Schriftsteller Mark Twain nannte das Luzerner Löwendenkmal einst «das traurigste und bewegendste Stück Stein der Welt»: Umrahmt von zerbrochenen Lanzen und Schilden liegt ein schwer verwundeter Löwe in einer Felsgrotte und haucht sein Leben aus. Seit 1821 zieht die sechs mal zehn Meter grosse Skulptur des dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen Reisende aus aller Welt an. Jährlich besuchen über eine Million Menschen das Monument. Doch nur wenige von ihnen kennen die Geschichte dahinter.
Samuel Frei von der Forschungsgruppe Visual Narrative der Hochschule Luzern möchte das ändern. «Im allgemeinen Tourismustrubel bleibt die ursprüngliche Bedeutung von Kulturerbe oft verborgen», sagt der Designforscher. Frei leitet ein vom Bundesamt für Kultur unterstütztes Projekt. Erforscht wird, wie digitale Technologien helfen können, die Bedeutung von Kulturerbe einem breiten Publikum erzählerisch näherzubringen.
Ein Resultat dieser mehrjährigen Arbeit ist «Augmented Revolution Experience (ARE) – Revive la révolution». Diese Augmented Reality-App für Smartphones und Tablets richtet sich an Besucherinnen und Besucher des Löwendenkmals. Für die Entwicklung von ARE spannte Samuel Freis Forschungsteam mit dem Historischen Museum Luzern und dem «Projekt L21» (siehe Kasten) zusammen.
Virtueller Schweizer Gardist als Reiseleiter
Protagonist von ARE ist die fiktive Figur Franz Müller, ein Luzerner Bauernsohn, der sich am Hofe des französischen Königs Louis XVI. als Schweizer Gardist verdingt. Während der Französischen Revolution muss er mitansehen, wie hunderte seiner Kameraden beim Sturm auf den königlichen Palast fallen. Keine Fiktion: Zu Ehren der gefallenen Gardisten wird in einem Luzerner Steinbruch das Löwendenkmal errichtet.
Franz Müller führt die Nutzerinnen und Nutzer der ARE-App in kurzen Filmsequenzen zum Monument. Er und weitere Rollen werden von einem Theaterschauspieler verkörpert. Alle Szenen entstanden im Filmstudio der Hochschule Luzern. Die App projiziert die Figuren direkt in die Parklandschaft beim Löwendenkmal. An bestimmten Punkten lässt sie auch 3D-Darstellungen aus dem Boden wachsen, etwa von Garde-Uniformen, vom königlichen Palast oder von der Guillotine, mit welcher der König hingerichtet wurde. Andernorts versetzt ARE das Publikum mittels einer räumlichen Inszenierung direkt ins Kampfgetümmel.
Ein König à la Monty Pythons
Das Forschungsteam ging das düstere Thema mit einer Portion Humor an: Ein sprechendes Porträt von König Louis XVI., der den Verlust seiner Macht beklagt, erinnert etwa an die legendären animierten Szenen der Komikertruppe Monty Pythons. «Deepfake» nennt sich diese Technologie – dank künstlicher Intelligenz werden damit historische Gemälde oder Fotos von Personen durch Schauspieler zum Leben erweckt.
«Wir verknüpfen die historische Erzählung hinter dem Denkmal mit den Möglichkeiten, die uns moderne digitale Technologien bieten», sagt ARE-Projektleiter Tobias Matter von der Hochschule Luzern. Bei aller Freude am Einsatz moderner Technik steht für ihn aber die Vermittlung der Geschichte von Kulturerbe im Vordergrund: «Unsere App ist nur Mittel zum Zweck. Menschen eignen sich Wissen am besten an, wenn sie es mit mehreren Sinnen erleben.»