Auf dem Prüfstand: 5 Mythen rund ums Wohnen

Das Thema Wohnen bewegt die Schweiz. Aktuell sorgt der Abstimmungskampf zur Abschaffung des Eigenmietwerts für hitzige Diskussionen. Viele Städte und auch Tourismusregionen verzeichnen derweil steigende Mietwohnungspreise. Ist Wohnen unbezahlbar geworden? HSLU-Dozent und Immobilienexperte Leonard Fister nimmt zu den fünf geläufigsten Mythen rund ums Thema Wohnen Stellung.

Quartier von oben

Keine Woche vergeht, in der das Thema Wohnen nicht in den Medien diskutiert wird. Auch verschiedene politische Vorlagen auf nationaler wie auch kantonaler oder kommunaler Ebene befassen sich mit Wohnen. Besonders in Ballungszentren wie Zürich oder Genf, aber auch Luzern und anderen Tourismusregionen sorgen steigende Mieten und knapper Wohnraum für Unsicherheit. Entsprechend vielseitig sind die Meinungen zum Thema. Doch was davon stimmt tatsächlich und was kann mit Zahlen untermauert werden?
Forschung in diesem Bereich ist daher besonders wichtig, damit Politik und Behörden faktenbasierte Entscheidungen und somit geeignete Massnahmen treffen können. Deshalb forscht Immobilienexperte und HSLU-Dozent Leonard Fister dazu. Er kennt die Fakten und prüft für uns fünf der geläufigsten Mythen rund ums Wohnen.

Dr. Leonard Fister vom Institut für Finanzdienstleistungen Zug hat mit seinem Team ein öffentliches Analysetool für Mietwohnungsmärkte entwickelt.

Mythos 1: Ältere Menschen leben allein in Einfamilienhäusern

«Ältere Menschen sehen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie Wohnraum ‹blockieren›, den Familien benötigen würden. Zwar verfügen Personen ab 76 Jahren mit durchschnittlich 65 m² pro Person über deutlich mehr Wohnfläche als der Schweizer Durchschnitt (47 m²). Über drei Viertel von ihnen leben aber in einer Wohnung, nicht in einem Einfamilienhaus. Der Anteil älterer Menschen in Einfamilienhäusern entspricht in etwa dem landesweiten Durchschnitt von 22 Prozent. Umgerechnet machen sie damit nur 1,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung aus. Dieser Anteil ist zu gering, um in ausreichendem Masse einen Ansatz zur Bewältigung der aktuellen Wohnraumproblematik bieten zu können. Die eigentliche Herausforderung liegt woanders: 77 Prozent der älteren Menschen lebt – egal ob in Ein- oder Mehrfamilienhäusern – allein oder mit Gleichaltrigen, weitere zwölf Prozent mit Personen zwischen 66 und 75 Jahren. Diese Wohnkonstellation birgt soziale Risiken wie Isolation und mangelnde Alltagsunterstützung; dies gilt besonders für alleinstehende ältere Frauen.»

Mythos 2: Ältere Menschen wollen nicht umziehen

«Die geringe Mobilität älterer Menschen auf dem Wohnungsmarkt ist Realität: 2022 zogen nur etwa 5 Prozent der über 76-Jährigen um (rund 39’000 Personen), die Hälfte davon in Alters- oder Pflegeheime. Die Gründe für die geringe Wohnmobilität sind zahlreich: Viele ältere Menschen bleiben in ihrem bisherigen Zuhause, selbst wenn es ihren Bedürfnissen nicht mehr entspricht. Zwei Drittel der über 76-jährigen leben in Gebäuden, die vor 1980 gebaut wurden – oft ohne heutige Barrierefreiheitsstandards. Fehlende Lifte, Türschwellen und enge Räume erschweren die Selbstständigkeit im Alter. Gleichzeitig profitieren viele von lang bestehenden und damit günstigen Mietverträgen, die oft weit unter den aktuellen Marktmieten liegen. Ein Umzug würde für viele daher eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung bedeuten. Ältere Menschen sind bei der Wohnungssuche auch strukturell benachteiligt, da ihnen heutige digitale und schnelle Vermietungsprozesse Mühe bereiten.»

Mythos 3: Die Mieten sind nicht mehr bezahlbar

«Hier muss man zwischen Bestands- und Angebotsmieten unterscheiden. Bestandsmieten meinen Mieten aus bereits bestehenden Mietverhältnissen, Angebotsmieten diejenigen von neu ausgeschriebenen Wohnungen. Für einen Grossteil der Mieterschaft erfüllen die Bestandsmieten noch immer die ‹Drittelsregel›: Die Miete macht nicht mehr als ein Drittel des Bruttoeinkommens aus und ist somit erschwinglich. Prekär ist die Situation jedoch für Haushalte mit niedrigem Einkommen. Etwa 17 Prozent der Bevölkerung hat eine zu hohe Mietzinsbelastung. Problematisch sind zudem die Angebotsmieten: Sie steigen weitaus stärker als die Bestandsmieten. In Hotspots wie Genf kostet eine 90 m²-Wohnung monatlich 634 Franken mehr, als langjährige Mieter für eine vergleichbare Wohnung bezahlen. Die Entwicklung beobachtet man auch in der Zentralschweiz. Die Stadt Luzern weist bereits eine deutliche Differenz zwischen Bestands- und Angebotsmieten auf, im Luzerner Umland ist die Schere weniger weit geöffnet. Die Folge: Jeder dritte Haushalt kann sich einen Umzug nicht leisten. Der sogenannte ‹Lock-in-Effekt› betrifft besonders ältere Menschen, deren finanzielle Situation sich durch Renteneintritt oder Partnerverlust verschlechtert.»

Mythos 4: In den Städten muss mehr gebaut werden

«Fakt ist: Schweizweit herrscht in den urbanen Zentren ein angespannter Wohnungsmarkt. In Zürich beispielsweise ist die Leerwohnungsziffer von bereits niedrigen 0,14 Prozent im Jahr 2019 auf kritische 0,07 Prozent in Jahr 2024 gesunken – bei einem Schweizer Durchschnitt von gegenwärtig 1,08 Prozent; dieser ist seit vier Jahren ebenfalls rückläufig. Ähnliche Tendenzen sind in anderen Städten zu beobachten. Fakt ist aber auch, dass der Platz in den Städten begrenzt ist. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten, um mehr Wohnraum zu schaffen: verdichten oder in die Höhe bauen. Solche Bauprojekte sind regulatorisch jedoch schwer umzusetzen. Die Lösung liegt daher nicht allein in innerstädtischen Bauaktivitäten. Vielmehr muss die Agglomeration einbezogen werden – mit entsprechender Infrastruktur für Mobilität, Freizeit, Versorgung und Bildung. Gemäss Bevölkerungsstatistik des Kantons Zürich sieht man, dass die Menschen bereits auf die Agglomeration ausweichen. Die Wachstumsraten liegen dort teils dreimal höher als in der Stadt.»

Mythos 5: Hohe Mieten bedeuten hohe Renditen

«Schweizweit sorgen steigende Mieten für Diskussionen. Doch daraus direkt auf hohe Renditen für Immobilienbesitzer zu schliessen, greift zu kurz. Bei Neubauten schmälern steigende Baulandpreise sowie Baukosten die Gewinne: Allein der Quadratmeterpreis für unbebautes Wohnland hat sich beispielsweise in Zürich seit 2007 vervierfacht und macht inzwischen häufig mehr als die Hälfte der gesamten Kosten aus. Egal ob Neu- oder Altbau, massgeblich für die Höhe der Miete und damit die Rendite ist, zu welchem Preis das Land bewertet wird: zum effektiv bezahlten Bodenpreis oder zur aktuellen Bodenbewertung. Je nach Immobilienbesitzer wird die Miete den steigenden Landwerten angepasst oder eben auch nicht, wie dies häufig bei gemeinnützigen Wohnbauträgern der Fall ist.»

Studie «Wohnen im Alter»
Bis 2035 wird die Zahl der über 80-Jährigen auf mehr als 800’000 ansteigen, während gleichzeitig die Gesamtbevölkerung wächst. Diese Entwicklung stellt den Wohnungsmarkt vor die Aufgabe, altersgerechten Wohnraum bereitzustellen und gleichzeitig den Bedarf aller Generationen zu decken. Die Studie der Hochschule Luzern im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen BWO untersuchte gezielt die Wohnsituation und Wohnmobilität von Menschen ab 76 Jahren. Die Ergebnisse zeigen: Viele ältere Menschen in der Schweiz wohnen Dank lang bestehender Mietverträge günstig, zentral und geräumig. Problematisch sind jedoch oftmals ältere, nicht barrierefreie Gebäude und die soziale Isolation Alleinstehender.

Nachfragemonitor Mietwohnungen
Der Nachfragemonitor Mietwohnungen ist ein öffentliches Werkzeug zur Analyse von Mietwohnungsmärkten und deren Nachfragestrukturen. Er basiert auf öffentlichen Daten in Kombination mit Informationen aus Vermietungsprozessen und Vermietungsinseraten. Durch die Verknüpfung mehrerer Datenquellen unterstützt der Nachfragemonitor einen differenzierten Diskurs zu ansonsten oft eindimensional geführten Diskussionen über Verfügbarkeit und Verteilung von Wohnraum und dessen Kosten für Haushalte.

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