Tüfteln für die Müllabfuhr im Weltall

Abfall macht nicht nur auf der Erde, sondern auch im Weltraum Probleme. Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern entwickelt derzeit einen Weltraumschrott-Detektor. Dieser kann Satelliten, die künftig im All aufräumen sollen, autonom steuern.

Weltallmüll

Über unseren Köpfen herrscht ein riesiges Durcheinander: In erdnahen Umlaufbahnen – etwa 800 km über der Erde – kreisen derzeit rund 5’500 aktive und defekte Satelliten. Hinzu kommen zahllose Trümmerteile, ausrangierte Raketentriebwerke und Werkzeuge, die Astronauten aus der Hand geglitten sind.

Der himmlische Müll ist gefährlich

Im Weltall verwandeln sich bei hoher Geschwindigkeit selbst winzige Partikel in zerstörerische Geschosse. Die bemannte internationale Raumstation ISS muss bereits heute regelmässig Schrottteilen ausweichen. Auch die Flugbahnen von Satelliten müssen aufgrund des Mülls des Öftern angepasst werden.
Laut Schätzungen der Europäische Raumfahrtagentur ESA zirkulieren aktuell fast eine Million Objekte im Weltraum, die grösser als ein Zentimeter sind. Fachleute befürchten, dass die Existenz der Raumfahrt auf dem Spiel steht, falls der Weltraumschrott nicht innert nützlicher Frist entfernt wird. Die ESA hat deshalb die Mission «ClearSpace-1» lanciert. Mit diesem Projekt will sie eine Sonde entwickeln, die den Schrott verfolgen, umklammern und kontrolliert zum Absturz bringen kann, damit er in der Erdatmosphäre verglüht, ohne Schäden anzurichten.

Tüfteln in Horw für das Aufräumen im All

Auch die Hochschule Luzern leistet einen Beitrag an die Entwicklung dieses sogenannten Jägersatelliten. Ein fünfköpfiges Forschungsteam um Jürgen Wassner und Klaus Zahn arbeitet derzeit an einem Detektor, der imstande ist, Weltraumschrott zuverlässig zu erkennen und den Jägersatelliten autonom in die Richtung eines Trümmerteils zu lenken.
«Mithilfe einer Computer-Simulation versuchen wir unter anderem herauszufinden, wie viele Bilder eine auf dem Jägersatelliten installierte Kamera pro Sekunde erstellen muss, damit dieser ein Objekt zuverlässig erkennen und sicher daran andocken kann», erklärt Klaus Zahn, Experte für Computervision und Maschinelles Lernen.
Die Suche nach der optimalen Bildrate erfolgt aus gutem Grund: Der Prozessor, der an die Kamera angeschlossen ist, braucht für jedes Bild Speicherplatz und Energie, um die Daten verarbeiten zu können. Im All gibt es jedoch nur wenig Strom – ein paar kleine, am Jägersatelliten montierte Solarpanels müssen genügen. Der Prozessor sollte auch nicht zu schwer werden, denn so wird es einfacher, ihn ins All zu transportieren. Hier kommt Jürgen Wassner ins Spiel: Als Experte für Embedded Computing und System Design ist er darauf spezialisiert, möglichst effiziente Algorithmen, also Rechnungsvorschriften, für solche Mini-Computer zu entwickeln.

Realitätsnahe Trockenübung im virtuellen Weltraum

«Wir arbeiten mit Simulationen, da wir ja nicht einfach kurz ins All fliegen können, um unsere Kameras oder die Steuerung eines Satelliten vor Ort zu testen», erklärt Wassner. Als erstes Muster-Schrottteil, das der Jägersatellit in der Modellstudie entsorgen soll, hat das Team den Satelliten «Sentinel-6» ausgewählt. Dieser funktioniert in Realität noch einwandfrei und hat die Aufgabe, den Anstieg des Meeresspiegels zu messen. Wassner: «Für uns war der Sentinel vor allem deshalb ein gutes Anschauungsobjekt, weil von diesem Satelliten die 3D-Modelldaten erhältlich waren». Natürlich müsse auch Sentinel-6 eines fernen Tages entsorgt werden, meint Wassner mit einem Augenzwinkern; in erster Linie gehe es im Moment aber darum, ein System zu entwickeln, das für verschiedene Schrotteile angewendet werden könne. Und davon gibt es viele: «Mittlerweile gibt es ganze Kataloge von Schrotteilen. Die Raumfahrtorganisationen führen akribisch Buch, um heikle Objekte im Auge zu behalten.»
Die Daten von Sentinel 6 hat das Forschungsteam bereits vollständig in die Simulation eingebaut; ebenso die Fähigkeiten der Kamera, Annahmen zu den Steuerungsmechanismen des Jägersatelliten oder das Erscheinungsbild der Erde aus der Perspektive der Satelliten.
Der visuelle Eindruck dieser virtuellen Welt ist verblüffend: Mit wenigen Mausklicks führt Jürgen Wassner vor, wie sich der Jägersatellit immer näher an Sentinel-6 heranbewegt. Im Hintergrund bewegt sich die Erde als kleine, blauweissbraune Kugel durchs Bild. Es ist, als blicke man durch das Kameraauge.

Training für die künstliche Intelligenz

Dann geht es ans Training. Um die Algorithmen weiter zu verbessern, spielen die Forschenden realitätsnahe Szenarien in der Simulation durch. Ein paar Beispiele: Sentinel-6 rotiert um seine eigene Achse. Wie kann der Jägersatellit trotzdem sicher andocken, ohne dass es zu einer Kollision kommt? Wie hoch ist der Energieverbrauch des Mini-Computers bei unterschiedlichen Bildraten der Kamera? Wie wirken sich die Temperaturen im Weltraum auf seine Leistungsfähigkeit aus? Ausserdem muss der Jägersatellit seine Solarpanels immer optimal nach der Sonne ausrichten, um die Stromversorgung des Systems sicherzustellen. Klappt das? Und was geschieht, wenn ein Panel ausfällt? «Wir konnten in dieser Projektphase zeigen, dass es machbar ist, Objekte im Weltall zu detektieren und zu verfolgen», sagt Jürgen Wassner über die Ergebnisse des Trainings.

Zusammenarbeit mit der Universität Tokyo

Noch nicht ins Weltall, aber schon nach Tokyo hat das Projekt Jürgen Wassner und Klaus Zahn gebracht. Dort möchten sie gemeinsam mit Professor Shinichi Kimura von der Tokyo University of Science an einem Prototyp von Kamera und Prozessor arbeiten. «Shinichi Kimura verfügt über exzellente Labors, in denen sich die Verhältnisse im Weltraum nachstellen lassen», erklärt Wassner. Der renommierte Professor aus Tokyo hat bereits Kameras entwickelt, die ins All geschickt wurden. In der Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern profitiert er vom grossen Know-How im Bereich Datenverarbeitung. «Wir zeigen Shinichi Kimura und seinem Team, wie sie die KI-Algorithmen entwickeln und in den Miniatur-Computern des Jägersatelliten implementieren können», erklärt Wassner. Dafür besuchte bereits eine Doktorandin aus Tokyo den Campus in Horw. In diesem Jahr wird Professor Kimura selbst da sein.

 Höhenflug dank viel Erfahrung

Für Zahn und Wassner ist dies die erste Forschungsarbeit, die sie in die Weiten des Weltraums führt. Zu verdanken haben sie diesen Auftrag Matteo Madi, Geschäftsleitungsmitglied der in Zürich beheimateten Firma Sirin Orbital Systems AG. Diese ist in den Bereichen Raumfahrt- und Systemtechnik tätig und führte bereits diverse Projekte für die ESA durch. Klaus Zahn: «Matteo Madi hat uns angefragt, ob wir Interesse hätten, an diesem spannenden Projekt mitzuwirken. Diese Herausforderung haben wir gerne angenommen.»
Die beiden Forscher können sich dabei auf ihre langjährige Erfahrung im Bereich Intelligente Sensoren und Netzwerke abstützen. So haben sie beispielsweise automatisierte Systeme zur Zählung und Klassifizierung von Fahrzeugen im fliessenden Verkehr entwickelt; ausserdem intelligente Steuerungen von Strassenlampen, die nur dann leuchten, wenn jemand vorbeigeht oder eine Technologie für die zuverlässige Datenübertragung über die Stromverteilnetze von Flugzeugen. Jetzt steigen sie also noch höher und konzentrieren sie sich auf ein Arbeitsfeld auf fast 800 Kilometern über Meer. Dort will die ESA 2026 mit «Clearspace-1» ihren ersten Jägersatellit ins All schicken. Auch andere Firmen entwickeln Lösungen für den Weltraumschrott. Eine hat sich kürzlich bei Jürgen Wassner und Klaus Zahn gemeldet. Sie will den Detektor «made in Horw» in einer ihrer zukünftigen Missionen integrieren.

Masterarbeiten helfen beim Aufräumen im All

Andreas Rebsamen und Yanick Zeder haben sich beide in ihrer Masterarbeit mit Themen beschäftigt, die dazu beitragen, das All aufzuräumen. Im Beitrag des Experience-Blogs des Departement Technik & Architektur und im Video unten erzählen sie von ihren Erfahrungen.

Yanick Zeder hat im Master of Science in Engineering, Specialization Electrical Engineering an dem Projekt mitgewirkt. Hier erzählt er, warum das Thema ihn fasziniert.

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Mehr Informationen zum Master of Science in Engineering.

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