Dirigieren: Zwischen Taktgefühl und Emotionen

Wie funktioniert die Kommunikation im Orchester? Der Dirigent Clemens Heil gewährt einen Blick hinter die Kulissen: Dort, wo Klarheit und Präzision auf Ausdruck und Emotion trifft.

Herbert von Karajan am Dirigierpult

Was fuchtelt der da rum? Das hat sich wohl schon mancher im Publikum bei einem klassischen Konzert gefragt, wenn der Dirigent expressive, aber unverständliche Figuren in die Luft malte. Und braucht es ihn überhaupt? Bis Ende des 18. Jahrhunderts war man der Meinung: nein. Ein Orchestermusiker, oft der erste Geiger, leitete das Ensemble. Erst als die Orchester grösser und die Musik komplexer wurde, entstand das eigene Berufsfeld des Dirigierens. Es gibt zwar weltweit immer wieder Orchester, die ohne Dirigentin oder Dirigenten auftreten, doch es bleiben Ausnahmen. Clemens Heil, Musikdirektor am Luzerner Theater und selber Dirigent, erklärt: «Man muss für die Proben einen deutlich grösseren Zeitaufwand einplanen, wenn man ohne Dirigentin oder Dirigenten spielt. Das ist im Alltagsbetrieb nicht praktikabel.» Ausserdem ist Heil klar der Meinung, dass es eine Person braucht, welche die Richtung angibt. Insbesondere in der Oper sei ein Dirigent oder eine Dirigentin von zentraler Bedeutung, um das Orchester mit dem Geschehen auf der Bühne zu koordinieren. 

Das Gefühl aufs Orchester übertragen

Beim Dirigieren gibt es einen technischen und einen emotional-energetischen Aspekt. Der zweite Aspekt fasziniert das Publikum weit mehr, ist aber schwer in Worte zu fassen. Heil versucht es so: «Der Dirigent hat eine Vision der Musik, die er physisch auf das Orchester projiziert.» Auf welche Weise er Emotionen ausdrücke, die von den Musizierenden intuitiv verstanden werden, dafür müsse jeder seine eigene Körpersprache finden. Wie unterschiedlich das geschieht, sieht man bei den ganz Grossen ihres Fachs, wie etwa Richard Strauss, der eine eher nüchterne Art des Dirigierens pflegte, oder Herbert von Karajan, der oft mit geschlossenen Augen vor dem Orchester stand. «Im Idealfall», sagt Heil, «schafft es der Dirigent oder die Dirigentin, dass die einzelnen Musikerinnen und Musiker über sich hinauswachsen und gemeinsam auf einer emotionalen Welle surfen.»

Fehler sind sofort hörbar

Eindeutiger ist der technische Aspekt der Dirigierkunst. Die sogenannten Schlagbilder als Zeichensprache haben international Gültigkeit. Sie sehen für jeden Moment im Takt eine spezielle Position vor. Hier ist Klarheit und Präzision gefragt. «Ich höre jeden Fehler, den ich mache», sagt Heil. Sei es, dass er einen falschen Impuls gibt oder im entscheidenden Moment nicht zwingend genug führt.

Diese technischen Grundlagen wird Clemens Heil ab September als Lehrbeauftragter an der Hochschule Luzern unterrichten. Mit den Studierenden hatte er bereits zu tun, als er letzten Herbst ein Konzert der Jungen Philharmonie Zentralschweiz leitete. Dabei hat ihn die unvoreingenommene Entdeckerfreude der jungen Menschen begeistert. Den angehenden Dirigentinnen und Dirigenten möchte er nebst dem Handwerk zwei weitere Aspekte vermitteln: die Bereitschaft, ein Leben lang weiter zu lernen, und die Freude an der Kommunikation mit dem Publikum und den Musizierenden. Letztere hat sich in den letzten Jahrzehnten von einem autoritären hin zu einem kooperativen Führungsstil verändert. Heil: «In der heutigen Zeit ist ein Dirigent oder eine Dirigentin nur so erfolgreich, wie er oder sie in der Lage ist, jeden einzelnen Musiker und jede einzelne Musikerin bei der intrinsischen Motivation zu packen.»

Der israelische Dirigent Itay Talgam stellt in seinem Vortrag sechs grosse Dirigenten des 20. Jahrhunderts und deren Stil vor.

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