt.
Die Begrünung fördert die Biodiversität und verbessert die Luftqualität. Denn Pflanzen produzieren Sauerstoff und binden Staub und Kohlenmonoxid. Ausserdem mindern sie die Schallausbreitung im Strassenraum und tragen zur Regenwasserrückhaltung bei. So steige die Aufenthaltsqualität und Attraktivität von Aussenräumen, «besonders in städtischen Gebieten, wo der Raum zu knapp ist, um etwa Bäume zu pflanzen oder Rasenflächen zu planen.»
Die Forschungen hätten zwar ergeben, dass solche klassischen Grünflächen zum Abkühlen eines Raumes und zur Umgebungsabkühlung die effektiveren Varianten seien. Aber gerade in der Stadt mit wenigen verfügbaren Quadratmetern lohne sich eine Fassadenbegrünung allemal.
«Famoose» Begrünung
Bei begrünten Fassaden denken wir an spektakuläre Gebäude mit wucherndem Grün und hängenden Gärten. Ein interidisziplinäres Forschungsteam der HSLU richtet sein Augenmerk hingegen auf ein unscheinbares Gewächs, das viel fürs Klima leisten kann: Moose.
Mehr zum Projekt GreenBrick gibts in diesem Beitrag.
Kein «Entweder–oder», sondern «Sowohl-als-auch»
Klar ist: Die Attraktivität der Umgebung und das Wohlbefinden im Aussenraum steigen durch begrünte Fassaden. Das sei besonders «in einem grösseren Kontext bei der Stadtentwicklung» zu berücksichtigen, so Settembrini. Für private Hausbesitzer rentiere sich eine Fassadenbegrünung allerdings eher weniger, da der Unterhalt der Pflanzen aufwändig ist. Solange solche Kosten nicht zumindest teilweise durch die Allgemeinheit getragen würden, sieht er deshalb besonders öffentliche Bauherren als Investoren für derartige Projekte. Zur Sensibilisierung haben Settembrini und sein Team die Erkenntnisse in einer Broschüre für die Praxis festgehalten.
Und was ist nun besser? Pflanzen oder PV-Panels? Settembrini präzisiert: «Das muss keine Entweder-oder-Entscheidung sein.» Im Gegenteil: Die beiden Nutzungsvarianten liessen sich sogar hervorragend kombinieren. «Die PV-Anlage erzielt in den oberen Etagen, wo die Sonneneinstrahlung stärker ist, ihre grösste Wirkung. Die Begrünung hingegen wirkt am besten in den unteren Stockwerken. Je näher sie an den Menschen ist, die sich rund ums Gebäude herum aufhalten, umso mehr profitieren diese Menschen auch von ihrer Wirkung.»
So ergibt die Kombination auch in der Gesamtbilanz Sinn: Im Vergleich zu einer Fassade mit hinterlüfteten Eternitplatten stosse ein Gebäude mit einer begrünten Fassade, die zudem mit Solarpanels versehen ist, über die Lebensdauer 25 Prozent weniger Treibhausgase aus. Für Settembrini ist deshalb klar: «Um an den immer öfter auftretenden Hitzetagen künftig einen kühlen Kopf zu bewahren, müssen wir die ungenutzten vertikalen Quadratmeter unbedingt optimal gestalten.»