Im März 1981 besetzten Jugendliche das ehemalige Hotel-Restaurant «Einhorn» in der Luzerner Innenstadt, das damals leer stand. Mit der Aktion protestierten die jungen Männer und Frauen für mehr bezahlbare Wohnungen und markierten damit die Geburtsstunde der Luzerner Hausbesetzerszene.
Ohne die «Einhorn»-Besetzung gäbe es vermutlich Stéphanie Kisers Abschlussarbeit an der Hochschule Luzern nicht: Kiser studiert im Bachelor Data Design & Art. In ihrer Arbeit «Hier wohnen wir!» stellt sie die Geschichte der Luzerner Hausbesetzungen seit 1981 in einer dreidimensionalen, begehbaren Daten-Installation dar.
Die gebürtige Aargauerin möchte dem Publikum auf eingängige Weise vermitteln, in welchen Zeiträumen und an welchen Orten es besonders oft zu Hausbesetzungen kam. «Meine Installation soll die Menschen dazu einladen, sich über die eigene Wohnsituation Gedanken zu machen», sagt sie.
Kiser gehört zum ersten Abschlussjahrgang des 2020 lancierten Bachelor Data Design & Art. Die 22-Jährige wird ab September ein einjähriges Volontariat für Informationsdesign & Visual Storytelling bei der NZZ antreten.
Zukunftsweisend und gesellschaftlich relevant
Auch Studierende des Bachelor Spatial Design (gestartet 2020) schliessen dieses Jahr erstmals ab. Beide Studienrichtungen – Data Design & Art und Spatial Design – setzen sich mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander und stellen die Weichen für die Zukunft.
Jacqueline Holzer, Direktorin des Departements Design & Kunst der Hochschule Luzern, sagt: «Es freut mich, dass unsere Studierenden ihr Können einer breiten Öffentlichkeit zeigen dürfen. Ihre Fähigkeiten sind in Wirtschaft und Gesellschaft hoch gefragt.»
Was sind Data Design & Art und Spatial Design?
Data Design & Art: Daten sind die Ressource des 21. Jahrhunderts. Im europaweit einzigartigen Bachelor Data Design & Art lernen Studierende, grossen Datenmengen und komplexe Zusammenhänge der breiten Bevölkerung visualisiert zu vermitteln. Die Umsetzung erfolgt beispielsweise in Form von Grafiken, Skulpturen, Virtual-Reality-Installationen oder Klangwelten. hslu.ch/data-design-art
Spatial Design: Studierende des Bachelor Spatial Design kreieren hochwertige Innen- und Aussenräume; sei dies für Museen, Themenparks, Hotels oder für Theater und Fernsehen. Zum Einsatz kommen sowohl analoge wie digitale Mittel. Im Zentrum des Lehrplans stehen Fragen wie «Was sind gute Räume?» und «Wie können wir Räume aufgrund von Handlungen, die darin stattfinden, besser gestalten?» hslu.ch/spatial-design
Die Abschlussarbeiten der Design-, Film- und Kunst-Studierenden sind vom 23. Juni bis zum 2. Juli an der Werkschau Design & Kunst zu sehen. Unsere kleine Kostprobe illustriert die Vielfalt der gezeigten Werke:
Bachelor Spatial Design: Neues Leben für ein altes Kurbad
Davina Andrea Deplazes untersucht das Tenigerbad im Val Sumvitg (GR) und entwickelt dafür neue Nutzungsmöglichkeiten.
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Vor bald einem halben Jahrtausend entstand im Val Sumvitg (Somvixertal) um eine Heilquelle herum die Siedlung Tenigerbad. 1976 ging das Bad Konkurs. Davina Andrea Deplazes aus Surrein (GR) untersucht in ihrer Bachelorarbeit im Studium Spatial Design die Geschichte des Bades und die Erzählungen, die sich darum ranken. Davon ausgehend versucht sie, Konzeptionen für eine Umnutzung des 1580 erstmals erwähnten Orts zu entwickeln.
Die 24-Jährige ist fasziniert vom Komplex Tenigerbad. Als Spatial Designerin interessiert sich Deplazes dafür, wie Gebäude und Räume platziert und genutzt werden. Für ihre Arbeit untersuchte sie zunächst die Geschichte des Bads und der Landschaft, in die es sich einfügt. Sie erkundete zudem die Innenräume des Komplexes und befragte 14 Einheimische nach ihren Erinnerungen. Daraus entwickelte sie ihre Vision einer Nutzung der 1896 erweiterten Bausubstanz, wobei sie sich auf das alte Badehaus fokussierte.
Das Bad liegt abseits der anderen Gebäude. Der Komplex besteht aus dem ehemaligen Kurhotel Waldhaus, dem Hauptgebäude des Hotels und einem Verbindungstrakt. Die Kurgäste mussten damals ein Stück laufen, um vom Hotel ins Bad zu kommen. Diesen Moment der Reise, des Sich-Bewegend-Erkundens stellt Deplazes ins Zentrum ihres Konzepts. Sie integriert die alte Trink- und Badekultur mit einem Warmraum und Bademöglichkeiten in ausgehöhlten Baumstämmen im Freien.
Das Tenigerbad denkt Deplazes nicht nur als Bad, sondern als grosse Stube, bestehend aus Wohnzimmer, Speisesaal, Küche und Terrasse, in denen gemeinschaftlich gelebt, gearbeitet, gekocht und diskutiert wird. Auch schlägt die Studentin vor, Residenzzimmer und eine Art Labor mit Werkstatt anzubieten sowie einen Trakt als Teil der Stiftung Ferien im Baudenkmal zu nutzen.
Deplazes gehört zum ersten Abschlussjahrgang des 2020 lancierten Bachelor Spatial Design. Sie arbeitete vor dem Studium als Künstlerin. Ihr Ziel ist es, nach dem Abschluss die beiden Disziplinen Kunst und Spatial Design zusammenzubringen.
Bachelor Camera Arts: Mensch, Tier und Verbrecher
In seiner Abschlussarbeit «Digital Domestication» untersucht Matthias Pfammatter das Verhältnis zwischen Mensch und Wildtier, und kontrastiert es mit Aussagen des Philosophen Michel Foucault.
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Der Mensch hat sich an die Spitze der Nahrungskette gekämpft. Er kann mit Gewalt darüber entscheiden, welche Tiere leben dürfen, und welche sterben müssen. Diese These nimmt Camera-Arts-Student Mattias Pfammatter als Grundlage, um das Verhältnis zwischen Menschen und Tier zu untersuchen. Im Fokus seiner Abschlussarbeit stehen dabei vor allem Wildtiere wie der Wolf.
Die Arbeit besteht aus einem Videoessay und einem Film. Der Videoessay trägt den Titel «Die Disziplinierung der Tiere». Pfammatter kombiniert visuelles Material mit Zitaten aus «Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses», einem Werk des französischen Philosophen Michel Foucault. «Beim Lesen fiel mir auf, dass eine starke Ähnlichkeit besteht zwischen der Bestrafung von Verbrechern und unserem Umgang mit Tieren», sagt der 28-Jährige. So zitiert er etwa den Walliser Nationalrat und Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy: «Der Wolf ist nur da, weil wir ihn tolerieren.»
Doch während Wölfe sterben müssen, wenn sie uns zu nahekommen, kann uns das Verhältnis zu Haustieren nicht nah genug sein, wie unzählige Filme auf Social-Media-Kanälen beweisen.
Pfammatter sagt auch, dass sich der Mensch Tieren bis auf nächste Distanz nähert, oft ohne, dass diese es merken. Denn das übliche Mittel der Beobachtung sind Kameras, die in Gehegen aufgestellt sind. «Unter der Oberfläche der Bilder werden in der Tiefe die Körper eingeschlossen», zitiert Pfammatter Foucault.
In einem zweiten Film schneidet Pfammatter Aufnahmen der Wölfin Tara, die er in einem Gehege im Winterthurer Tierpark aufgenommen hat, so zusammen, dass Betrachterinnen und Betrachter deren Leben beobachten und verfolgen können. Die Aufnahmen machte er mittels Fotofallen.
Nach seinem Studium möchte der Walliser aus Ried-Brig als selbstständiger Fotograf und Künstler arbeiten.
Master Film: Gibt es das gute Auto?
Fabian Biasio thematisiert in seinem Abschlussfilm «Automania» seinen inneren Zwiespalt zwischen Autohasser und Autofreund.
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Wenn Fabian Biasio auf dem Velo sitzt, hasst er Autos und Autofahrerende. Wenn er aber selbst hinter dem Lenkrad sitzt, wandelt er sich zum Autofreund. Denn insgeheim muss sich Biasio zugestehen: Er fährt gerne Auto.
Den inneren Zwiespalt hat der 48-Jährige zum Inhalt seines Dokumentarfilms «Automania – Von A nach B» gemacht, der gleichzeitig sein Abschlussfilm des Studiengangs Master Film ist. Darin erkundet er die Welt – innen und aussen, diesseits und jenseits der Windschutzscheibe – in Form einer Heldenreise. Letztlich versucht er die Frage zu beantworten, ob es das gibt: das gute Auto.
Sein Held, er selbst, reist durch die Welt der Fortbewegung; er spricht einer Verkehrspsychologin, mit Mobilitätsforschern und einer Lehrerin, die im Unterricht «Art Cars» baut, fahrende Kunstobjekte. Und er versucht, Tesla-Gründer Elon Musk vor die Kamera zu bekommen.
Fabian Biasio portätiert ebenfalls einen bekennenden Autofan, der seinen BMW M4 auf über 500 PS tunte, ihn aber schliesslich auf 430 PS drosselte. Auch wenn dieser das «Auto-Posen» und laute Aufheulen des Motors in Städten heute peinlich findet; gegen Raserfahrten im Schwarzwald hat er allerdings nichts. dass der Krach Anwohnerinnen und Erholungssucher massiv belästigt, scheint ihn nicht zu stören.
Fabian Biasio will «Automania» 2024 in die Kinos bringen. Er möchte weiterhin als Filmemacher, freischaffender Fotograf, Multimediareporter und Kameramann arbeiten. Sein Studium begann der Luzerner während der Pandemie, als die Aufträge immer weniger wurden.
Die Ausbildung hat ihm Sicherheit gegeben. Entscheidungen, die er früher aus dem Bauch heraus traf, kann er heute professionell erklären. «Ich arbeite jetzt schneller, sicherer und ich habe sehr, sehr viele neue Kontakte.»