Etwa 12 Millionen Menschen sind wegen des Bürgerkrieges in Syrien auf der Flucht. Rund eine Million der Flüchtlinge lebt in Jordanien, viele von ihnen seit Jahren in Zelten, bei Temperaturen von -10 bis +40 Grad. Was kann ein einzelner Schweizer Bauingenieur da schon tun? Viel, wie Raphael Markstaller, der Günder von Boxs AG, gezeigt hat. Am Anfang stand die Idee, mit Hilfe von modularen Bausystemen Unterkünfte zu erstellen, die ohne Werkzeug und ohne Strom montiert werden können und die einen besseren Komfort bieten als Zelte.
Um eine lokale Produktion zu ermöglichen, brauchte es einen Baustoff, der überall verfügbar ist. Das Projekt nahm Fahrt auf, als die zündende Idee dafür kam: rezyklierter Abfallplastik. Davon gibt es nicht nur in Jordanien mehr als genug – die Häuser können also überall hergestellt werden, wo es sie braucht. Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) überzeugte das; es sagte seine Unterstützung zu.
Pro Haus 1 Tonne Plastikmüll
Das Hightechzentrum Aarau war von der Idee ebenfalls begeistert, unterstützte sie und gewann das Kompetenzzentrum Gebäudehülle der Hochschule Luzern als Forschungspartner. Was als Machbarkeitsstudie begann, wurde zu einem zweijährigen Projekt. Gemeinsam gelang es schliesslich eine Konstruktion aus Stahl oder – je nach Verfügbarkeit – Holz und Platten aus Mischplastik zu entwickeln.
Ringo Perez Gamote, Projektleiter seitens der Hochschule Luzern, erklärt: «Mischplastik heisst in diesem Fall: Der Kern besteht aus Mischkunststoff, der sonst auf einer Deponie landen würde. Nur für die Deckschicht verwenden wir sortenreines Recycling-Material.» Dafür entwickelte das Forschungsteam bestehende Platten einer englischen Firma weiter.
Das Ergebnis ist relativ leicht, wintertüchtig, wasserdicht, mit Solarpanelen und einem Wasserspeicher versehen und kann vollständig ohne Werkzeuge aufgebaut werden. Etwa eine Tonne Plastikmüll steckt in einem Haus von 20 Quadratmetern, vier bis fünf geschulte Personen können es innerhalb von einem Tag aufbauen.
Nützlichkeit aufzeigen, um für Recycling zu sensibilisieren
Bereits stehen in Jordanien zwei Häuser, eines davon in einem öffentlichen Park. Es soll die Anwohnerinnen und Anwohner für das Plastikproblem sensibilisieren, indem es sichtbar macht, dass daraus Nützliches entstehen kann und sich Recycling somit lohnt. In den Flüchtlingscamps braucht es nicht nur neue Unterkünfte; bestehende Infrastruktur muss auch unterhalten werden. Die Bodenbeläge waren bisher aus Holz, das in Jordanien teuer importiert und spätestens nach zwei Jahren wieder ersetzt werden muss. Die Recyclingplatten haben eine zirka drei Mal längere Lebenszeit und sind somit nachhaltiger.
Damit die Platten hergestellt werden können, brauch es nicht nur Plastik, sondern auch die nötige Infrastruktur. Die bestehenden Maschinen waren jedoch zu gross für den Transport. Boxs AG befindet sich nun im Schlussspurt der Entwicklung für eine transportable Maschine, die klein genug ist, um in einem Container Platz zu finden. So kann sie überall hin verschifft werden, wo Unterkünfte gerade benötigt werden.