Marcel Zbinden, in der ersten Befragungswelle Ihrer Studie im April konnten Sie aufzeigen, dass sich die Leute während des Lockdowns nachhaltiger verhalten haben als davor. Wo hat sich das am stärksten gezeigt?
Viele Verhaltensänderungen während des Lockdowns waren erzwungen durch die Einschränkungen des Bundesrats. Deshalb überrascht es nicht, dass die grössten Veränderungen rund um die Mobilität festzustellen waren, beispielsweise beim Homeoffice oder beim Reiseverhalten.
Wo haben sich die Menschen freiwillig anders verhalten?
Aus eigenem Antrieb änderten die Menschen ihr Verhalten insbesondere in Bezug auf die ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Zum Beispiel haben mehr als die Hälfte aller befragten Personen angegeben, während des Lockdowns häufig auf die regionale Herkunft ihrer Einkäufe geachtet zu haben. Vor der Krise taten sie dies deutlich seltener.
Die erste Befragung im April hat gezeigt: Das Verhalten der Bevölkerung hat sich in einigen Bereichen durch den Corona-Lockdown spürbar verändert. Ob die Verhaltensabsichten der befragten Personen für die Zeit danach (schraffierte Flächen) umgesetzt werden, soll eine Nachbefragung zeigen.
Wie nachhaltig sind diese Veränderungen im Konsumverhalten?
Wir haben die Leute auch gefragt, wie sie ihr Verhalten nach der Krise ändern möchten. Die geplanten Verhaltensabsichten ähneln in verschiedenen Bereichen mehr dem Verhalten während des Lockdowns als dem davor. Wir gehen also davon aus, dass die Befragten einige Veränderungen als positiv empfanden und gerne beibehalten möchten. So planen viele von ihnen, mehr von zuhause aus zu arbeiten, häufiger regionale Produkte einzukaufen, mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen oder auch mehr auf ihre Work-Life-Balance zu achten als noch vor der Krise.
Wie stehen die Chancen, dass diese Absichten auch tatsächlich umgesetzt werden?
Normalerweise schlecht. Beim Menschen braucht es sehr viel, bis sich Verhaltensweisen ändern. Wir sprechen hierbei vom Attitude-Behavior-Gap – also von der Diskrepanz zwischen der Verhaltensabsicht und dem tatsächlichen Verhalten. Die Vorsätze sind zwar gut, aber dann kommt der Alltag dazwischen.
«Beim Menschen braucht es sehr viel, bis sich Verhaltensweisen ändern.»
Wieso fällt es uns so schwer, Vorsätze einzuhalten?
Wir Menschen sind denkfaule Gewohnheitstiere. Jeden Tag müssen wir unzählige Entscheide treffen. Da kommt es uns gelegen, dass wir eine grosse Mehrheit dieser Entscheidungen treffen können, ohne darüber gross nachzudenken. Dabei greifen wir oft auf Rituale und Routinen zurück. Denken wir nur einmal daran, wie wir jeden Morgen das Gleiche tun, bevor wir das Haus verlassen. Oder wie wir immer ins selbe Lebensmittelgeschäft gehen, weil wir genau wissen, wo da die Lieblingsprodukte stehen.
Besteht trotzdem Hoffnung für positive Veränderungen im Konsumverhalten durch die Coronakrise?
Eine gewisse Hoffnung besteht. Der Lockdown war für uns eine Art Trainingslager. Wir hatten mehrere Wochen Zeit, neue Verhaltensweisen auszuprobieren und einzuüben. Eine solche Gelegenheit bietet sich uns normalerweise nicht. Die Frage ist nun, welche dieser Verhaltensweisen es geschafft haben, sich in dieser Zeit zur Routine zu entwickeln. Das dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn wir etwas oft getan haben in den letzten Wochen: Regionale Produkte einkaufen, von zuhause aus arbeiten oder über Videokonferenz-Tools Sitzungen abhalten.
«Während des Lockdowns hatten wir Zeit, neue Verhaltensweisen auszuprobieren und einzuüben. Eine solche Gelegenheit bietet sich uns normalerweise nicht.»
In welchen Bereichen ist es besonders schwierig, sein Verhalten zu ändern?
Am schwierigsten sind Veränderungen dann, wenn durch das angepasste Verhalten andere Lebensbereiche beeinträchtigt werden. Viele Befragte wollen beispielsweise nach der Coronakrise mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Während des Lockdowns hat das bestens funktioniert. Die Leute hatten mehr Zeit und waren oft gemeinsam zuhause. Sobald sich der Alltag wieder normalisiert, ist eine grosse Anstrengung nötig, um sich diese Zeit freizuräumen. Man muss auf gewisse Aktivitäten verzichten und sich anderswo einschränken. Deshalb braucht es ziemlich viel, um eine solche Verhaltensänderung im Alltag zu etablieren. Das wird wohl nur in kleinem Umfang gelingen.
Wo zum Beispiel?
Vielleicht macht der eine oder die andere nach der Coronazeit etwas öfters Homeoffice und gewinnt so etwas mehr Zeit, die er oder sie mit der Familie verbringen kann. Oder einige haben während des Lockdowns das Joggen oder das Mountainbike Fahren für sich entdeckt und kriegen es hin, das in ihren Alltag zu integrieren. Solche kleinen Dinge können eine positive Auswirkung auf die Work-Life-Balance haben.
Ihr Forschungsprojekt wird weitergeführt. Was wollen Sie noch herausfinden?
Die Erhebung vom April dient uns als Nullmessung. Wir sind jetzt gerade an einer Nachbefragung, um zu sehen, in welchen Bereichen des Konsumverhaltens ein Jojo-Effekt eingetreten ist und welche Verhaltensweisen aus dem Lockdown auch jetzt noch festzustellen sind. In den nächsten zwei Jahren folgen dann weitere Befragungswellen, um die langfristigen Veränderungen eruieren zu können. Wir wollen auch herausfinden, was man unternehmen kann, um die positiven Veränderungen möglichst gut zu konservieren und weiter auszubauen. So können wir einen Beitrag leisten, um den Attitude-Behavior-Gap besser zu verstehen und Massnahmen dagegen zu entwickeln.