Thomas Küchler ist auf dem Sprung. Fürs Treffen an einem verhangenen Novembervormittag in Schwyz kommt er gerade aus dem dortigen Gemeindehaus. Er entschuldigt sich für die Verspätung. Sie seien noch mitten in einer regen Diskussion gewesen. Im Frühling wurde Thomas Küchler in die Schwyzer Exekutive, den Gemeinderat, gewählt. Aber auch sonst ist der 63-Jährige auf dem Sprung: Ende Februar 2025 gibt er nach 15 Jahren die Leitung der Schweizerischen Südostbahn AG (SOB) ab und geht vorzeitig in den Ruhestand. Oder in seinem Fall: den Unruhestand.
Einen Beitrag für die Gesellschaft leisten
Er könne zwar Musse haben, sagt Küchler. «Auf Dauer möchte ich meine grauen Zellen aber in Bewegung halten.» Auch seine Familie wisse, dass er nicht jemand sei, der still auf dem Stuhl sitze und die Zeit abwarte. Sein Antrieb ist indes nicht blosses Eigeninteresse und persönliches Wachstum. «Mein Vater hat mir früh mitgegeben, dass wir auf dieser Welt sind, um zu dienen und einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.»
Thomas Küchler wuchs in einem Lehrerhaushalt in Steinen, im sogenannten Talkessel von Schwyz auf. Der Grossvater besass eine Bauunternehmung. «Bauen und Baustellen faszinierten mich von Kindsbeinen an», erzählt er. In gewisser Weise sei ihm dies in die Wiege gelegt worden. Thomas Küchler absolvierte in Schwyz denn auch eine Lehre als Tiefbauzeichner.
Harte Studienzeit als Pendler
Am damaligen Zentralschweizerischen Technikum Luzern, dem heutigen Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern, studierte Küchler später Bauingenieur. Das war Mitte der 1980er Jahre. Das Bahnangebot zwischen Steinen und Luzern war noch nicht im gleichen Umfang ausgebaut wie heute. «Wir bildeten deshalb eine Gemeinschaft von vier Leuten und pendelten mit dem Auto hin und her.» Dadurch hätte er aber «das typische» Studentenleben» nicht voll auskosten können, sagt Küchler rückblickend mit leisem Bedauern.
Ihm bleibt seine Studienzeit vor allem als sehr intensive Erfahrung in Erinnerung: «Für mich bedeutete es ‹bügle, bügle, bügle›.» Sie waren eine kleine Klasse von 14 Studierenden, darunter eine einzige Frau. Sie bildeten eine eingeschworene Gemeinschaft, wie er sagt, und halfen sich gegenseitig. «Wir standen aber auch in einem gesunden Wettstreit zueinander.»
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Sein Statistikprofessor prägte ihn dabei besonders. Er werde nie vergessen, wie dieser zu ihnen sagte: «Passen Sie auf meine Damen und Herren. Sie sind nicht nur Rechenknechte, sondern Generalisten. Sie müssen übergreifend denken.» Diese Ermahnung zum vernetzten Denken und über den eigenen Tellerrand hinweg zu schauen, prägte Küchlers gesamte spätere Karriere und Führungsphilosophie. «Für mich ist entscheidend, potenzielle Lösungen immer in einen Gesamtkontext zu stellen», sagt er. Es sei ihm auch wichtig, dies den nachfolgenden Generationen mit auf den Weg zu geben. «Sie sollen ihr eigenes Handeln und Wirken immer wieder kritisch hinterfragen und in einen grösseren Kontext stellen.»
Sein Gegenüber ernst nehmen
In Dialog zueinander treten, Kompromisse aushandeln: Dies sind die Kernelemente des beruflichen Schaffens von Thomas Küchler. «Mein Erfolg basiert grösstenteils darauf, dass ich es schaffe, den Leuten zu erklären, um was es geht, und zwar in einer Sprache, die sie verstehen.» Eine empfängerorientierte Kommunikation sei das A und O. Das Handwerk dazu habe er in seinem ersten Job nach dem Studium in einem Zürcher Ingenieurbüro gelernt, als er seinen ersten Bericht für einen Kunden verfassen musste. «Ganze elfmal musste ich den Text umschreiben, bis er den Anforderungen seines Vorgesetzten genügte. Eine harte, aber gute Schule», meint Küchler schmunzelnd.
Ab 1998 war Küchler für die SBB tätigt, zunächst als Projektleiter beim Grossprojekt «Neubaustrecke Mattstetten – Rothrist», dann ab 2005 als Leiter der Geschäftseinheit «Unterhalt Bau und Logistik». Das Bauprojekt der neuen Eisenbahnlinie sorgte für 6’000 Einsprachen, davon der Grossteil von Privatpersonen. Es ging unter anderem um Landumlegungen, da ganze Landwirtschaftsbetriebe auseinandergerissen wurden. Bis vor Bundesgericht wurde gewisse Anliegen getragen. «Ich signalisierte immer: ‹Ich verstehe euch›», sagt Küchler. «Es war ein Geben und Nehmen, und am Schluss waren alle zufrieden mit der gefundenen Lösung. Denn, sie fühlten sich ernst genommen.»
Gemeinsam nach Lösungen suchen
Die eigenen Fähigkeiten in den Dienst anderer stellen, die Generalistensicht einnehmen und auf Augenhöhe mit den involvierten Parteien sprechen – all dies war die vergangenen 15 Jahre auch bei der Schweizerischen Südostbahn AG gefragt. Seit 2010 leitet Thomas Küchler diese und führte das Unternehmen auf einen Wachstumspfad, nachdem die SOB zunächst in starker Schieflage war. Und wieder ging es darum, zusammen nach konstruktiven Lösungsvorschlägen zu suchen und alle Beteiligten ins Boot zu holen. In diesem Fall die Eigentümer Bund und Kantone.
Nach der Bilanzsanierung gelang es Thomas Küchler im Unternehmen einen Kulturwandel in Gang zu setzen und die SOB neu zu positionieren. «Unsere Daseinsberechtigung liegt darin, dass wir in gewissen Bereichen schneller und innovativer sind als die SBB oder die BLS.» Fällt es Küchler nun schwer, das alles loszulassen? «Nein», sagt er bestimmt. 15 Jahre seien genug. «Es braucht nun neue Kräfte, um zum Beispiel den initialisierten Digitalisierungsprozess weiterzuführen.»
Zweitkarriere in der Politik
Seit vier Jahren präsidiert Küchler eine der Schwyzer Ortsparteien. Obwohl er grösstenteils immer in der Zentralschweiz lebte, war er aufgrund seiner schweizweiten Arbeitsorte kein Teil des dortigen gesellschaftlichen Lebens. «Die Politik war für mich eine Gelegenheit, hier Kontakte aufzubauen. Ich hätte jedoch nie gedacht, dass dieses Engagement mit der Wahl in den Gemeinderat mündet.» Die Lokalpolitik empfindet er als spannend. Hier könne er sich einbringen, etwas beitragen und zurückgeben. In einem Exekutivgremium tätig zu sein, sei zwar nicht einfach, aber sehr sachorientiert. «Am Ende des Tages finden wir uns jeweils. Denn es geht um die Lösung und nicht um Parteiideologie.»