Seit 50 Jahren zeichnet der Schweizer Heimatschutz jährlich eine Gemeinde für herausragende Baukultur mit dem Wakkerpreis aus. Diese 50 bisher ausgezeichneten Gemeinden bilden die Grundlage für eine interdisziplinäre Studie der Hochschule Luzern und des Schweizer Heimatschutzes zum Thema Baukultur. Projektleiterin Alexa Bodammer sieht diese Ausgangslage als ideale Laborsituation: «Wir wollten herausfinden, was die Bedingungen für gute Baukultur in den Gemeinden sind, heute wie damals – ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit, aber durchaus als Orientierung für andere Gemeinden, die Ähnliches erreichen wollen.» Nach einem ausführlichen Dokumentenstudium im Bundesarchiv versandte das Forschungsteam einen Fragebogen an die ausgezeichneten Gemeinden. Antworten kamen aus 39 der 50 Ortschaften, insgesamt von 59 Personen aus Verwaltung und Politik und von Expertinnen und Experten, die mitgewirkt hatten. Mit der Umfrage und anhand der Archiv-Dokumente untersuchten die Forscherinnen und Forscher, was die Gemeinden antrieb und welche Qualitätsvorstellungen von Baukultur eine Rolle spielten. Vertreterinnen und Vertreter einzelner Gemeinden luden sie anschliessend zum Erfahrungsaustausch ein.
Beim gemeinsamen Erfahrungsaustausch waren sich die Gemeinden einig: Gesetze vermögen Qualität zwar durchaus zu unterstützen, aber sie bringen sie nicht hervor. Vor allem betonen sie, dass Flexibilität für das Gelingen von baukulturellen Projekten nötig sei. Und viel Kommunikation: «Einem Plan muss man Leben einhauchen», sagt Alexa Bodammer. «Die wichtigste Voraussetzung dafür ist es, zu wissen, was die Bevölkerung braucht.» Hierzu müssten gezielt Interessengruppen, Vereine, die sich historisch oder kulturell mit dem Lebensraum beschäftigen, oder Gemeindeinitiativen einbezogen werden. Alexa Bodammer ist überzeugt: «Baukultur darf nicht der Bauindustrie überlassen werden. Wir müssen gemeinsam den Raum gestalten.»
Die Wakkerpreis-Gemeinden haben dafür verschiedene Lösungen gefunden: Cham (Wakkerpreis Jahr 1991) gelang der Schutz der Seeuferpromenade, indem die Gemeinde die Freiräume in die Nutzungsplanung integrierte. In La-Chaux-de-Fonds (Wakkerpreis 1994) braucht es bis heute viele Einzelgespräche mit den Eigentümerinnen und Eigentümern der Innenstadt-Häuser. Ein Kriterienkatalog für Anpassungen und Umbau allein half nicht weiter. Deshalb wurde jedes Haus einzeln angeschaut und seine Bedeutung für das Ganze immer wieder eruiert wird. In Sion (Wakkerpreis 2013) schliesslich stiess ein Projekt, das einen Strassenzug mit Hilfe von Begrünung und Möblierung für Mensch und Verkehr verträglicher gestalteten wollte, zunächst auf Skepsis. Mittlerweile wird die Stadt von verschiedenen Quartieren angefragt, ob es nicht möglich sei, Strassen dort vergleichbar aufzuwerten.
Die Hochschule Luzern erarbeitet in verschiedenen Projekten Prozesse, wie die Entwicklung von Gemeinden oder auch Landschaften gemeinsam vorangetrieben werden kann. Die Forschenden der Hochschule Luzern haben aus der intensiven Recherche konkrete Empfehlungen abzuleiten. Vier übergeordnete Prinzipien kann Alexa Bodammer zusammenfassen: Erstens brauche es den Willen und das Engagement von Seiten der Politik. «Ohne die Politik geht es nicht. Sie muss in den Gemeinden die Baukultur unterstützen, damit etwas Gutes entstehen kann.»
Zweitens müsse die Expertise von Fachpersonen – meist Architektinnen und Architekten – eingebunden werden. Ihnen komme besonders dann eine wichtige Rolle zu, wenn der Fokus auf dem einzelnen Bauwerk oder auf dem Städtebau liegt. Es gehe aber vor allem um das interdisziplinäre Zusammenspiel verschiedener beteiligter Fachpersonen. Drittens sei die Kommunikation mit der Bevölkerung zwingend, da diese vielfach das letzte Wort an der Urne habe. Hier also früh, noch vor dem Bau über Ziele und Bedürfnisse einen Austausch zu führen, sei deshalb wichtig. Und viertens müssten die Prozesse kohärent sein, die einzelnen Schritte also aufeinander aufbauend und für alle Beteiligten nachvollziehbar.
Und wie verhält es sich nun mit den schönen Dorfkernen? Für Alexa Bodammer ist die Schönheit, die aus guter Baukultur entsteht, durchaus ein Thema, das man nicht nur den Profis überlassen sollte. Umso wichtiger findet sie die Vermittlungsarbeit: «In der breiten Bevölkerung fehlt oft die Sprache, um über Ästhetik zu sprechen, auch über Atmosphäre und Akustik, die ja ebenfalls mit Baukultur zu tun haben. Durch Vermittlung an Schulen oder auch durch Ausstellungen kann hier viel erreicht werden.»