Lea Schmidt öffnet den Reissverschluss der mausgrauen Sportjacke und zieht sie über die Schneiderbüste. Auf den ersten Blick könnte die Jacke in jedem Kleidergeschäft zu finden sein. Tatsächlich handelt es sich aber um einen Prototyp aus der Textildesign-Forschung der HSLU – Knöpfe, Markenlogos und Verstärkungselemente bestehen aus recyceltem Polyester.
Lea Schmidt ist Designerin und der Kopf hinter der Jacke. In der Forschungsgruppe «Produkt & Textil» tüftelt sie zusammen mit Partnern aus der Wirtschaft und der Fachhochschule OST am Aufbau eines Materialkreislaufs für textile Produkte aus Polyester.
Um beim Beispiel Sportjacke zu bleiben: In einem geschlossenen Kreislauf würde diese nach dem Tragen vollständig zu neuer Kleidung verarbeitet, statt einfach im Müll zu landen. Schmidts Jacke wird indes nie in den Handel kommen. Sie soll vielmehr zeigen, dass sich aus Recycling-Polyester auch funktional und ästhetisch hochwertige Kleidungsstücke herstellen lassen.
Die dunkle Seite des Erfolgs
Der Schlüssel für einen funktionierenden Materialkreislauf heisst Monomaterial. Denn heutige Textilien bestehen aus zahlreichen verschiedenen Materialien statt aus einem einzigen. «Diese Komplexität ist eines der zentralen Hindernisse im Textilrecycling – erst rund 1 Prozent der Textilien kann wieder in den textilen Kreislauf zurückgeführt werden», sagt Lea Schmidt. Wird nur ein einziges Material verwendet, unterstützt dies die Materialzirkularität: «Was in Textilien nicht gemischt wird, muss im Recycling nicht aufwendig getrennt werden.»
Das HSLU-Team entschied sich für den allgegenwärtigen Polyester. Er steckt in Socken, T-Shirts oder auch Outdoor-Bekleidung. Weltweit verarbeitet die Textilbranche jährlich 60 Millionen Tonnen der Kunstfaser – genug, um das grösste Frachtschiff der Welt 250 Mal zu beladen. Dieser Erfolg hat aber seine Schattenseite: Gebrauchte Textilien landen meistens auf riesigen Müllhalden oder sie werden verbrannt. Viele Millionen Tonnen Polyester gehen dabei unwiederbringlich verloren.
Um den Kreislauf zu starten, muss der Rohstoff aus Alttextilien zurückgewonnen werden. Das Team um Lea Schmidt sammelte in einem ersten Schritt Polyester-Abfälle aus der industriellen Textilproduktion. Die Forschenden experimentierten zunächst mit einem sogenannten thermomechanischen Recycling-Verfahren: Sie erhitzten die gesammelten Abfälle und schmolzen sie zu einem Granulat. In einem 3-D-Drucker fertigten sie daraus Verschlüsse und Verstärkungen.
Ein sprödes Erwachen
Lea Schmidt legt die kleinen gedruckten Prototypen auf einem Tisch aus. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, wie spröde einige davon sind – mutmasslich eine Folge der im Polyester enthaltenen Additive, also Zusatz- und Farbstoffe. «Das thermomechanische Recycling ist technisch machbar. Wir kamen damit aber nicht auf die in der Textilbranche benötigte Qualität», erläutert die Forscherin.
In einem Nachfolgeprojekt arbeitet die HSLU daher mit einem vom Schweizer Start-up DePoly entwickelten chemischen Recycling-Verfahren. Das Polyester wird dabei in einem Chemikalienbad auf molekularer Ebene aufgetrennt. Allfällige Fremdmaterialien werden abgeschieden; das Polyester kann in hoher Qualität wiederaufbereitet werden. Die Chemikalien, die zum Einsatz kommen, sind nicht giftiger als Haushaltsreiniger, und der Prozess ist bei Raumtemperatur durchführbar.
Technische Innovation allein reicht nicht
Die Suche nach einem geeigneten Recycling-Verfahren ist nur ein Teil des Projekts. Damit die Kreislaufwirtschaft funktionieren könne, müssten alle Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette ihre betrieblichen Prozesse umstellen, betont Lea Schmidt. «Jede Station im Kreislauf, vom Recycling über die Weiterverarbeitung des Polyesters zu Textilien bis zum Verkauf und der Rückhollogistik nach der Nutzung, muss auf Zirkularität hin angepasst werden.»
Was die Forschenden aktuell besonders beschäftigt, ist die Designphase eines textilen Produkts. Denn zu diesem Zeitpunkt wird massgeblich festgelegt, wie gut sich das Textil am Lebensende wieder recyceln lässt. Darum entwickeln Lea Schmidt und ihr Team eine Design-Bibliothek, die die Ästhetik und Vielfalt der Anwendungen des Monomaterials aufzeigen. Die Bibliothek vereinfacht die Entwicklung neuer zirkulärer Polyesterprodukte. Ziel ist, dass es nicht bei einer Recycling-Jacke bleibt, sondern künftig verschiedenste Unternehmen ihre Produkte in den Polyester Kreislauf überführen können.
Kreislaufwirtschaft in der Textilindustrie
Im Rahmen ihres Projekts entwickelt die HSLU derzeit einen Modell-Kreislauf. Die Vision: Das Walliser Start-up De-Poly recycelt den Polyester chemisch. Die Firma Monosuisse (Emmenbrücke) verarbeitet das so entstandene Granulat zu einem Garn weiter. Bei Schöller (Sevelen) entstehen daraus Gewebe, die als Basis für die Produkte des Outdoor-Herstellers Rotauf (Chur) dienen. Das Start-up iceep (Zürich) entwickelt eine Lösung für die Rückhollogistik der ausgetragenen Kleider.
Zum Schluss der Demonstration hängt Lea Schmidt der Schneiderbüste wieder die Jacke um. Bis zum Projektabschluss 2025 wird eine weitere Jacke entwickelt werden. Die soll vollständig aus recyceltem Polyester bestehen und die Machbarkeit des Materialkreislaufs belegen. Die Forscherin zieht den Reissverschluss des Prototyps zu und lächelt: «Läuft alles nach Plan, kommt die neue Jacke sogar in den Handel.»