Der berühmte Luzerner Wasserturm trieb Animationsexperte François Chalet um ein Haar zur Verzweiflung. Das Wahrzeichen mit seinem achteckigen Grundriss flächendeckend mit einer Fassadenprojektion zu bespielen, schien fast unmöglich: «Wir mussten vier riesige Hochleistungsbeamer perfekt miteinander synchronisieren, damit sich die Animation nahtlos um die Turmfassade herumschlängelt. Und einige davon sogar in den Vierwaldstättersee setzen.» Das war Anfang 2020, am Lichtfestival Luzern (Lilu). Inzwischen arbeiten Chalet und seine Studierenden vom Bachelor Animation bereits an zwei Projekten fürs nächste Lilu, das im Januar 2023 stattfindet.
Obwohl das Lichtfestival aufgrund der Energiesparmassnahmen – man verzichtet auf 30% der Installationen – kleiner ausfallen wird als in den letzten Jahren, rechnen die Organisatoren des Lilu wieder mit zahlreichen Besucherinnen und Besuchern. Auch in anderen Schweizer Städten erfreuen sich Lichtshows mit Fassadenprojektionen grosser Beliebtheit; in Bern endete kürzlich das jährliche Spektakel am Bundesplatz; in Zürich läuft noch bis Ende Dezember das «Illuminarium» im Innenhof des Landesmuseums.
Wieso dieser Boom? François Chalet führt das auf zwei einfache Faktoren zurück: «Size matters! Eine riesige kunstvolle Installation im öffentlichen Raum, wo sonst eine öde Fassade ist – das macht Eindruck.» Eine solch eindrückliche Grösse erziele man jedoch nur mit lichtstarken Beamern. Ebendiese haben sich in den vergangenen Jahren nicht nur stark weiterentwickelt, sie sind auch sehr viel günstiger geworden. Das wiederum mache die Technologie für Kunstschaffende interessant: «Ein ganzes Gebäude wird damit plötzlich zur Leinwand.» Diese Leinwand ist aber weder weiss, noch glatt. Das macht es aber umso spannender.
Storytelling im Grossformat
Mit was für Inhalten bespielt man also eine solche Fläche? Die Architektur müsse unbedingt miteinbezogen werden, meint Chalet. Die wichtigste Regel bei einer Fassadenprojektion: Es brauche einen Dialog zwischen der Animation und der Fläche. «Die Form und das Baumaterial definieren Farbe, Beschaffenheit und Struktur der Leinwand – und dies wiederum beeinflusst den projizierten Inhalt.» Auch die Grösse der Leinwand hat einen Einfluss. Die Geschichte muss deshalb zum einen stark vereinfacht und zum anderen viel langsamer erzählt werden, als wir uns das aus dem Kino gewohnt sind. Betrachterinnen und Betrachter brauchen Zeit, sich auf der grossen Leinwand zurechtzufinden.
Anders als im Kino oder im eigenen Wohnzimmer befinden sich die Zuschauerinnen und Zuschauer in einer Umgebung voller Lichter, Geräusche und Bewegungen. Das macht es laut Chalet auch attraktiv, das Publikum soweit wie möglich miteinzubeziehen, etwa durch Interaktionsmöglichkeiten: So spielte bei Chalets Installation «Jump!» am letztjährigen Lilu ein Trampolin eine besondere Rolle: Je stärker eine Person darauf herumhüpfte, desto höher wurden die auf die Fassade des Luzerner Rathauses projizierten Figuren in die Luft befördert. Chalet betont jedoch: «Die Installation muss für alle spannend bleiben: Für jene, die mit ihr interagieren, als auch für jene, die sie nur betrachten.»
Der Dozent misst den Erfolg anhand einer ganz spezifischen Publikumsgruppe: «Wenn Kinder diese Installationen einnehmen und ihre spielerische Freude auf die Erwachsenen übergeht: Dann weiss ich, es hat funktioniert!»
Gerade arbeiten unsere Studierenden der Departemente Design & Kunst und Musik an den beiden Projekten fürs kommende Lichtfestival im Januar. Bespielt wird die Peterskapelle inmitten der Altstadt.
Lichtinstallation «In and Out»
Das Projekt ist ein audiovisuelles dialogisches Experiment im Innern der Luzerner Peterskapelle. Studierende im ersten Jahr des Bachelors Animation entwickeln kleine animierte Fragmente, die an die Empore der Kirche projiziert werden. Diese Fragmente werden von musikalischen Improvisationen von Musik-Studierenden der HSLU begleitet. Sie ergeben so ein kraftvolles audiovisuelles Erlebnis im Einklang mit der Empore der Peterskapelle.
Lichtinstallation «Stargazing»
Studierende im zweiten Jahr des Bachelor Animation nutzen die Fassade der Peterskapelle als Projektionsfläche für ihre Installation «Stargazing»: Die Geschichte folgt einer Gruppe Sterne, die in den Vierwaldstättersee fallen und sich in goldene Fische verwandeln. Nur einer der Sterne kann sich nicht verwandeln und sinkt auf den Grund des Sees, wo er von einem riesigen Wels angegriffen wird…
«Man könnte die Häuser sprechen lassen»
Chalet, der neben seinem Engagement für die HSLU auch privat Installationen fürs Lilu kreiert, ist gespannt auf die weitere Entwicklung des Festival-Genres. Die immer grösser werdenden Installationen befeuern auch die Erwartungen des Publikums. Dieses wird anspruchsvoller. «Das Projizieren auf eine ganze Bergfläche oder die Wolkendecke – das wären doch Weiterentwicklungen», sagt der Dozent lachend.
Obwohl ein umherfliegender Drache am Pilatus wohl ein Riesenspektakel wäre, sieht der Dozent das Potential nicht unbedingt darin, immer grössere Projektionsflächen zu suchen, sondern vielmehr darin, auch tagsüber Lichtshows durchzuführen. Dies erlaube eine ganz andere Form von Installationen. «Holografie – das wäre toll», antwortet er auf die Frage nach einem zukünftigen Wunschprojekt. Nur leider sei die Technologie hier noch unzureichend.
«Man stelle sich einen holografischen Wal vor, der plötzlich aus dem Seebecken auftaucht», sagt François Chalet. Mit Augmented Reality (AR) komme man der Holografie aber schon näher. Mithilfe des Smartphones könnte man den besagten Wal bereits sichtbar machen. der HSLU-Dozent sprudelt sofort wieder vor Ideen: «Man könnte die Häuser sprechen lassen – oder gar ein ganzes Seebecken zum Leben erwecken, das wäre dann fast schon magisch!»