Eine riesige, mehrere Meter hohe Halle am Institut für Gebäudetechnik & Energie in Horw. Hinten in einer Ecke steht unscheinbar der Prototyp eines neuartigen Reinraums. Wie bei allen Reinräumen betritt man zunächst mal eine Schleuse. Hier müssen die Mitarbeitenden im vorgesehenen Bereich ihre Kleidung wechseln. Abhängig von der Reinraumklasse tragen sie entweder komplette Anzüge oder Ober- und Unterbekleidung. Darüber hinaus sind Schuhe mit abriebfester Sohle, Haar-, Mund- und Augenschutz erforderlich. Das Besondere an diesem Reinraum sind seine Wände: Niemand würde vermuten, dass sich unter der glatten, weissen Oberfläche des Prototyps Holzwerkstoffe verbergen. Keine Spur von Hüttenromantik oder Chalet-Charme.
Sicherheitszuschläge zulasten der Umwelt
«Reinräume sind normalerweise regelrechte Energiefresser. Allein die Lüftung macht 75 Prozent des Energiebedarfs des Raumes aus», sagt Ingenieurin Marie-Teres Moser. Hinzu komme die graue Energie, die in den konventionell verbauten Wänden aus Metall oder Aluminium stecke. Zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen tüftelt Moser daher an der neusten Generation Reinräume, solchen aus Holzwerkstoff.
Die Oberflächen und die Luft müssen, wie die Bezeichnung Reinraum verrät, möglichst frei von Partikeln gehalten werden, um Schäden durch Verunreinigungen zu vermeiden. Marie-Teres Moser erklärt das anhand eines Beispiels: Man stelle sich einen Raum vor, der so gross ist wie der Bodensee – etwa 48 Kilometer lang, bis zu 14 Kilometer breit und durchschnittlich 90 Meter tief, mit einem Volumen von etwa 48 km³. In einer Umgebung mit ISO-Klasse 5 dürften sich in diesem gigantischen Raum maximal 100 «Kugeln» (Partikel) befinden, die jeweils einen Durchmesser von 0,7 cm haben – also etwa so gross wie eine Erbse. Was früher nur selten gebraucht wurde, sei heute allgegenwärtig: Von Medikamenten über Kosmetika bis hin zu Batterien und Halbleiter – alles in Reinräumen produziert und verpackt. «Der Bedarf an Reinräumen wird immer grösser», sagt Ingenieurin Marie-Teres Moser.
Lange spielten ökologische und wirtschaftliche Überlegungen für die Einrichtung von Reinräumen eine untergeordnete Rolle. Die Energie, die für ihre Herstellung und ihren Betrieb nötig sind, war günstig, während eine verunreinigte Charge im Pharmabereich Millionen von Franken kosten kann. «Wir stellten fest, dass Planer oft ‹Angstzuschläge› machen», sagt Moser. Sie konzipieren und bauen Reinräume, die über die eigentlichen Bedürfnisse und Anforderungen hinausgehen. Der Effekt: noch höherer Energieverbrauch.
Potenzial für nachhaltige Materialien
Doch steigende Energiepreise und wachsendes Umweltbewusstsein setzen die Industrie langsam unter Druck. Die Unternehmen beginnen, umzudenken. Dies hat auch das Ingenieurbüro und Projektpartner Willers erkannt: «Der gemeinsam entwickelte und gebaute Mock-up in Horw zeigt, dass auch im Reinraum-Bereich erneuerbare Werkstoffe ein grosses Potential haben. Gerade hinsichtlich Vorfabrikation und Skalierbarkeit konnten wir Akzente setzen», sagt CEO Magnus Willers. Als KMU sei Willers auf starke Partner angewiesen, die mit ihrer Forschung nahe an den Herausforderungen praktischer Anwendungen agieren. «Mit der HSLU-Zusammenarbeit geben wir der Innovation den notwendigen Raum. Das wird von unseren Kunden und natürlich auch von unseren Ingenieuren sehr geschätzt.» Viele der Mitarbeiter am Institut seien selbst viele Jahre in der Industrie tätig gewesen. Dadurch entstünden Ideen und neue Ansätze, die am Markt auch relevant sind.
Prüfstand mit Holzwänden
Bei der Analyse, wie sich die Energiebilanz verbessern lässt, legten die Forschenden in einem ersten Schritt das Augenmerk auf die Materialwahl. Zusammen mit Willers und den Modulbauern von Erne Holzbau konzipierte die HLSU einen Reinraum aus Holzwerkstoffen.
«Die Konstruktion ermöglicht nicht nur eine nachhaltigere Bauweise, sondern auch eine flexible Umgestaltung», erläutert Moser. Einzelne Wandelemente lassen sich bei Bedarf einfach austauschen oder erweitern. Die Zahlen sprechen für sich: Der Ersatz herkömmlicher Metallpaneele durch die Holzmodule reduziert die CO2-Emissionen um 23 Prozent pro eingesetztem Meter. Gleichzeitig sinken die Produktionskosten um 15 Prozent – ohne Einbussen bezüglich Reinheitsvorgaben.
Eine Lüftung, die «mitdenkt»
Doch das Team rund um Marie-Teres Moser denkt bereits weiter. Die künftige Forschung konzentriert sich auf intelligente Lüftungssysteme. «Smarte Sensortechnik soll in Zukunft erkennen, wann und wie der Raum genutzt wird und die Lüftung automatisch anpassen. Sie läuft auf Hochtouren, wenn gearbeitet wird und fährt die Luftmenge runter, wenn niemand da ist oder es der Prozess erlaubt», skizziert Moser die Vision. Der Prüfstand in Horw soll aber nicht nur der Forschung, sondern auch für Schulungen eingesetzt werden und als Showroom dienen. Hier können Studierende und Industriepartner die Zukunft des Reinraumbaus hautnah erleben – und zu weiteren Innovationen beitragen.